Homosexuelle sind pervers, krank oder ansteckend?? Solche Vorurteile halten sich immer noch im Alltag hartnäckig. Eine kritische Auseinandersetzung mit einer Reihe von Vorurteilen und Klischees von Johanna Gremme.
Es gibt sie zuhauf. Es gibt sie immer und überall: Vorurteile. Leider begegnen sie uns immer wieder. Gegen alles und jeden. Nach wie vor auch gegen Homosexuelle. Gemeinsam mit einigen Menschen aus der Szene habe ich mich daher zusammengesetzt und zehn Vorurteile gesammelt, unter denen Homosexuelle häufig zu leiden haben.
1. Das rosa T-Shirt
Der Klassiker: Jeder Homosexuelle trägt rosa T-Shirts, klar, oder? Heißt im Umkehrschluss: Jeder Schwule, der kein Rosa T-Shirt trägt, ist nicht schwul? Oder jeder Hetero, der sich dem vorzüglichen Modebewusstsein seiner homosexuellen Kollegen anschließt, ist schwul? Fakt ist: Rosa und Pink sind einfach Farben, die auch Männern gut stehen. Homosexuelle haben sich eben als erste getraut, Farbe zu bekennen.
2. Der nasale Slang
Viele glauben, dass man Homosexuelle schon von Weitem an ihrer Stimmlage und Intonation erkennt. Einige bestimmt. Viele haben einen nasalen Slang. Aber genauso viele laufen in der Stadt an mir vorbei, denen ich ihre Homosexualität nicht anhöre. Sie sprechen genauso wie Ottonormalverbraucher.
3. Homosexualität und Aids
Eigentlich dachte ich immer, dass es sich bei dem folgenden Vorurteil um ein Relikt aus dem vergangenen Jahrhundert handelt. Aber noch immer glauben viele Menschen, dass Aids einzig und allein eine Homosexuellen-Krankheit ist. Und sie glauben weiter, dass nahezu jeder von ihnen von dem HIV-Virus befallen ist. Beides stimmt nicht. Es stimmt allerdings, dass die Krankheit Aids durch Homosexuellen-Hetze in den 80er-Jahren eine gewisse mediale Karriere gemacht hat, die bis heute anhält. „Sad-Fact“ am Rande: Homosexuelle dürfen in Deutschland kein Blut spenden. Soweit reichen also die Vorurteile.
4. Der „schwule beste Freund“
Jeder Schwule hat eine allerbeste Freundin! Hat er? Es stimmt, dass viele Homosexuelle oft mit Frauen sehr gut befreundet sind. Aber die Gründe liegen doch auf der Hand: Sie teilen einfach mehr Gemeinsamkeiten. Viele homosexuelle Männer fühlen sich in der Anwesenheit von Frauen wohl und umgekehrt fühlen sich viele Frauen in der Anwesenheit von homosexuellen Männern wohl. Vielleicht liegt das daran, dass keine sexuelle Spannung oder irgendein Erwartungsdruck die Beziehung belastet. Trotzdem ist der „schwule beste Freund“ keine Trophäe, mit der sich Frauen brüsten sollten. Und schon gar kein Schoßhündchen.
5. Das Sexualleben
Homosexuelle wollen immer. Dieses Vorurteil kann sich nur ein Heterosexueller überlegt haben, der mit seinem eigenen Sexualleben nicht glücklich war. Nur weil Homosexuelle gerne Sex mit dem gleichen Geschlecht haben, haben sie deswegen noch lange kein gesteigertes Sexbedürfnis. Mal abgesehen davon, dass es überhaupt niemanden etwas angeht, wie andere Menschen ihr Sexualleben gestalten – es sei denn, sie sind deren Partner – scheint es dennoch für einige interessant zu sein, sich das Sexualleben von Homosexuellen auszumalen. Während viele davon ausgehen, dass Lesben gar keinen Sex haben können, kursieren über die Sexualität von Schwulen die wildesten Phantastereien. Eigentlich sehe ich gar nicht ein, an dieser Stelle wiederzugeben, was andere sich so eifrig überlegen. Das fände ich den warmen Jungs gegenüber irgendwie hintenrum…
6. Die Erziehung
Ich kann es kaum glauben, dass es Menschen gibt, die die Ansicht teilen, dass Homosexuelle nur deswegen gleichgeschlechtliche Partner lieben, weil ihre Eltern bei der Erziehung einen Fehler gemacht haben. Erziehung hat natürlich einen unbestreitbaren Einfluss auf uns. Aber keine Erziehung der Welt ist dafür verantwortlich, wen wir lieben. Und Schuld trägt sie schon gar nicht. Denn Lieben ist ja kein Verbrechen.
