Neulich bin ich einem Satz begegnet, der mich nicht mehr losgelassen hat. Er hing unübersehbar an der Wand in der Wohnung eines Mannes, dem ich begegnet bin – nicht zufällig, wie ich glaube. Ich halte nichts von Zufall: Begegnungen sind gefügt. Gerade die Konfrontation mit Gegensätzen zwingt mich, meinen Glauben tiefer zu verstehen, Fragen zu stellen und Antworten neu zu suchen.
Der Satz lautete: „Ich bin frei. Ich bin Gott. Die Welt ist mein Spielplatz.“ Ich blieb innerlich stehen. Irgendwie kraftvoll, irgendwie provokant – und doch so gar nicht das, was mein Herz im Glauben trägt. Aber genau das machte es spannend. Was steckt hinter solchen Worten? Und was sagt mein Glaube dazu?
Der Mann praktizierte Yoga – nicht nur als Körpertraining, sondern als Lebensphilosophie. Weil heute viele Yoga üben, wollte ich verstehen: Wofür steht diese Sicht? Was unterscheidet sie vom christlichen Glauben – und gibt es vielleicht sogar echte Gemeinsamkeiten?
1. Identität im Yoga: Wer bin ich wirklich?
Die Kernfrage im Yoga lautet: Was ist mein wahres Selbst?
- Bin ich mein Körper?
- Bin ich meine Gefühle?
- Bin ich meine Gedanken?
- Die Antwort im Yoga: Nein.
Denn indem wir uns mit Körper, Emotionen und Gedanken identifizieren, entsteht ein Gefühl von Getrenntheit: Ich sehe mich als „eigenständiges Ich“, abgegrenzt von anderen, vom Kosmos, vom Göttlichen. Diese Abgrenzung gilt als Illusion (Maya), die Leiden hervorbringt.
Darum ist der Weg des Yoga, Schicht um Schicht dieses falsche „Ich“ abzustreifen. Was bleibt, ist das wahre Selbst (Atman) – und dieses ist identisch mit der göttlichen Wirklichkeit (Brahman). Identität im Yoga heißt: Am Ende bin ich nicht mehr Individuum, sondern eins mit dem All. Das Persönliche löst sich auf.
2. Identität im Christentum: Geschöpf und Kind Gottes
Auch der christliche Glaube fragt: Wer bin ich? Aber er gibt eine andere Antwort:
- Ich bin Geschöpf – von Gott erschaffen.
- Ich bin geschaffen im Abbild Gottes (Gen 1,27).
- In Christus darf ich Kind Gottes sein (Joh 1,12).
- Und: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein“ (Jes 43,1).
Das bedeutet: Ja, in mir spiegelt sich etwas Göttliches, weil ich sein Abbild trage. Aber ich bin nicht Gott selbst. Ich bleibe Geschöpf – und Gott bleibt Schöpfer. Theologisch wichtig:
- Das Abbild Gottes zu sein heißt, dass der Mensch zur Beziehung fähig ist: zu Gott, zu anderen, zu sich selbst.
- Es heißt nicht, dass ich „göttliche Natur“ in dem Sinn hätte, dass ich selbst Gott wäre. Meine Würde ist unverlierbar, aber bleibt immer Geschenk.
Während Yoga sagt: „Das Göttliche ist meine Natur“, sagt der Glaube: „Das Göttliche ist Gnade, die mir geschenkt wird.“
Im Yoga: Spiritualität bedeutet, meine Individualität loszulassen und im All zu verschwinden. Einen persönlichen Schöpfer gibt es nicht.
Im Christentum: Spiritualität bedeutet, in Beziehungen zu wachsen. Ich bleibe ich – aber werde verwandelt. Verwandelt heißt: Gott heilt, reinigt und vollendet mein wahres Ich, bis ich so bin, wie er mich gemeint hat. Gott schafft mich nicht, um mich im All zu verlieren, sondern um in einzigartiger Beziehung mit mir zu leben.
3. Freiheit – zwei Wege, ein großes Thema
Freiheit (Moksha) bedeutet:
- das Ego (Identifikation mit Körper, Gefühlen, Gedanken) zu überwinden,
- den Kreislauf von Geburt und Tod zu verlassen,
- zu erkennen: „Ich bin eins mit dem Göttlichen.“
Es ist die Auflösung des Ich-Bewusstseins.
