„Es wäre etwas langweilig, Inspiration für Klaviermusik aus Klaviermusik zu ziehen“, erklärt der Komponist Johannes Motschmann, dessen Stück „Arpeggiator“ beim Konzert zum 50-jährigen Bestehen des Elysée Vertrages im Oktober 2013 in Bonn uraufgeführt wurde. F1rstlife sprach mit ihm über seine Inspiration, seinen Weg zur Komposition und erfuhr mehr über seine „Gefühlssprache der Musik“.

Herr Motschmann, wie würden Sie Ihren Kompositionsstil beschreiben?
Am liebsten gar nicht. Beschreibungen bleiben immer etwas hinter dem zurück, was wir im Konzert hören können. Das Wichtigste ist mir, Musik zu schreiben, die am Ende ohne eine Beschreibung von Außen auskommt, die sich also gewissermaßen selbst mitteilt und selbst zeigen kann, was sie sein will. Musik fängt für mich dort an, wo unsere Sprache und die Möglichkeiten unserer Kommunikation aufhören.
Würden Sie dann sagen, dass die Musik Ihre “Sprache” ist?
Sie ist eine Sprache und sie ist für mich auch am ehesten die Möglichkeit, mich auszudrücken. Ich glaube aber, dass sie durchaus auch andere Funktionen ausfüllen kann. Ich habe beim Musikmachen oft das Gefühl, sehr intuitiv vorzugehen und gar nicht genau zu wissen, was ich da eigentlich tue oder was ich sagen werde. Sprache und ihre Semantik sind etwas sehr streng Logisches. Das wird beim Musikmachen auch immer wieder außer Kraft gesetzt. Das heißt, Musik ist für mich so eine Art Gefühlssprache, eine Art Soundtrack der eigenen Lebenssituation und ich versuche, die Atmosphäre, die mich umgibt, auszudrücken, also herauszufinden, wie sie klingen könnte.
Wie kamen Sie zum Komponieren, wie kamen Sie dazu, sich so auszudrücken?
Ich mache schon recht lange Musik. Schon als Kind habe ich Klavier gespielt und ich bin in einem Pastorat groß geworden, wo es durch Kirchenmusik, Chor oder Posaunenchor verschiedene Arten von Musik gab. Dann habe ich eine Band gegründet und E-Gitarre gespielt. Irgendwann habe ich angefangen, Orgel zu spielen. Das alles waren unterschiedliche Beschäftigungen mit Klängen, die Orgel mit Kirchenmusik und mit Bach; das Klavier mit Chopin und Liszt und die E-Gitarre wiederum mit der Rockmusik. Diese verschiedenen Arten von Musik lagen so weit auseinander, dass ich sicher nicht ein Instrument hätte studieren können. Also musste es irgendwie eine Art Metaebene geben für das Erzeugen von Klängen. Ich wollte für mich eine Ausdrucksmöglichkeit finden, wie ich diese ganzen verschiedenen Arten von Musik bündeln und zusammenfassen konnte. Das führte mich zum Komponieren.
Das führt mich zu einer Frage, die mich besonders interessiert: Wenn ich im Konzert sitze, dann überlege ich mir immer: Wie schafft es der Komponist, für ein ganzes Orchester zu schreiben oder für ein einzelnes Instrument, das er gar nicht spielt?
Dadurch, dass Komponisten oft mehrere Instrumente spielen, haben sie schon einen Weg hinein ins Orchester; vielleicht durch das Instrument, das sie am besten kennen oder durch Ensembles, in denen sie gespielt haben. Letztendlich ist es dann die Aufgabe, für alle Instrumente schreiben zu können, auch für die, die man gar nicht kennt. Doch dafür lernen wir das Komponieren ja auch. Es ist Teil des Studiums, sich mit Musikern zu treffen und herauszufinden wie man solche Instrumente spielt. Wenn man in Grenzen der Möglichkeiten eines Instrumentes vordringt, besteht immer die Gefahr, dass man sich da auch vertun kann. Ich glaube, dass viele Kompositionen in der Hinsicht gar nicht sofort fertig sind, sondern dass das auch ein Lernprozess ist. Zum Beispiel Brahms hat auch mit Joseph Joachim, dem Geiger, zusammengearbeitet, weil er nicht genau wissen konnte, ob das alles auf dem Instrument so funktioniert. Beim Klavier konnte er es nachgucken, weil er selbst Klavier gespielt hat. Zusammenarbeit mit Interpreten, die sich auch für die Komposition und den Entstehungsprozess interessieren, ist immer hilfreich.
Woher bekommen Sie Ihre Ideen beim Komponieren?
