Jeden Morgen sage ich meiner Pflanze guten Morgen. Nicht besonders spektakulär. Eher so beiläufig, beim Vorbeigehen. „Na, wie geht’s dir heute?“ Manchmal murmele ich noch ein „Hast du Durst?“ hinterher, gieße sie ein bisschen, schieb das Töpfchen ein paar Zentimeter näher ans Licht. Man kennt sich ja inzwischen.
Mein Nachbar wohnt ungefähr 2,4 Meter von dieser Pflanze entfernt. Tür an Tür. Wir sehen uns fast täglich im Flur. Aber ich schwöre, ich habe in den letzten zwei Wochen öfter mit der Pflanze geredet als mit ihm. Was irgendwie okay ist. Und gleichzeitig auch überhaupt nicht.
Das Kuriose: Bei Pflanzen ist es völlig normal, dass man mit ihnen spricht. Sogar empfohlen. Fördert das Wachstum, sagen manche. Stärkt die Verbindung, sagen andere. Keiner schaut dich schief an, wenn du mit deinem Gummibaum flüsterst. Mache das Gleiche beim Briefkasten mit deinem Nachbarn – und du bist plötzlich „der leicht seltsame Typ aus dem dritten Stock“.
Erwartungslosigkeit als Vorteil von Pflanzen als Gesprächspartner
Ich hab mich gefragt, woran das liegt. Also, warum es so viel einfacher ist, mit einer Pflanze ins Gespräch zu kommen als mit einem Menschen, der einen echten Satz zurück sagen könnte? Vielleicht liegt es an der Erwartungslosigkeit. Die Pflanze antwortet nicht. Sie bewertet nichts. Sie nickt nicht einmal. Sie steht einfach da und existiert. Und das reicht irgendwie schon, um eine Verbindung zu fühlen.
Menschen hingegen? Könnten zurückfragen. Könnten komisch gucken. Könnten irgendetwas über uns denken. Vielleicht ist es genau das. Diese ständige Sorge, irgendetwas Peinliches oder Seltsames zu machen. Also machen wir lieber gar nichts. Und nicken im Flur. Dieses kurze, fast schon reflexhafte Kopfnicken, das alles bedeuten kann oder gar nichts.
Umgang mit Pflanzen als Vorbild für Gespräche mit Nachbarn?
Ich kenne den Namen meines Nachbarn nicht. Aber ich weiß genau, wann meine Pflanze Wasser braucht. Ich weiß, dass sie im Juli diese eine braune Stelle bekommen hat, weil ich einmal drei Tage nicht da war. Ich habe ihr eine Spotify-Playlist gemacht, bei der ich glaube, dass sie sie mag. Ich weiß, es klingt komisch. Vielleicht ist es das auch. Aber irgendwie fühlt sich das echter an als die Gespräche über Wetter, Mülltrennung und Paketannahme im Hausflur.
Das ist natürlich kein Plädoyer gegen Smalltalk. Ich will auch nicht behaupten, dass ich jetzt völlig sozial verkümmert bin und nur noch mit Blattgrün kommuniziere. Aber manchmal frage ich mich, wie es wäre, wenn wir mit unseren Nachbarn so umgehen würden wie mit unseren Pflanzen? Einfach mal freundlich sein, regelmäßig Kontakt halten, ein bisschen Licht schenken, ohne gleich etwas zu erwarten.
Vielleicht würde es uns allen guttun, ein bisschen mehr zu gießen. Nicht nur Blumentöpfe, sondern auch die stille, unsichtbare Verbindung zwischen den Türen. Vielleicht wächst daraus ja etwas.






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