Sie heißen Nelson Mandela, Michail Gorbatschow und Martin Luther King: Ihre Entscheidungen waren mutig, brachten Farbe in die Schwarz-Weiß-Gesellschaft hinein und haben die Egoismen für einen Moment wieder zurück zu den Kinderschuhen gestellt. Als „Brückenbauer der Völker“ etablierten diese Anführer Denkmäler der Freiheit. Doch die Substanz ihrer Denkmäler bröckelt. Nach #Thüringen, #AFD, #Trump, #Erdogan und Konsorten ist Freiheit plötzlich enger geworden, vermischt worden mit Egoismen, Lüge und Kurzsicht. Da ist das neue Musikprojekt von Dr. Stephan Kaußen hochaktuell – und wagt 30 Jahre nach der Entlassung Mandelas aus der Gefängnishaft Ausblicke in eine nachhaltige Zukunft.
„Achtung, Achtung, es droht der Rückschritt“, schallt die Stimme durch das Megafon. Nicht jubilierend. Wachrüttelnd. Überraschend. Dr. Stephan Kaußen, bekannt als ARD-Journalist, einordnender Experte und Sportreporter, hat am Dienstag als „Doctor Retro“ eine CD mit dem Titel „30 Jahre Freiheit“ veröffentlicht: vier Lieder, ein Vortrag, eine ganz persönliche Geschichte: „Der wichtigste Tag in meinem Leben war der Mauerfall am 9. November 1989. Wir wussten in dieser welthistorischen Nacht nicht, ob es am nächsten Tag Krieg geben würde.“ Was für junge Menschen heute kaum vorstellbar scheint, war damals konkrete Realität: „Hätte Gorbatschow die chinesische Lösung gegen die Proteste und den Ruf nach Freiheit gewählt, hätte es geknallt. Nicht nur in Berlin.“
„Danke Gorbi, für Deinen Mut, die Freiheit zu riskier´n“
Diesen Kristallisationspunkt der Geschichte hat Stephan Kaußen nun in die Musik übersetzt. „Statt der Tian´amen-Alternative, gab´s ´ne Kooperations-Direktive. Aus Perestroika und Glasnost, wuchs ´ne Brücke zwischen West und Ost. Danke Gorbi! Danke Gorbi, für Deinen Mut, die Freiheit zu riskier´n!“ Auf den Punkt gebracht und trotzdem zum Reflektieren. In seinen Liedern nimmt Kaußen vor allem junge Menschen in den Blick, jene, die Krieg und Konflikte nicht mehr kennen, Freiheit als selbstverständlich hinnehmen und Vergangenheit einfach vergehen lassen. Die jüngsten Wahlumfragen geben ihm Recht; erstaunlich viele junge Erwachsene in Deutschland und Österreich wählen lieber national.
Dabei laden die Lieder in „30 Jahre Freiheit“ dazu ein, auch noch andere Perspektiven wahrzunehmen und über zeitlose Werte und Tugenden zu sprechen. Ein Lied über „Madiba“, den Kosenamen für Nelson Mandela, beschreibt dessen wunderbare Fähigkeit, Brücken zwischen ehemaligen Feinden zu bauen. „Das sind alles keine Zufälle, sondern Zusammenhänge“, betont Kaußen, der den Liedtext gemeinsam mit dem britischen Pop- und Rock-Gitarristen Richard Palmer-James schrieb und zum Ende der Apartheid und dem Thema Transformation promovierte. Dass solch politische Übergänge meist viel leichter erscheinen als es sich im Nachhinein herausstellt, beschreibt Kaußen in seinem rund 50-minütigen Vortrag ebenso analytisch wie vor allem aber emotional. Von Freundschaften, in denen plötzlich die Frage aufkommt: „Wieso sollen wir für den Osten zahlen?“ bis hin aktuellen Entwicklungen, in denen die AfD hart erkämpfte Grundwerte, wie Freiheit und Gleichheit, ganz einfach nicht mehr allen gleichermaßen möglich macht, sondern für eigene, egoistische Zwecke isoliert und umdeutet. Das macht nachdenklich.
Diplomatie mit musikalischen Mitteln
Einen nachdenklichen Kaußen zeigt auch das Cover der CD. „Ich habe Stephan zu seinem 50. in Öl gemalt, ohne dass er es wusste“, erzählt der ehemalige Chef-Designer von PUMA und Erfinder der Retro Art Ralf Metzenmacher, der schon seit mehr als zehn Jahren mit Kaußen zusammenarbeitet. „Er gibt als Professor an den Hochschulen, als Brückenbauer zur Jugend, als Altruist und Kulturförderer, als Autor und wahrer Universalist seit Jahren so viel er nur kann, damit Geschichte greifbar wird und bleibt.“ Produziert wurde die neue CD gemeinsam mit dem Profimusiker vom Berliner Konzerthaus Orchester und der Deutschen Oper Erich Schachtner, als Chorstimme im Hintergrund unterstützt das Team außerdem Susanne Schultz.
„Udo Lindenberg, der für mich wie ein Bruder oder auch Vater im Geiste ist, spricht nicht umsonst von der `Diplomatie mit musikalischen Mitteln´“, so Kaußen. Wie viele Kreativlinge, die ihre Gedanken und Wertvorstellungen in der Musik ausgedrückt haben, geht nun auch Doctor Retro einmal andere Wege, riskiert etwas und erfüllt sich noch dazu einen kleinen Traum. Wenn er junge Menschen ansprechen möchte, muss er es schaffen, ihnen klar zu machen, warum sie Freiheit so konkret betrifft, sie einladen, hin und wieder die Interessen zu durchschauen und den historischen Kontext zu kennen. Ganz gegen den Mainstream-Trend, bei dem alles nur noch schneller und aktueller werden soll. Vielleicht sind Kaußens Lieder der Impuls, etwas lockerer und spielerischer an die Sache heranzugehen. Eine klare Haltung, Autonomiebewusstsein und ein gesundes kritisches Gespür gegenüber Autokraten sind nicht nur journalistisch sinnvolle Werthaltungen. Sie sind auch ein ziemlich hilfreicher Kompass, um hin und wieder die Flagge zu zeigen und Egoismus und geistiger Verflachung einfach mal den Wind aus den Segeln zu nehmen.
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