Was ist, wenn mein Nächster nicht meine Worte am dringendsten braucht, sondern mein Ohr? Und was, wenn das genau das ist, wozu ich berufen bin? Ein Kommentar aus christlicher Perspektive.
Diese Situation kennen wohl viele Menschen: Obwohl die eigenen Argumente eindeutig die besseren zu sein scheinen und man davon überzeugt ist, für das Richtige einzustehen, will der Gesprächspartner das einfach nicht einsehen. Das ist deprimierend und sinnlos zugleich. Aber muss ich denn überhaupt durch meine Worte überzeugen? Ist das meine Pflicht als Christ, den Glauben mit meinen Worten zu verteidigen, nur um mich genau positioniert zu haben? Ich würde sagen, nein.
„Wisset, meine geliebten Brüder und Schwestern: Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn; denn der Zorn eines Mannes schafft keine Gerechtigkeit vor Gott.“ – Jak 1, 19f
Gott will, dass wir auf ihn hören, weil er uns liebt. Denn wenn das so ist, dann kann uns niemand einen besseren Rat oder eine bessere Weisung geben als er. Zuhören scheint also ein wesentlicher Bestandteil von Liebe zu sein. Wenn meine beste Freundin mir gerade erzählt hat, dass ihre Oma gestorben ist, braucht sie keine ausführlichen Erklärungen von mir über den Sinn von Leben und Tod oder eine ausformulierte Trostrede. Sie braucht mich als Freundin, die einfach nur bei ihr ist und ihr Raum gibt, um zu reden und zu trauern.
Gleiches gilt aber auch für die schönen Momente im Leben. Wenn der Ehemann nach Hause kommt und ganz begeistert davon erzählt, dass er endlich seine lang ersehnte Beförderung bekommen hat, möchte er sich einfach nur freuen. Dafür muss ich ihm keine weiteren Argumente auflisten oder erklären, dass ihm das sowieso schon lange zugestanden hätte. Aber wie ist das bei uns Menschen? Wie gut sind wir darin, einander Gehör zu schenken? Wie gut sind wir darin, einander zu lieben?
„Auf guten Boden ist der Samen bei dem gesät, der das Wort hört und es auch versteht; er bringt Frucht – hundertfach oder sechzigfach oder dreißigfach.“ – Mt 13, 23
Wenn wir von Mission hören, denken wir oft zuerst an übereifrige Menschen, die jedem ihren Glauben aufdrängen wollen, der ihnen über den Weg läuft. Aber Mission ist viel mehr als das. Mission beginnt da, wo ich in meinem Nächsten Jesus sehe und ihn liebe. Da, wo ich meine Zeit opfere, um für jemand anderen da zu sein. Mission heißt, das zu leben, woran ich glaube. Immer und überall.
Ich kann aber nur dann nach Jesu Wort leben, wenn ich nicht aus mir selbst heraus versuche, für ihn einzustehen, sondern all meine Kraft aus ihm ziehe. Licht und Salz kann nur der sein, der es von Gott empfängt. Bevor ich also mit einem anderen Menschen spreche, muss ich auf das Wort hören und es verstehen. Dann erst kann ich Frucht bringen.
Zugehört, verstanden, angenommen – und jetzt?
Was nützt es mir denn nun, wenn ich zwar weiß, was ich glaube, mein Gegenüber aber immer noch nicht? Sehr viel, um genau zu sein. Es ist eine riesige Chance, am Leben des Anderen teilzuhaben. Das bedeutet nicht, dass man seine Überzeugungen immer für sich behalten muss. Es bedeutet eher, dass ich jetzt dem Anderen Raum geben kann, mir von seinen Überzeugungen zu erzählen. Wie oft fragen wir das überhaupt noch: Woran glaubst du? Für was lebst du? Woran hängt dein Herz? Denn warum sollte mein Nächster Interesse an meiner Geschichte haben, wenn ich nicht einmal bereit bin, mir seine anzuhören?
Wie ich mich verhalte, kann also oft ein viel größeres und ehrlicheres Bild von mir und meinen Überzeugungen malen als alles, was ich mit meinen Worten sagen könnte. Ich kann meinem Gegenüber eine ganze Weile von der Liebe Gottes erzählen und ihn nicht zu Wort kommen lassen. Was ich ihm damit aber eigentlich sage, ist nichts anderes als: „Ich liebe dich nicht genug, um mir deine Geschichte anzuhören, sondern gerade genug, um dir meine Geschichte zu erzählen“. Dabei ist es gar nicht unsere Aufgabe, möglichst vielen Menschen ein bisschen Liebe zu schenken. Es ist unsere Aufgabe, dem Einen, dem wir gerade begegnen, unsere ganze Liebe zu schenken. Das ist, was Mission wirklich bedeutet. Keine Angst davor zu haben, mit allem was man ist und hat, zu lieben, so wie Jesus geliebt hat.
„Gebt also acht, dass ihr richtig zuhört!“ – Lk 8,18
Heißt das jetzt, ich darf nicht über mein Glauben sprechen? Nein. Alles hat seine Zeit, reden wie auch reden lassen. Es liegt an uns, das eine vom anderen zu unterscheiden. Das Zuhören ist allerdings eine Tätigkeit, die wir scheinbar verlernt haben. Gerade Zeiten wie diese eröffnen da die Hoffnung, dass wir es wieder neu lernen können und dürfen. Wir sind gezwungen, alles einen Schritt langsamer anzugehen. Mit der neu gewonnenen Zeit verschwinden auch die Ausreden, sich vor der Auseinandersetzung mit sich selbst wie auch seinen Nächsten zu drücken.
Plötzlich sind wir mit uns allein, ob wir wollen oder nicht, und hören auch in uns selbst hinein. Wo stehe ich eigentlich gerade, so ganz persönlich? Keine ganz angenehme Frage, aber eine wichtige. Denn manchmal sind wir uns auch selbst der Nächste und verdienen es genauso, uns einfach mal zuzuhören. Zuhören ist wichtig. Das erleben wir im Moment sehr deutlich, weil vielleicht manchmal keiner da ist, der uns zuhören könnte. Außer Jesus, denn der war und ist ein sehr guter Zuhörer. Warum also nicht die Chance nutzen und es einfach mal machen – zuhören?
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