Freiheit im Christentum
Freiheit bedeutet nicht grenzenlose Selbstverwirklichung, sondern Befreiung in eine Wahrheit hinein. Jesus sagt: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32). Und Paulus betont: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit“ (Gal 5,1).
Das heißt:
- Ich bin befreit von Schuld, Angst, Sünde und Tod.
- Meine Person wird nicht ausgelöscht, sondern vollendet – ich werde mehr ich selbst, so wie Gott mich von Anfang an gedacht hat.
Die Theologie spricht hier von einer Freiheit der Kinder Gottes (Röm 8,21): Ich bin nicht mehr Sklave meiner Begierden, Ängste oder des Urteilens anderer, sondern Kind – geliebt, angenommen, getragen.
Yoga sagt: „Ich bin frei, weil ich Gott bin.“
Christentum sagt: „Ich bin frei, weil Christus in mir lebt – und größer bleibt als ich.“
Und warum ist das echte Freiheit – und keine Abhängigkeit?
Weil Gott nicht wie ein tyrannischer Herrscher bindet, sondern wie ein Vater liebt. Seine Nähe raubt mir nichts, sondern schenkt mir Würde. Ich muss nicht alles selbst tragen oder sein. Ich darf Mensch bleiben – begrenzt, schwach – und bin doch unendlich geliebt.
Wahre Freiheit im Glauben heißt:
- Ich muss mich nicht selbst erlösen.
- Ich darf loslassen, ohne verloren zu gehen.
- Ich kann lieben – frei zum Guten, frei zur Wahrheit, frei zum Anderen.
Jesus selbst bringt das Paradox auf den Punkt: „Wer sein Leben festhalten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es gewinnen“ (Mt 16,25).
Christliche Freiheit ist also nicht Selbstauflösung, sondern Vollendung in der Liebe.
4. Liebe und Gemeinschaft – der große Unterschied
Im Yoga / New Age: Liebe wird oft als Energie verstanden: „Alles ist Liebe, alles ist Schwingung.“ Sie bleibt unpersönlich, eher Gefühl als Treue. Beziehungen dienen oft der Selbsterfahrung, solange sie angenehm sind.
Im Christentum: Liebe (Agape, die höchste Form der Liebe) ist:
- selbstlos, treu, hingebungsvoll,
- sichtbar in Jesus: „Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben hingibt.“ (Joh 15,13).
- die Grundlage von Ehe, Familie, Kirche.
Agape ist keine menschliche Leistung, sondern Geschenk. Nur durch Gott ist sie möglich. Deshalb kann ein Eheversprechen „bis dass der Tod uns scheidet“ Bestand haben – nicht, weil Menschen so stark wären, sondern weil Gottes Liebe trägt.
Und ja: Liebe kostet Opfer. Aber das Paradox des Glaubens ist: Durch Hingabe werde ich nicht ärmer, sondern reicher. Jesus sagt: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es finden“ (Mt 16,25). Nur durch empfangene Liebe kann ich schenken.
Christliche Liebe ist nie nur individuell. Kirche bedeutet: Glauben miteinander teilen, füreinander Verantwortung tragen. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (Mt 18,20). Natürlich kann ich allein beten – aber Glaube wird in Gemeinschaft vollkommen.
5. „Die Welt ist mein Spielplatz?“
Yogische Sicht: Wenn das Göttliche in mir ist, verliert die Welt an Gewicht. Sie ist Bühne, Durchgangsstation, nicht Ziel.
Christliche Sicht: Die Welt ist Schöpfung – geliebt und gewollt von Gott.
- Sie ist Ort der Entscheidung: für oder gegen ihn.
- Sie ist Vorbereitung auf die Ewigkeit.
- Sie ist Geschenk – aber auch Auftrag: zu bewahren, zu dienen, zu lieben.
Darum ist die Welt für den Christen kein bloßer Spielplatz, sondern Schöpfung – gewollt, geliebt und getragen von Gott. Sie ist Geschenk und Auftrag zugleich. Die Bibel sagt: „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist“ (Ps 24,1). Das bedeutet:
- Die Welt gehört nicht mir, sondern Gott. Ich darf sie empfangen – zum Genießen, aber auch zum Bewahren.
- Sie ist Ort der Freude: alles Gute, Schöne und Wahre spricht von Gottes Güte.