7. Der Haarschnitt
Was ein Kurzhaarschnitt mit der sexuellen Orientierung zu tun haben könnte, scheint auf den ersten Blick schleierhaft. Nicht aber für die vehementen Skeptiker, die in Frauen mit Kurzhaarschnitt oft eine Lesbe vermuten. Jede heterosexuelle Frau mit Kurzhaarschnitt sollte sich also Gedanken machen, ob sie nicht einen Haarschnitt trägt, den ihr ihr Unterbewusstsein diktiert hat. Man könnte meinen, sie sei einem „Freudschen Haarschnitt“ zum Opfer gefallen.
8. Das ständige „HOP-ON HOP-OFF“
Alle Homosexuellen, egal, ob Männlein oder Weiblein, seien in ihren Beziehungen sprunghaft, heißt es oft. Wenn überhaupt mal eine feste Beziehung zustande komme, dann halte sie ganz bestimmt nicht so lang wie eine Beziehung eines heterosexuellen Paares. Kaum zu glauben. Schließlich sehen sich viele Homosexuelle auch nach einer liebevollen, treuen und dauerhaften Beziehung wie jeder andere auch. Entweder, man ist als Person ein Einzelgänger oder ein Beziehungsmensch. Ungeachtet der sexuellen Vorlieben.
9. Die Memme und die Kampflesbe
Schwule sind Memmen und Lesben sind Kampflesben. Da gibt es nichts zu rütteln. Wenn ich mir allerdings meine homosexuellen Freunde und Freundinnen so anschaue, dann kann ER oft sehr gut mit anpacken und mir erklären, wie ich mein Fahrrad reparieren muss. Und SIE ist bestimmt nicht auf Krawall gebürstet, sondern vielmehr sehr emotional und verletzlich. Bestimmt gibt es Memmen und Kampflesben auf dieser Welt, die zufällig homosexuell sind. Aber es gibt auch viele heterosexuelle Memmen.
10. Der Hass auf das andere Geschlecht
Weil es so schön absurd ist, last but not least: Schwule hassen Frauen und Lesben hassen Männer. Sagt man. Aber nur, weil Schwule Männer lieben und Lesben Frauen, heißt das noch lange nicht, dass sie Menschen vom anderen Geschlecht nicht mögen. Das ist ja bei Heterosexuellen auch nicht so.
Fazit
Alle Angaben sind ohne Gewähr und basieren nicht auf empirischen Untersuchungsergebnissen. Die Auswahl der Vorurteile ist alles andere als absolut. Aber sie zeigt: Vorurteile können unrealistisch sein und sich trotzdem beständig halten. An vielen Vorurteilen mag ein Fünkchen Wahrheit dran sein. Schließlich existieren sie nicht einfach aus dem Nichts heraus. Bestimmt mag es Homosexuelle geben, die Skeptiker an Veranstaltungen wie dem CSD bewusst provozieren, indem sie viele Klischees bedienen. Es gibt sie bestimmt, die Offensiven, die Angriffslustigen, die bewusst herausstellen wollen, dass sie anders sind. Trotzdem gilt: Homosexuelle sind einfach Menschen, wie wir alle.
Henry Reker
Wir sollten uns endlich von allen moralischen Werten verabschieden. So sehe ich das. Ganz, ganz toller Artikel!
Noah
Du meinst Vorurteile. Moral ist etwas anderes. Keine Moral wäre, wenn ich einem Baby den Lutscher stehle und das weder als gut noch schlecht gewertet werden würde. Dann könnten wir auch morden, zb. um die Konkurrenz auszuschalten. In der Liebe oder dem Job oder einfach weil wir Bock darauf haben. Logisch gesehen ist das Abschaffen von Moral also höchst unklug, vorsichtiger formuliert als vorher.
Zu dem Artikel: Vorurteile gibt es halt. Das ist ein sehr sehr alter Hut. Es wäre interessanter zu lesen, wen sie stören, wie sie entstehen und warum wir sie so gerne kultivieren, anstatt sie zu rezipieren. Das ist doch verschenkte Zeit.
Jasmin Seysen
Zum rosa T-Shirt:
Schade, dass du hier nicht erwähnst, was viele Menschen heutzutage mit Farben verbinden. Noch vor ein paar Jahrzehnten etwa war das ganz anders: da hat man kleinen Buben die starke, männliche Farbe rosa und kleinen Mädchen den lieblich himmelblauen Strampler angezogen. Gleiches gilt z.B. für Highheels: Angehobene Schuhe wurden ursprünglich von Männern getragen und Frauen nahmen sich dieser in der Folge an, um männlicher, emanzipierter und angesehener zu wirken. Warum man heute rosa mit den Schwulen verbindet, ist eine sehr interessante Frage. Haben sich Schwule vielleicht ursprünglich tatsächlich absichtlich rosa angezogen, um anderen Schwulen zu signalisieren: “Huhu! Ich bin hier! Ich bin schwul! Beachte mich bitte!”, denn auch die Partnersuche ist manchmal erschwert, wenn doch der Großteil der Bevölkerung heterosexuell ist und man es nun einmal ganz sicher nicht jedem Schwulen ansieht, dass er Männer steht.
