Während die Polizei händeringend versucht, sich dem Unfallort zu nähern, stehen unzählige Menschen um das zertrümmerte Auto mitten auf der Autobahn. Immer mehr Autofahrer steigen aus ihren Fahrzeugen, um das Geschehen aus der Nähe zu betrachten. Die Polizei drängelt sich an den Schaulustigen vorbei. Statt dem Unfallort zu untersuchen, müssen die Beamten die vielen Menschen „aus dem Weg räumen“. Diese bewegen sich trotz Aufforderung keinen Zentimeter von der Stelle.
![© flickr.com / Andreas Levers](https://www.firstlife.de/wp-content/uploads/2016/07/Andreas_Levers-1140x1140.jpg)
Gaffen an Unfallorten: Ein schwieriges Thema, das in letzter Zeit vermehrt in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Was motiviert Menschen zum Gaffen? Jeder kennt das Gefühl der Neugier. Dieses Gefühl verstärkt sich, sobald man sich live vor Ort eines „nicht so alltäglichen“ Geschehens befindet. Sofort möchte man erfahren, was sich vor Ort zuträgt. Allerdings weiß man auch, dass dieses Verhalten nicht richtig ist. Das Gefühl der Unentschlossenheit ist vergleichbar mit einem Gefühlschaos.
Das liebe Engelchen, die Rationalität, bestärkt einen weiterzufahren, da sich das Beobachten nicht gehöre. Das böse Teufelchen, die Intuition, flüstert einem zu, dass man hierbleiben und sich das Geschehen aus näherer Sicht anschauen sollte. Und seien wir doch mal ganz ehrlich: Am Ende gewinnt doch meistens das kleine Teufelchen, oder?
Das sogenannte „Gaffen“ hat tiefgründige psychische Ursachen. Neugier ist ein entscheidender Grund, warum Menschen gaffen und sie es auch schwer sein lassen können. Diese Neugier ist in uns Menschen fest verankert.
Die Situation macht es aus
Der Unfall stellt das klassische Beispiel des Gaffens dar. Hier möchten die Menschen sofort wissen, was passiert ist, um den Schweregrad der Situation einzuschätzen und sich gegebenenfalls selbst in Sicherheit zu begeben. Ein ziemlich egoistisches Verhalten. Allerdings entscheiden sich die meisten Gaffer ganz bewusst dazu, sich das Geschehen anzuschauen und haben sogar noch Vorfreude bei dem Gedanken sich so ein „Spektakel“, wie sie es nennen würden, anzuschauen.
Naturkatastrophen stellen eine zweite sehr bekannte Situation dar, in der Menschen nur schwer wegschauen können. Bei dieser Art des Beobachtens erleben die Schaulustigen eine Art Adrenalin-Kick, der süchtig machen kann. Ähnlich wie bei einem spannenden Film, hat man als Zuschauer das Gefühl, nicht mehr wegschalten zu können.
Das falsche Verhalten entschuldigen?
Häufig wird das Beobachten von den Schaulustigen mit dem Argument, „man wolle sich nur über die aktuellen Geschehnisse informieren“, entschuldigt. Damit versucht man sein schlechtes Gewissen zu bereinigen, weil man sich bewusst ist, dass das Gaffen alles andere als in Ordnung ist. Gaffer werden in der Regel aufgefordert, dass sie bitte den Platz verlassen sollen. Dies ist auch verständlich, denn sie behindern die Arbeitszonen der Rettungskräfte und die Opfer stören sie auch.
Gegenmaßnahmen
Das Verhalten eines Gaffers hat ausschließlich Negatives an sich. Es wird als empathielos und egoistisch bezeichnet. Wenn man sich schon an die Unfallstelle begibt, sollte man entweder helfen oder lieber gehen. Allerdings ist die erste Variante wohl eher die sozialere. Wenn man als Kraftfahrer, der ein Geschehen als erster beobachtet, keinen Rettungswagen oder Notarzt ruft, dann kann man sich strafbar machen, da keine Hilfeleistung erbracht wurde.
Boris Pistorius (SPD), der Innenminister von Niedersachsen, hat bereits im September 2015 und im Mai 2016 die Bundesinitiative gegen Schaulustige im Bundestag thematisiert. Die Initiative soll die Maßnahmen gegen rechtswidriges Gaffen verschärfen. Entsprechend wurde diskutiert, inwieweit das Strafgesetz um entsprechende Paragrafen erweitert werden sollte.
Auslöser für die Vorlage des Gesetzes sind die Vorkommnisse nach dem Unglück in Bremervörde im letzten Jahr, bei dem ein Schaulustiger die Polizisten angegriffen hat. Das Wohl des Opfers sollte, Pistorius zufolge, geschützt werden. Berlin hat sich dem Vorschlag bisher schon angeschlossen. Der Einbringungsbeschluss benötigt eine absolute Mehrheit im Bundesrat. Der Gesetzentwurf wird demnach im Bundestag beraten.
Ein weiterer Grund sei das Verbreiten von Bildern und Videos der Opfer. Denn sehr heikel wird es, wenn Schaulustige die Situation mit ihrem Smartphone aufnehmen. Noch respektloser wird es, wenn die Videos ins Netz gestellt und in den sozialen Medien geteilt werden, um sich selbst zu profilieren. Dem Deutschen Feuerwehrverband zufolge, helfen aber Gesetze nicht allein aus, um das Gaffen zu verringern. Man müsse die Menschen viel mehr für das Leid der Unfallopfer sensibilisieren.
Versetzen wir uns einmal in die Rolle des Opfers: Man selbst würde schließlich nicht wollen, dass ein Dutzend Leute um einen rumstehen und man später noch Aufnahmen von sich in einem „leidenden Zustand“ im Internet findet. Man kann nur hoffen, dass das Gesetz inkrafttreten wird, damit die Opfer an Unfallorten vor Schaulustigen in Zukunft geschützt sind.
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