Als Anfang März der Britin Sarah auf dem Nachhauseweg Schreckliches widerfuhr, gab es einen internationalen Aufschrei. Nicht weil das, was ihr passiert ist, so selten ist. Gewalt gegen Frauen ist an vielen Orten der Welt Alltag, ohne dass sich die Mehrheit der Menschen daran stört. Ein Kommentar.
Wenn es hierzulande zu Vergewaltigungen oder Belästigungen kommt, wird häufig erst auf das Opfer geschaut. „Wie ist sie zum Opfer geworden?“ – Eine Frage, die außer Acht lässt, dass Gewalt nicht passiert, sondern ausgeübt wird. Wer nach dem aktiven Part dieses schlimmen Geschehens fragen will, muss nach dem Täter fragen. Ohne Täter gibt es kein Opfer. Doch damit tut sich die Gesellschaft schwer. Mit dem Täter muss sich der dominierende Teil der Gesellschaft identifizieren. Dass Männer sich sträuben, die Gefahr, die durch viele ihrer Geschlechtsgenossen ausgeht, anzuerkennen, ist logisch. Doch dieses Verhalten ebnet den Weg für weitere Männer, zum Täter zu werden und damit wieder mehr Frauen zu Opfern zu machen.
Täter-Opfer-Umkehr als gesellschaftliche Antwort auf Gewalt
Über die Täter, zumindest wenn sich die „Anführer“ unserer Kultur viele Merkmale mit ihnen teilen, wird ungern gesprochen, über das Opfer folglich viel mehr. Wie wurde sie zum Opfer? Was hat sie getan? Hatte sie unangemessene Kleidung an und die Gewalt provoziert? Hat sie sich wie ein Opfer verhalten und den Täter somit in die Täterrolle „gedrängt“? „Gehörte sie neben der Tatsache, dass sie weiblich ist, einer weiteren stigmatisierten Gruppe an, die ja sowieso schneller Mal zum Opfer werden?“ Alles Fragen, die schnell den Schluss zulassen: Sie war selbst schuld. Eine andere Frau wäre nicht Opfer geworden. Mit dieser Argumentation trösten sich nicht nur Männer, die sich so keine Gedanken darüber machen müssen, wie es dazu kommt, dass ein anderer Mann eine so schreckliche Tat begehen konnte. Das Opfer wollte es ja schließlich nicht anders.
Auch als Frau wirkt es beruhigend, sich nicht mit dem Opfer identifizieren zu müssen. Wenn das Opfer aktiv etwas dazu beigetragen hat, dann trifft es mich nicht, kann ich mir als Frau dann denken. Schließlich trage ich anständige Kleidung und bin vorsichtig. Dass das nicht reicht, bewies uns unfreiwilliger Weise Sarah. Sie machte alles richtig. Sie war vorsichtig und hatte sogar noch auf dem Weg mit ihrem Freund telefoniert. Das ist mehr, als ich meist von mir sagen kann. Und das erschreckt und rückt die Gefahr in meine unmittelbare Nähe. Sie scheint für alle Frauen realer, auch wenn sie schon vorher da war. Nur wurde die Gefahr nicht von allen gesehen. Wer sich auf den obigen Argumentationen ausruhte, wurde aufgeschreckt. Denn die Gefahr, die von Männern ausgeht, ist real. Auch wenn einige so eine Aussage nicht hören wollen, mich als männerhassende Feministin abstempeln und sich unter dem Hashtag #notallmen darauf berufen, dass es nur einige wenige „böse“ Männer gebe, so kann ich die Wahrheit nicht verleugnen. Für Frauen kann es gefährlich sein, wenn ein Mann in der Nähe ist. Aber ganz klar: Nicht alle Männer sind gefährlich.
Wer ist gefährlich, wer ist es nicht?
Das kann ich nicht wissen. Selbst professionell geschulte Gutachter, die sich intensiv mit einem Menschen beschäftigen, können das nicht immer. Wie soll ich dann innerhalb von Sekunden, auf Distanz und bei Nacht erkennen, ob ein Mann mir gefährlich werden kann oder nicht? Die Angst ist folglich mein Begleiter, wenn ich draußen auf fremde Männer, besonders wenn sie in Gruppen unterwegs sind, treffe. Denn ich kann nicht ausschließen, dass sie nicht harmlos sind. Ich wende Techniken an, um die Gefahr möglichst abzuwenden. Dazu gehören, Männer nicht direkt angucken oder die Nähe zu anderen Menschen suchen, die mich im Fall des Falles hoffentlich beschützen. Auch kann es sinnvoll sein, jemandem Bescheid zu sagen, wenn ich im Dunkeln unterwegs bin. So tat es auch Sarah, aber es hat nichts gebracht. All diese Methoden sind sinnlos gewesen. Ihr Freund hat umsonst auf die erlösende Nachricht gewartet. „Bin gut angekommen“ hätte Sie vielleicht gelautet.
Wie Du dich und andere schützt
Der und die Einzelne kann im Alleingang wenig tun. Eine gefährliche Situation zu vermeiden, sei es durch eine nächtliche Ausgangssperre für Frauen oder die Pflicht, sich nur noch in großen Gruppen oder in männlicher Begleitung in der Öffentlichkeit aufzuhalten, darf nicht als Lösung angepriesen werden. Denn sie verletzt eines unserer schützenwertesten Güter: unsere Freiheit. Stattdessen muss es auf unseren Straßen sicherer werden. Es ist richtig, dass nicht alle Männer Täter sind. Doch zu viele tolerieren Gewalt gegen Frauen und ignorieren sie. Männer, die erleben, dass sie anerkennende Blicke von anderen Männern einheimsen, wenn sie fremde Frauen „catcallen“, sind eher geneigt, auch einen Schritt weiterzugehen.
Beim nächsten Mal bleibt es dann vielleicht nicht mehr bei verbaler Belästigung, sondern es kommt zum Klaps auf den Po, der noch mehr Anerkennung einbringt. So entsteht ein Teufelskreis auf der Suche nach Bestätigung. Ist eine Frau erstmal zum Objekt geworden, dann kann sie sich wehren, wie sie will, ihre Meinung gilt nicht mehr. Dieses Gefälle aus Macht und Ohnmacht befeuert ein frauenfeindliches Weltbild innerhalb der Gesellschaft zusätzlich. Dieses Machtgefälle zu durchbrechen, das muss das Ziel sein. Frauen, die von Gewalterfahrungen berichten, so marginal sie auch scheinen mögen, müssen gehört werden. Erkennen, dass sie Angst hat, selbst wenn Dir die Situation überhaupt nicht gefährlich erscheint. Frauen müssen mit ihrer Angst ernstgenommen und in potentiell gefährlichen Situationen unterstützt werden. Denn die Gefahr existiert und wir können sie nur gemeinsam aus der Welt schaffen, denn durch weniger Täter gibt es auch weniger Opfer. Doch dafür ist es nötig, dass Männer lernen, die Perspektive zu wechseln und auch Probleme wahrzunehmen, die sie nicht direkt betreffen.
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