Zu den kurzen Haaren:
Dazu passt auch der Eindruck, dass alle Lesben kurze Haare tragen. Wie bei der Highheels-Theorie auch, glauben viele Menschen, Lesben schnitten sich früher die Haare kurz, um männlicher auszusehen. Viel zu lange (und bei manchen auch noch heute) herrschte das Bild, in einer Beziehung müsse ein Partner die männliche und einer die weibliche Rolle übernehmen. Warum gerade kurze Haare und nicht etwa lange (früher auch mal ein Bild von Männlichkeit) ist wohl historisch so erwachsen, aber wie so viele Rollenvorstellungen sehr flexibel und veränderbar.
Wenn ich in ein queeres Café hier in Wien gehe, sehe ich auch sehr viele Lesben mit langen Haaren und viele Schwule, die nicht rosa tragen. Objektiv glaube ich, ist das kein anderes Bild als eines, was man in einem Café vorfindet, das sich nicht explizit “LGBT welcome” auf die Flagge schreibt.
Zur Blutspende durch Homosexuelle:
Was das mit Vorurteilen zu tun hat, ist schleierhaft. Das Rote Kreuz z.B. schreibt auf seiner Homepage: “International besteht Konsens, dass MSM-Kontakte [, das sind Männer, die mit Männern Sex hatten,] als Risikoverhalten einzustufen sind: Europarat, Europäische Blutallianz EBA, Europäische Qualitäts- und Gesundheitsbehörde EDQM und US-Lebensmittel- und Arzneibehörde FDA.” Das ist einerseits darauf zurückzuführen, dass das Ansteckungsrisiko mit dem HI-Virus tatsächlich erhöht ist beim Analsex. Dabei wird außer Acht gelassen, dass auch heterosexuelle und lesbische Paare Analsex haben. Andererseits kann nicht restlos ausgeschlossen werden, dass man im gespendeten Blut das Virus nachweisen kann, falls es da ist. My best guess ist, dass das Rote Kreuz einfach eine Risikogruppe ausschließt, um das Risiko zu minimieren, einen Patienten durch das Spenderblut anzustecken. Trotzdem gilt, wer ein schwuler Mann ist, der HIV-Tests zufolge gesund ist, sowie nur mit gesunden Partnern Sex hat, kann natürlich angeben, nicht schwul zu sein und trotzdem sein Blut spenden.
Zum schwulen besten Freund:
Dazu eine kleine Anekdote: Bei einer queeren Veranstaltung habe ich vor zwei Jahren einen Kerl kennengelernt, mit dem ich ab und zu abhing. Da ich neu in der Stadt war, zeigte er mir verschiedene Orte, erklärte mir, wo ich mein Semesterticket kaufen kann und lud mich schließlich auch mal in seine WG ein. Seinen Erzählungen zufolge war er schwul, schließlich hatte er bis jetzt nur mit Männern Sex gehabt. Umso mehr überraschte es mich, als er mir bei einem Filmabend sehr nah kam, kuscheln wollte, mich hier und da streicheln wollte, einen Versuch, mich zu küssen kaum zu verbergen versuchte…
So schnell werde ich sicher nicht mehr annehmen, dass ein schwuler Mann garantiert kein sexuelles Begehren nach Frauen hat!
Genauso habe ich auch eine gute Freundin, die sich jahrelang nur in Frauen verliebt hatte und jetzt einen festen Freund hat. Verdammt, ich merke selbst, dass ich früher mehr Interesse an Jungs hatte und mittlerweile mehr an Frauen. Der “schwule beste Freund” kann sich doch genauso verändern…
Zum Sexualleben:
Schade, dass du den Sex von Lesben nicht aufgegriffen hast. Regelmäßig muss ich darüber lachen, dass anscheinend lesbischer Sex kein richtiger Sex ist. Dabei scheinen sich weniger mal ernsthaft zu fragen, wo Sex denn eigentlich anfängt. Penetration? Machen Lesben auch. Geschlechtsverkehr mit der Möglichkeit der Fortpflanzung? Wie viele heterosexuelle Paare haben regelmäßig ungeschützten Sex (d.h. ohne Kondom, Pille, andere Verhütungsmittel)?