- Sie ist aber auch Ort der Verantwortung: mein Handeln hier entscheidet, ob ich in der Liebe wachse und für die Ewigkeit bereit werde.
Darum: Die Welt ist für Christen kein bloßes „Spiel“, sondern ein heiliger Raum, in dem Freude und Verantwortung zusammengehören – ein Garten, in dem ich schon jetzt Gottes Gegenwart leben darf.
6. Himmel oder Einheit?
- Yoga: Ziel ist Auflösung in der Einheit. Kein bleibendes „Du“.
- Christentum: Ziel ist Himmel – ewige Gemeinschaft mit Gott. Nicht Auflösung, sondern vollendete Beziehung. Ich bleibe ich, Gott bleibt Gott – und wir sind für immer verbunden.
7. Ein Bild, das den Unterschied erklärt
Beide Wege betonen: Gott ist nah. Doch:
- Yoga sagt: „Das Göttliche ist meine Natur.“
- Christentum sagt: „Das Göttliche ist Geschenk.“
So wie beim Licht:
- Der Spiegel leuchtet, aber nur, weil er Licht empfängt.
- Die Sonne ist die Quelle.
Ich bin Spiegel, nicht Sonne.
8. Meine Version des Satzes
Wenn ich den Spruch an meine Wand hängen hätte, würde er so klingen: „Ich bin frei – weil Christus mich befreit hat. Ich gehöre Gott – nicht mir selbst. Die Welt ist mir anvertraut – zum Lieben, nicht zum Spielen.“
Zusammenfassung: Warum ich dankbar bin für meinen Glauben
- Gnade statt Selbstoptimierung: Ich muss mich nicht selbst „erleuchten“. Ich darf Vergebung und Annahme empfangen.
- Beziehung statt Energie: Kein unpersönliches Universum, sondern ein Gott, der mich sieht und liebt.
- Wahrer Frieden: Befreiung von Zwängen, Abhängigkeiten und falschen Bindungen – echte geistliche Freiheit in Christus.
- Sinn und Identität: Ich muss mich nicht vergöttlichen, sondern darf meine wahre Identität finden: geliebtes Kind Gottes.
- Ein Ziel: Nicht Auflösung, sondern ewiges Leben bei Gott.
Fazit
Die Begegnung mit dem Satz „Ich bin Gott“ hat mich herausgefordert. Sie hat mir gezeigt: Worte haben Macht. Sie können irritieren – oder uns dadurch helfen, unser eigenes klarer zu sehen. Für mich bleibt:
- Ich bin nicht Gott. Und das ist gut so.
- Ich bin Spiegel seines Lichts, nicht Quelle.
- Meine Freiheit liegt darin, lieben zu können – aus Gott heraus, mit anderen, für andere.
Jesus sagt: „Wer sein Leben gewinnen will, wird es verlieren. Wer es aber um meinetwillen verliert, wird es finden.“ (Mt 16,25). Und genau darin liegt für mich die tiefste Freiheit: Nicht alles selbst zu sein, sondern in Gott alles zu haben.






Warum die katholische Kirche in Finnland wächst – auch ohne Unterstützung
Aber nicht jeder der es tut denkt er / sie sei gott denke ich , kann man ja auch nur als sport sehen
Ja natürlich kann man das auch. Es gibt auch viele Menschen, die sind keine Christen und feiern dennoch traditionell Weihnachten, und Glauben dabei nicht an die Geburt Christi.
Mir spricht der sehr gut geschriebene analysierte Text von Imke Sornek aus dem Herzen. Die theologischen Argumente sind sehr gut recherchiert und untermauern ihre Ansicht, die ich voll und ganz so unterschreiben würde. Danke Imke
Gerne würde ich diesen Text als E-Mail mal zugesendet bekommen, falls das möglich wäre.
Vielen Dank
Ich sehe das etwas anders. Als tief in der franziskanischen Tradition verwurzelt, ist für mich die Welt tief in Gott eingetaucht und das Göttliche allgegenwärtig. Der Panentheistische Ansatz drückt das wunderbar aus. Gott ist überall und noch viel mehr. Wir beten es auch jedesmal im Hochgebet “Durch ihn und mit ihm und in ihm”. Ich empfehle dazu sehr den Podcast “Barfuß und Wild”, der sich aus dieser franziskanischen Tradition entwickelt hat. Mit lieben Grüßen Karin