Borderline wird unter den Cluster B – Störungen als „Beziehungsstörung“ eingeordnet. Was viele nicht wissen, ist, dass es sich hierbei um eine Traumafolgestörung handelt. Was ist ein Trauma, wie wirkt es sich aus und was bedeutet dies für Borderline-Betroffene?
Die Ursachen für Traumata können in zwei Kategorien unterteilt werden: Zum einen können sie durch Unfälle oder Naturkatastrophen entstehen, welche meist zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) führen. Die Hochwasser Katastrophe in Erftstadt wäre hier ein nennenswertes Beispiel. An dieser Stelle möchte ich mein Mitgefühl für alle Betroffenen zum Ausdruck bringen und hoffe, dass alle einen Umgang mit dieser Tragödie finden ohne tiefgreifende Traumafolgestörung. Zum anderen gibt es Traumata, die durch andere Menschen verursacht werden. Diese lösen meist Traumafolgestörungen aus, welche in diversen Persönlichkeitsstörungen münden können. Cluster B – Störungen, welche als „Beziehungsstörungen“ deklariert werden, vereinen die antisozialen Störungen, wie die emotional-instabile, die narzisstische und die histrionische Persönlichkeitsstörung. Durch Gespräche mit vielen anderen Betroffenen kann ich behaupten, dass allen diesen Krankheitsbildern schwere traumatisierende Verletzungen zugrunde liegen – allesamt verursacht durch Menschenhand!
Persönlichkeitsstörungen als Folge von unverarbeiteten Traumata
Eine Persönlichkeitsstörung hat sich entwickelt, weil der Mensch mit diesen erlebten Verletzungen einen Umgang finden musste, um (weiter-) zu leben. Somit kann man pauschal sagen, dass die verschiedenen (dysfunktionalen) Verhaltensweisen verschiedener Störungen eine Art der Kompensation darstellen. Doch die Ursache für diese „abnormalen“ Verhaltensweisen liegt im erlebten Trauma. Klammern wir den Aspekt der Persönlichkeitsstörungen aus und widmen uns dem Trauma. Was geschieht bei einem Trauma im Körper und im Gehirn eines traumatisierten Menschen? Es ist wissenschaftlich belegt, dass ein Trauma zu einer Änderung der Gehirnchemie führt. Dies ist mittels MRT ermittelbar und vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb zu einer sicheren Diagnostik ein Hirn-Scan durchgeführt wird. Eine Traumafolgestörung ist eine besondere Bearbeitungsform unseres Gedächtnisses, welches sich in gewisser Weise „selbstständig“ macht und dessen Folgen bis in den Körper reichen.
Veränderung der Wahrnehmung und des Realitätserlebens als Traumafolge
Das Realitätserleben ist bei traumatisierten Personen eingeschränkt, respektive nicht richtig funktional. Auch haben Menschen mit Traumata eine andere Wahrnehmung als Menschen, die kein Trauma erlitten haben. So kommt es vor, dass diese Personen nicht mehr zwischen den unbewussten Gedächtnisinhalten und der gegenwärtigen Realität unterscheiden können. Ein Trauma schlägt sich auf Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen nieder. Ein Trigger (Auslöser) ruft somit eine unwillkürliche Reaktion hervor, welche meist in Abwehr-, Schutz- und Vermeidungsstrategien münden. Betroffene können diese Reaktionen meist selbst nicht einordnen und entwickeln daher oft eine große Scham und Schuld über dieses unwillkürliche Agieren auf eine als Belastung empfundene Situation.
Trauma-Netzwerke führen zu unwillkürlichen impulsiven Verhalten
Für diese aufgezählten Reaktionen müssen sich Betroffene nicht schämen. Denn sie sind vollkommen normal und neurobiologisch plausibel ableitbar. Durch die erlebten belastenden Situationen haben Betroffene im Gedächtnis ein Trauma-Netzwerk geschaffen. Wiederholt sich eine ähnliche Situation, welche an das traumatisierte Ereignis erinnert, beginnt die unwillkürliche Reaktion des Traumatisierten. Der Betroffene kann gar nicht anders, als die alten Erinnerungen wieder abzurufen (Flashback), da die Gehirnareale miteinander verknüpft sind. Ein Trigger kann hier ein Gefühl, ein Gedanke oder sogar ein bestimmter Geruch sein, mit dem der traumatisierte Mensch sich in das alte Gefühl zurückversetzt fühlt und unwillkürlich handelt, um sich erneut vor einer vermeintlichen Gefahr zu schützen. Ein unverarbeitetes und unbewusstes Trauma ist eine große Belastung für Betroffene. Dies führt dazu, dass diese Menschen dazu neigen, alles was assoziativ mit Trauma zusammenhängt (Gedanken, Gefühle und Gedächtnisinhalte) zu vermeiden. Dissoziation ist eine Form, welcher sich Betroffene bedienen, um mit belastenden Situationen umzugehen.