Lustig an diesem Mythos finde ich auch, dass tatsächlich einige lesbische Paare davon überzeugt sind, Heten (das abfällige Pendant zu den Schwuchteln) könnten keinen richtigen Sex haben, da der unsensible Penis-in-Vagina-Kontakt/die Rein-Raus-Bewegung der Frau recht wenig bringt im Vergleich zum Oralsex egal bei welchem Körperteil, zu ausgeklügelter Fingertechnik, zum besser abgestimmten Aufeinanderachten; einem Mann wird dabei die typische Penisgesteurtheit vorgeworfen und außer Acht gelassen, dass auch er höchstwahrscheinlich ein Interesse am Vergnügen der Partnerin hat.
Alles in Allem finde ich, dein Artikel reißt einige interessante Themen und Vorurteile an, aber ich würde mir wünschen, dass einige Themen ein bisschen eingehender behandelt würden. Geschichtlich kann man zu vielen Fragen einiges herausholen!
Johanna Gremme
Liebe Jasmin, an deinem Kommentar kann man erkennen, dass jeder einzelne Punkt eine ganz intensive, eigene Beschäftigung verdient hat! In einem Text kann man nicht immer alles abdecken, es geht ja auch darum, dass Leute, die sich sonst gar nicht mit dem Thema beschäftigen, auf diese Weise etwas annähern können. Darüber hinaus ist es dann immer toll, wenn Leser eine eigene Meinung zu dem Text haben und die hier auch als Denkanstoß und Inspiration mitteilen. Also vielen Dank dafür!
Igor K
Ich bin selber schwul.
Alle reden darüber, wie die Schwulen diskriminiert werden. Aber keiner redet darüber, wie sich Schwule gegenseitig diskriminieren. Keiner redet darüber, wie die Schwulen miteinander umgehen – teilweise richtig wie der letzte Dreck. Wie kann es sein, dass Opfer von Mobbing und Ausgrenzung sich selber mobben und ausgrenzen, und zwar teilweise noch heftiger, gemeiner und verletzender. Und dann stellt man sich am CSD hin und fordert rotzefrech Toleranz und ein Ende der Diskriminierung. Das kann doch echt nicht sein!
Jeder, der die Szene gut kennt weiss, dass jede einzelne Zeile in dem Text nichts als die reinste Wahrheit ist. Dass ich eher noch untertrieben habe. Ich habe z.B. nichts erzählt über Missbrauch von Minderjährigen, Gewalt und Sadismus in Beziehungen, Absichtliches Infizieren mit AIDS, sowie über rassistisches Gedankengut, welcher unter den Schwulen weit verbreitet ist – AUSGERECHNET!!!
Ich finde, es ist etwas, was die breite Bevölkrung erfahren muss. Darum habe ich einen Song aufgenommen. Youtube -> “Igor K – Das ist schwul”
UnbekannterJunge
Man lasst doch mal diese Sache.
Wir sind nur Menschen.
Auch schwule sind Menschen. Was ist denn mit Lesben. Die haben auch Kinder. Woher? Adoptiert. Es kommt nur drauf an, wenn du mal wirklich Heiraten sollte wie du mit ihn umgehst..besser wir ihr euch versteht. Ich versteh mich ganz gut und ich hab keine Probleme damit und wenn einer Probleme macht dann schlagen wir beide zu, so einfach..
Ich bin auch momentan in ein jungen verliebt. Ich find es nicht so schlimm. Ich persönlich kann gut damit umgehen. Aber ich verrate es nicht. Und ich werde irgendwann einen heiraten und glücklich mit ihm sein. Viel Glück und viel Spaß für die Hetero und bies ^^.
Sven
Ich finde es völlig normal schwul zu sein. Also ich bin 100% Hetero aber ich mach da eigentlich gar keinen Unterschied. Befremdlicher ist da schon Transgender weil es auch die Erscheinung betrifft und man ja nicht täglich damit konfrontiert ist. Gewöhnungssache, aber ich würde nie einen Unterschied machen.
Wenn homosexuelle diskriminiert werden, werden sie meistens auf Ihre Sexualpraktiken reduziert. Dabei ist das überhaupt nicht wichtig, wichtig ist doch die Liebe dahinter.
Ich hatte mir mal eine Doku zur LBQT Demo angesehen, irgendwo organisiert in einem kleinen Nest um auf sich aufmerksam zu machen. Bei einer Demo denkt man ja erstmal einfach nur an verärgerten Mob. Aber diese Demo hat einfach nur Liebe ausgestrahlt. Ich war ergriffen.
Sicher ist das ein oder andere befremdlich für mich gewesen aber man muss da halt auch mal über die eigenen Eindrücke hinwegsehen.
Schade eigentlich, dass nicht alle Heteros so denken können, sonst könnte man sich doch einfach mal für die Leute freuen, statt sie anzufeinden.