Als ich noch ein Kind war, liebte ich die Disneyfilme. Wie Millionen andere Kinder, saß ich abends vor dem leuchtenden Fernsehbildschirm und die Kassetten waren mein Heiligtum. Erst Jahre später, als ich zufällig den Disneyfilm Cinderella im Fernsehen sehe, stelle ich fest, wie sehr mich diese Disneyfilme eingenommen und beeinflusst haben, wie sehr sie mein damaliges Weltbild geprägt haben: Ich habe einen Großteil meiner Kindheit die Disney-Brille aufgehabt.

Der schwere Start
Oftmals macht die Hauptfigur einen schwierigen Start durch, wie Cinderella oder Schneewittchen. Die Geschichte setzt immer nach dem Zeitraffer ein, der die Kindheit bis auf wenige Tatsachen außer Acht lässt. Deswegen habe auch ich wohl so oft gedacht, dass das „wahre“ Leben erst anfängt, wenn ich älter bin und ich noch zu warten habe. Immer ist auch ein/e Widersacher/in dabei, die ordentlich dazu beiträgt, das Leben der Hauptfigur zu vermiesen. Diese werden immer als hässlich dargestellt. Soweit so gut.
Die große Kollision kommt erst, wenn ich erkenne, dass böse nicht unbedingt mit hässlich gleichzusetzen ist: Ein wunderschönes, blondgelocktes Mädchen nimmt mir meine Puppe weg, haut mir damit auf den Kopf und streckt mir dann die Zunge raus. Wie soll ich das als Kind aufnehmen? Sie sieht doch aus, wie Cinderella, wie kann sie also eine böse Stiefschwester sein?! Den Charakteren in Disneyfilmen sieht man doch immer direkt an, ob sie böse oder gut sind, im richtigen Leben ist es weitaus schwieriger.
Es ist immer eine sehr einseitige Geschichte: Die Bösen werden in einer Momentaufnahme gezeigt, in der sie zwar wirklich böse handeln, aber niemals wird die Ursache dafür klar. Und wenn doch, dann versteht man, dass die Ursachen für ihre eigene Bosheit meist ihren Ursprung darin haben, dass sie Ungerechtigkeit, großes Leid oder Bosheit am eigenen Leib erfahren haben und sich zur Wehr setzen mussten. Unter dem Mantel des augenscheinlichen Bösewichts versteckt sich eben oft nur ein kleines verletztes Kind mit seinen Urängsten und Zweifeln.
Die Sache mit dem Märchenprinzen
Meistens findet die Begegnung mit ihm vollkommen zufällig statt, am besten sogar ohne das Wissen, dass er ein Prinz ist, um den sich sonst die Frauen nur so scharren. Er reitet ganz alleine durch den Wald und trifft auf die einsame wunderschöne Frau oder er lernt sie auf dem Ball kennen. Fakt ist, die Begegnung der beiden ist niemals initiiert, sondern schicksalhaft und unvorhergesehen. Sichtlich hat keiner von beiden etwas für diese Begegnung getan. Das lässt mich als kleines Mädchen auch in dem Glauben, dass es nur den einen Märchenprinzen gibt. Um ihn zu treffen, kann ich aktiv nichts tun, aber irgendwann kommt er schon von allein, ganz sicher!
Andererseits, wie viele Dating Apps und Möglichkeiten haben wir heute, den Partner kennenzulernen, und trotzdem scheitert es so oft genau an dieser großen Auswahl. Wie viel Mühe geben sich Frauen schon seit Urzeiten, möglichst attraktiv auszusehen, wie viel Reflexion und Arbeit an sich selbst braucht es, um einen passenden Partner zu finden? Unvorstellbar, dass zwei Menschen sich zufällig begegnen und einige Leinwandminuten später auch noch heiraten wollen. Man muss sich doch erst aufeinander einlassen und sich besser kennenlernen, was bei manchem Paar auch gerne mal 10 Jahre dauern kann.
Und wie viele Hindernisse muss man überwinden, bevor man weiß, dass man wirklich zueinander passt. Wie viel Streit und wie viel Mühe braucht es, um gemeinsame Kompromisse zu schließen, selbst wenn es um den Haushalt geht. All das erfahren wir durch Disney nicht. Wo ist also die Realität?
Die fatalen Folgen
Seit der Kindheit wollen wir, dass es mit unserem allerersten „Prinzen“ klappt. Denn dieses Bild tragen wir seit der Kindheit in unseren Köpfen. Wir haben die Disney-Brille auf, wir idealisieren ihn und selbst wenn er mal unfair oder böse sein sollte, dauert es zu lange um es glauben zu können und die Reißleine zu ziehen. Mit ihm soll alles perfekt sein. Er soll uns lieben, wie in der Momentaufnahme des Kusses bei der Traumhochzeit und das am besten für immer und ewig. Wir wollen die Realität nicht wahrhaben, nicht verstehen und uns lieber darüber belügen, anstatt der Wahrheit ins Gesicht zu sehen.
Mit dem ersten Streit oder spätestens mit der Frage, wer das Klo putzt, werden wir auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Vielleicht gibt es noch weitere Faktoren wie mangelnde Aufmerksamkeit oder gar Eifersucht. Spätestens da bröckelt das rosa Disneyglas mit mindestens 5 Dioptrien.
Der Weg zurück
Wir fallen in ein tiefes Loch, aus dem wir keinen Ausweg sehen, wenn es vorbei ist. Wir können es nicht begreifen und nicht glauben. Wir fragen uns, was wir falsch gemacht haben, denn das Gefühl der Verliebtheit war genauso, wie wohl damals bei Cinderella. Das Bauchkribbeln, die Romantik. Was haben wir also falsch gemacht? Gerade als Frau macht man sich viele Gedanken darüber, denn die Disney-Traumwelt, die unser Leben bestimmt hat, liegt in Schutt und Asche.
Nach der zweiten gescheiterten Beziehung beschleicht uns eine leise Ahnung, dass Disney in seinen Zeichentrickfilmen wohl nicht die ganze Wirklichkeit abgebildet haben könnte. Die Ahnung, dass wir selbst etwas für unser Glück tun können und es auch tun sollten. Die Ahnung, die uns endlich von unserer naiven Passivität wegbringt, in der wir uns so sicher geglaubt haben. Wir verlassen unser Luftschloss, in dem wir so lange auf den Prinzen gewartet haben und irgendwas in uns zerbricht. Wir glauben vielleicht, es wäre ein Schmerz, der niemals vergeht, aber es wird besser. Und dann schließlich erkennen wir nach Jahren, dass es viel einfacher ist, wir gehen unseren Weg und verstehen mehr, dass die Selbstlosigkeit nur bis zu einem gewissen Grad gut ist. Wir verstehen, dass uns unser Glück wichtig sein muss, denn sonst haben wir keine Möglichkeit auch andere glücklich zu machen.
Der Prinz wird nicht kommen, wenn wir nicht bereit sind, uns selbst zu akzeptieren, zu lieben und an uns zu arbeiten. Erst wenn wir das verstanden haben und es auch leben, erst dann sind wir bereit für unser eigenes Märchen. In dem vielleicht auch ein Märchenprinz vorkommt. Aber wenn nicht, dann sind wir auch zufrieden.
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