Für mich ist die Inspiration eigentlich immer von Anfang an da, weil ich sowieso ganz viel Musik im Kopf habe, die ich aufschreiben möchte. Das Schreiben dauert aber immer viel länger als das Ausdenken. Nehmen wir an, man hat eine Idee für zwei Minuten Orchestermusik. Dann ist man, wenn da 60 bis 70 Leute mitspielen, sehr lange beschäftigt. Das heißt, das Aufschreiben fließt langsamer als der Gedankenstrom der Musik. Ich komponiere vier oder fünf Stücke im Jahr und habe nicht das Gefühl, dass ich keine Inspiration habe und noch ganz viel Zeit zum Schreiben. Es ist eher umgekehrt, sodass ich immer gerne mehr Zeit hätte, um diese ganzen Sachen aufzuschreiben. Man braucht tausende von Noten, bis ein Gedanke fertig aufgeschrieben ist. Durch dieses Missverhältnis ist die Inspiration selbst oft gar nicht das Problem.
Haben Sie ein Vorbild oder einen Inspirator?
Ich war als Kind ganz begeistert von Franz Liszt, das war für mich mein Lieblingskomponist, vielleicht auch, weil ich mich damals noch sehr stark aufs Klavier konzentriert habe. Durch das Lesen von Biografien habe ich auch versucht den Menschen kennenzulernen. Ich fand, dass er sowohl als Künstler als auch als Mensch ein Vorbild sein kann. Das ist bei manchen Komponisten anders, sodass man vielleicht den Komponisten sehr schätzt, aber mit der Person so seine Schwierigkeiten hat. Das geht vielen bei Richard Wagner so. Ein anderer Komponist, der mir sehr nah ist, ist Alban Berg. Und unter den Zeitgenossen sind es unter anderen Wolfgang Rihm und Hanspeter Kyburz. Ich schätze sie als Komponisten, und sie haben mir auch als Lehrer sehr weitergeholfen. Inspiration findet man eigentlich in allen Genres, denn es kann oft interessante Übertragungen geben – genauso wie zwischen den Künsten. Spannend wird es, wenn man ganz andere Bereiche hat, in denen dann Vorbilder auftauchen und ich glaube, es ist auch wichtig, sie einordnen zu können und das nicht einfach so wegzuschieben, sondern immer zu wissen, dass man auf den Schultern von Anderen steht.
Sie sagten, schon als Kind seien sie “Liszt-Fan” gewesen. Wussten Sie denn schon als Kind, was sie werden wollten? Gab es einen Traumberuf?
Es gibt Leute, die schon als Kinder perfekt Klavier spielen können. Das war bei mir nicht der Fall, ich habe auch zu spät damit angefangen. Insofern wusste ich zwar, dass ich Musik machen wollte, in welcher Form war mir allerdings nicht so klar. Insofern hieß Musik machen für mich eher, Musik zu schreiben und andere spielen zu lassen, die vielleicht noch viel verwachsener mit ihrem Instrument sind. Es war nicht ganz einfach, das für mich zu klären. Doch dass ich Komponist werden wollte, wusste ich so mit 13 Jahren.
Lassen Sie uns noch über das Stück reden, das beim Beethovenfest uraufgeführt wurde. Was sind Ihre Gedanken dazu?
Ich habe das Stück “Arpeggiator” genannt. Arpeggiatoren sind bei Synthesizern oder sonstigen elektronischen Klangerzeugern dazu da, kleine melodische Konstruktionen zu rhythmisieren, in unterschiedliche Reihenfolgen zu bringen und zu repetieren. Das klingt auf dem Klavier teilweise fast ein bisschen nach elektronischer Musik, obwohl es durch einen Interpreten gespielt wird. Es klingt sehr mechanisch. Man kennt das aus elektronischer Tanzmusik: Dort laufen immer Schleifen, Figurationen, die einen Beat verdoppeln durch Harmonik, die darauf projiziert wird. Diese typischen Arpeggiator-Figuren haben mich interessiert und ich wollte versuchen, sie kompositorisch in den Griff zu bekommen. Ich habe versucht ein Wechselspiel zu schaffen, ein Klavierstück, das einerseits aus sehr mechanischen Passagen besteht und andererseits aus ganz lyrischen Rubato-Momenten, die rhythmisch frei sind, eher agogisch, also sehr individuell und einmalig sein sollen und das muss dann auch jedes Mal unterschiedlich interpretiert werden. Auf der anderen Seite gibt es diese Passagen, die statisch und ungebrochen mechanisch sind. Diese zwei Welten aufeinanderprallen zu lassen und daraus etwas Poetisches abzuleiten, das war die Idee dieses Stückes.
Herr Motschmann, vielen Dank für das Gespräch!
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