Kinder brauchen verlässliche und vertrauensvolle Beziehungen. Sie geben ihnen die Sicherheit, die sie brauchen, um neugierig ihre Welt erforschen zu können.
Liebe als sicherer Anker
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, ist es ganz auf andere angewiesen. Es braucht Nahrung, Wärme und Pflege, aber vor allem eins: Nähe – zu einem Menschen, der spürt, was es braucht. Der da ist. Der nicht nur mit den Händen versorgt, sondern mit dem Herzen.
Schon in den 1960er-Jahren zeigte der Kinderpsychologe Zdeněk Matějček in seinem Film „Kinder ohne Liebe“, was passiert, wenn diese Nähe fehlt. Kinder in Waisenhäusern, die zwar medizinisch versorgt wurden, aber keine persönliche Zuwendung erfuhren, entwickelten schwere emotionale und körperliche Schäden. Manche von ihnen starben, obwohl sie genug zu essen hatten.
Diese Erkenntnis ist nicht neu, aber sie ist heute so wichtig wie damals. Denn Kinder brauchen mehr als Versorgung. Sie brauchen Beziehung.
Warum Bindung überlebenswichtig ist
Bindung ist kein schönes Extra, sondern ein Grundbedürfnis. Das zeigt schon ein Blick auf unsere Entwicklungsgeschichte: Im Gegensatz zu vielen Tierarten sind Menschenbabys bei der Geburt vollkommen hilflos. Sie brauchen über Jahre hinweg Schutz und Begleitung.
Evolutionär gesehen diente Bindung dem Überleben. In einer gefährlichen Umwelt war es lebenswichtig, dass Kinder eng bei ihren Bezugspersonen blieben. Jede Trennung musste deutlich gemacht werden – durch Weinen, Klammern, Nähe suchen. Denn wer allein war, war schutzlos.
Deshalb sind Babys von Anfang an auf Beziehung hin angelegt. Wenn Eltern feinfühlig auf ihre Signale reagieren, entsteht Vertrauen. Und mit der Zeit wächst daraus die Sicherheit, sich auf die Welt einzulassen. Denn das Kind weiß: Ich darf weggehen – und ich darf auch zurückkommen.
John Bowlby, einer der wichtigsten Forscher auf diesem Gebiet, betonte: Jedes Kind braucht mindestens eine verlässliche Bezugsperson – jemanden, der emotional verfügbar, einfühlsam und konstant da ist. Daraus entsteht ein Gefühl von Sicherheit: „Ich bin nicht allein. Ich bin gesehen. Ich bin geliebt.“
Für Bowlby ist die Mutter-Kind-Bindung kein bloßer Instinkt oder Nebeneffekt der Versorgung, sondern ein eigenständiges psychisches Band. Ein kleines Kind sehnt sich nach der Nähe und Zuwendung seiner Mutter genauso intensiv wie nach Nahrung, weil beides lebensnotwendig ist.
Auch der Kinderarzt Donald Winnicott machte Mut zur Unvollkommenheit. Seine Idee der „gut genug“-Mutter sagt: Es reicht, wenn Eltern verlässlich, liebevoll und präsent sind. Fehler dürfen passieren – entscheidend ist, dass die Verbindung bestehen bleibt und immer wieder gestärkt wird.
Urvertrauen – das Fundament fürs Leben
Der Begriff Urvertrauen stammt vom Psychologen Erik Erikson. In seiner Theorie der psychosozialen Entwicklung beschreibt er, wie wichtig die ersten Erfahrungen mit Verlässlichkeit und Nähe sind. Ein Kind, das spürt: „Ich bin willkommen. Ich bin sicher“, entwickelt Vertrauen – in andere und in sich selbst.
Dieses frühe Vertrauen ist die Basis für vieles, was später kommt: psychische Stabilität, gesunde Beziehungen, ein stabiles Selbstwertgefühl und die Fähigkeit, mit Stress umzugehen.
Wie entsteht dieses Vertrauen?
Indem ein Kind immer wieder erfährt: Da ist jemand, der mich sieht. Der mich hört. Der bleibt. Wenn Eltern einfühlsam auf ihr Kind eingehen, wächst ein sicherer emotionaler Boden, auf dem es sich entfalten kann.
Was macht leibliche Eltern besonders?
