Vilnius, Litauen. Tag eins nach Anreise und den „Kükenstatus“ hatte ich bereits inne. Ich war ja immerhin knapp 50 Jahre jünger als meine Mitreisenden. Wir saßen im Bus und es wurde gesungen – ein Lied über die Vielfalt Europas. Mein Vater neben mir lachte sich schlapp, denn es wurde geschunkelt und geklatscht. Wir befanden uns auf unserer gemeinsamen Rundreise durch die drei baltischen Staaten und die 45-köpfige Gruppe bestand außer uns aus äußerst aufgeweckten und reiselustigen Senioren.
Mein Vater hatte mich gefragt, ob ich an einer Studienreise teilnehmen wolle, die uns zehn Tage lang die Schönheit Litauens, Lettlands und Estlands näher bringen würde. Na klar, dachte ich mir, die Aussicht auf eine spannende Zeit im Ausland war schließlich eine gute Abwechslung zum Alltag zuhause. Auch die Tatsache, dass es sich um eine Tour für Europa-affine Seniorinnen und Senioren, im Folgenden nur noch Europäer und Europäerinnen genannt, handelte – alles kein Problem. Und so flogen wir mit gepackten Koffern los und hatten von Anfang an in der Hauptstadt Litauens einige interessante Tage. Unsere mütterliche Reiseleiterin bemühte sich stets, uns die Vorteile Litauens zu vermitteln und machte uns neben den Sehenswürdigkeiten Vilnius’ mit den lokalen Spezialitäten und Schnäpsen bekannt.
Vilnius – Riga – Tallinn – Helsinki
Nach drei intensiven Tagen in Litauen mit vielen Stopps an beliebten litauischen Urlaubsorten fuhren wir nach Riga, in die lettische Hauptstadt. Lange Zeit auch von Deutschland besetzt, gab es vielerorts deutsche Einflüsse und weitere Touristen zu beobachten. Unsere Stadtführerin machte uns mit dem Stadtbild und wiederum lokalen Spezialitäten vertraut – natürlich gab es auch in Riga einen leckeren Kräuterschnaps zu probieren.
Auch dem Fußballspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die USA wurde gebührend Aufmerksamkeit geschenkt. Wir hatten ein wenig Angst gehabt, dass die WM eher einen nebensächlichen Status innehaben würde, aber ganz zu unserer Überraschung wurden die Schminke, mehrere Blumenketten und sogar Pappbecher mitsamt Tischfähnchen zum Essen ins Hotelrestaurant mitgebracht. So viel Einsatz hatten selbst wir „jungen Küken“ von 20 und 54 Jahren nicht aufgebracht – ein Herr schlug sogar vor, gemeinsam aufzustehen, um die Nationalhymne mit der Hand auf dem Herzen zu singen, aber das war uns anderen dann doch ein bisschen too much. Er gab sich damit zufrieden, ein Deutschland-Tuch um den Kopf gewickelt anzubehalten, bis unsere Jungs es endlich ins Achtelfinale geschafft hatten.
Die Stimmung in der Gruppe war an sich sehr gut, obwohl das gelegentliche „Och, jetzt halt’ doch mal den Rand, Hilde“ nicht ausblieb. So wurden neben zahlreichen Besichtigungen von Museen und Kirchen auch gewisse Streitgespräche untereinander ausgetragen. Was natürlich ganz normal ist bei einer Gruppe dieser Größe, aber die verbale Auseinandersetzung hatte wirklich ihren ganz eigenen Charme. So waren Bezeichnungen wie „Kulturhexe“ und „Besserwisser“ an der Tagesordnung, ebenso wie das obligatorische Augenverdrehen, wenn jemand schlecht hörte oder sich lautstark über den müffelnden Bus beschwerte. Nein, also langweilig wurde es wirklich nie. Zumal viele Mitreisende ein großes Interesse an Wortwitzen aufwiesen. Hier also die Frage: Was bedeutet Sonnenuntergang auf Finnisch? Na?! Hel-sinki natürlich!
Nach unserem Trip nach Riga folgte Tallinn, die mittelalterliche Hauptstadt Estlands. Wir hatten das große Glück, sowohl an einem Gespräch mit dem deutschen Botschafter vor Ort teilzunehmen, als auch die schöne Altstadt und den großen Hafen zu erkunden. Abends natürlich der obligatorische Kräuterlikör. Und zwischen zwei Fußballspielen traf man sich des Öfteren in der Stadt, zum kleinen Verdauungsspaziergang. Toll waren auch die Gespräche bei Tisch, wo von vorherigen Reisen in Länder wie China oder Syrien erzählt wurde, oder von einer sehr fürsorglichen und stets in tolle Kleider gehüllten Wirtin aus Berlin-Kreuzberg, die besonders bei den Herren der Runde viel Einfluss hinterlassen zu haben schien.
Ein Hoch auf das Alter!
Die einstündige Katamaranfahrt in die finnische Hauptstadt durfte nicht fehlen und so erfuhren wir, dass eins, zwei, drei, ganz viele Tore im Torwandschießen nach den 120 Spielminuten eines K.O.-Spiels doch was Tolles seien und dass die Frauen Jogi Löw, „unseren Schatz“, mit nass-feuchten Haaren nie wieder so sehen wollten. Ein großer Spaß, die Konversationen zum Thema „Der braucht dreimal täglich ein Steak“ und „Irmi, lass’ den jungen Mann in Ruhe!“.
Als wir nach anderthalb Wochen ohne besonders großen Lagerkoller wieder in Frankfurt landeten, herrschte durchaus ein wenig Traurigkeit, allerdings waren die meisten froh, ihren Kindern und Enkelchen vom Erlebten zu berichten. Unvergessen sein wird der Ausruf eines Herrn beim Spiel gegen Mexiko: „Ich kenne ja auch ein paar Mexikaner. Privat…“ und das Geburtstagsständchen zum Ehrentag meines Vaters – der ganze Bus sang engagiert und im Kanon auf Litauisch. Ein Hoch auf das Alter!
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