Emotionale Instabilität als dauerhaftes Merkmal eines Traumas
Ein früh in der Kindheit erlebtes Trauma kann sich bis zum 14. Lebensjahr wieder auflösen. Doch wenn der Traumatisierte weiterhin einer invalidierenden Umgebung ausgesetzt ist, weiterhin in Täterkontakt steht oder die Auflösung des Traumas durch Schuld und Scham gestört wird, können sich Traumafolgestörungen herausbilden. Dies kann dazu führen, dass Betroffene in ihrem Leben mit einem dauerhaften instabilen Gefühlserleben zu kämpfen haben. Eine Borderline-Störung bildet sich heraus. Weitere Traumafolgestörungen können sein: Depressionen, Angststörungen, dissoziative oder somatoforme Störungen.
Manche Menschen schlussfolgern aus ihren Traumata, dass sie grenzenlos schlecht sind und nur deshalb diesen Situationen ausgesetzt waren. Oder sie leiten ab, dass die Welt ein unsicherer Ort ist und man niemandem vertrauen kann. Auch ich, als Borderline-Betroffene, kenne diese Gedanken und habe lange Zeit geglaubt, dass ich all das Erlebte verdient habe. Diese Gedanken haben sich unbewusst in meinem Gedächtnis und Körper festgesetzt. Erst ein einmaliger Drogenkonsum hat mir diese Gedanken aufgezeigt, sodass ich auf meinem Drogentrip plötzlich die Erkenntnis hatte, dass ich ja gar kein böser Mensch bin.
Wie entstehen Traumata?
Traumata entstehen bei erlebten Ereignissen, welche eine Reaktion der intensiven Furcht, der Ausweglosigkeit oder des Schreckens bei Betroffenen auslöst. Verbunden mit einer empfundenen Ohnmacht, dieses Ereignis nicht abwenden zu können, fallen Betroffene meist in eine Erstarrung, wenn die Möglichkeiten der Flucht und / oder der Gegenwehr nicht gegeben sind. Dies ist ein natürlicher neurobiologischer Prozess und ebenfalls in der Tierwelt zu beobachten. Verbleibt diese angestaute Energie im Körper und kann nicht abfließen, schließt sich das Trauma im Körper ein. Ein Trauma ist ein Gefühl, welches in dieser belastenden Situation nicht ausgelebt werden konnte. Ohne das Abfließen dieser Energie, bleibt das Gefühl im vegetativen Nervensystem gespeichert. Ein Trauma ist nicht, rein kognitiv zu erfassen. Eine Verarbeitung allein mit einer kognitiven Gesprächstherapie hilft zwar, dass die Sachverhalte logisch erfasst werden können und der Betroffene ein grundlegendes Verständnis für seine Verhaltensmuster erhält, doch auch der Körper muss mittels Körperpsychotherapie therapeutisch inkludiert werden.
Trauma-Therapie schafft räumliche und zeitliche Abtrennung der Gedächtnisinhalte
Eine Therapie kann helfen, die traumatischen Anteile und das Hier und Jetzt gleichzeitig zu aktivieren, sodass das Trauma-Netzwerk getrennt wird. Dadurch wird das Trauma zu einer traurigen Erinnerung transformiert und der Betroffene ist seinen unwillkürlichen, impulsiven Handlungen nicht mehr unterlegen. Daher ist Achtsamkeit ein essenzieller Baustein in der Therapie von Borderline-Patienten. Meditation und kohärentes Atmen kann helfen, sich in die Gegenwart zurückzuholen. Doch langfristig muss eine Trennung der Trauma-Netzwerke im neurologischen Sinne passieren, sodass die beiden angesprochenen Hirnareale sich bei Triggern künftig nicht gemeinsam verbinden und eine Reaktion auslösen.
Es besteht also Hoffnung für Menschen mit Traumata, diese aufzulösen und sich so langfristig von unwillkürlichen und impulsiven Verhaltensweisen zu befreien und seinem Leben eine Qualität zurückzugeben, welche hoffentlich von Frieden, Vertrauen und Zuversicht geprägt sein wird.
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