Leibliche Eltern, besonders Mütter, sind dem Kind von Anfang an körperlich sehr nah: durch die Schwangerschaft, die Geburt und oft auch durch das Stillen. Diese Nähe schafft eine besondere Verbindung. Beim Stillen erlebt das Baby Berührung, Wärme, Blickkontakt, den vertrauten Herzschlag – all das stärkt das Gefühl von Geborgenheit. Gleichzeitig wird Oxytocin ausgeschüttet – ein Hormon, das die emotionale Bindung fördert.
Diese enge körperliche Erfahrung hilft vielen Müttern, die Signale ihres Babys besonders fein wahrzunehmen. Doch das bedeutet nicht, dass nur Mütter eine sichere Bindung ermöglichen können. Auch Väter, Großeltern oder Pflegeeltern können mit Zeit, Geduld und Zuwendung eine ebenso tragfähige Beziehung aufbauen. Entscheidend ist nicht, wer das Kind geboren hat, sondern vor allem wer verlässlich und kontinuierlich da ist.
Wer kann Bindung geben?
Grundsätzlich gilt: Jede liebevolle, verlässliche Person kann eine sichere Bindung aufbauen. Kinder brauchen Menschen, die präsent sind, die bleiben, auch über längere Zeiträume.
Das können auch Großeltern, Pflegeeltern oder Erzieherinnen sein.
In den ersten zwei bis drei Lebensjahren ist eine Hauptbezugsperson besonders prägend. Das liegt daran, dass ein Kind in dieser sensiblen Phase erst lernt, wie Beziehung funktioniert. Es braucht Orientierung, Verlässlichkeit, Wiederholung.
Viele Kinder kommen erst mit drei oder vier Jahren in den Kindergarten. Warum eigentlich? Entwicklungspsychologisch beginnt in diesem Alter eine neue Phase. In den ersten drei Lebensjahren bildet sich die Basis für das Urvertrauen, die emotionale Sicherheit und die Fähigkeit, stabile Bindungen einzugehen – wie Erik Erikson es beschreibt. Erst danach öffnet sich das Kind allmählich stärker nach außen, wird neugieriger auf andere Kinder und kann sich zunehmend von der engen Bezugsperson lösen.
Kita – welche Herausforderungen stellen sich?
Viele Eltern stehen heute unter großem sozialen und wirtschaftlichen Druck. Oft müssen beide Elternteile früh wieder arbeiten, aus finanziellen Gründen oder auch, weil es gesellschaftlich erwartet wird. Die Kita wird zur alltäglichen Realität.
Diese Realität ist nicht per se gut oder schlecht – sie ist komplex. In Gruppen mit vielen Kindern und wenigen Bezugspersonen ist es schwer, jedem Kind die Nähe zu geben, die es braucht. Das liegt nicht an fehlender Fürsorge, sondern oft an Rahmenbedingungen wie Zeitmangel, Gruppengröße oder Personalmangel.
Besonders in den ersten Lebensjahren ist emotionale Nähe und auch Exklusivität zentral. Kinder brauchen Menschen, die regelmäßig da sind, sie wahrnehmen und feinfühlig begleiten. Diese Form von Beziehung kann nicht beliebig ersetzt werden, auch wenn eine gute Kita vieles auffangen kann.
Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen. Sondern um Achtsamkeit: Was braucht ein bzw. mein Kind in dieser Phase seines Lebens, damit es gesund aufwachsen kann – körperlich, geistig und emotional? Und wie können wir das möglichst gut ermöglichen – im Spannungsfeld von Alltag, Politik und Familie?
Teile gerne deine Gedanken dazu!
Was sagt die Psychologie?
Die Psychologin Stefanie Stahl, bekannt durch ihr Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“, betont: Viele Schwierigkeiten im Erwachsenenleben haben ihren Ursprung in frühen Bindungserfahrungen. Wenn das „innere Kind“ sich ungeliebt, übersehen oder unsicher fühlt, fehlt oft die innere Stabilität im späteren Leben.
Ihre Botschaft: Es geht nicht darum, perfekte Eltern zu sein – sondern um emotionale Verlässlichkeit. Ein Kind braucht keine Supereltern. Es braucht jemanden, bei dem es sich emotional zu Hause fühlt.
Fazit: Bindung ist stärker als Perfektion
Kinder brauchen keine perfekten Eltern. Sie brauchen Bezugspersonen, Eltern, die da sind, die zuhören, die trösten. Die auch mal überfordert sind und trotzdem bleiben. Die nicht alles richtig machen müssen, aber genug richtig, damit ein Kind sich gehalten fühlt.
Wenn du deinem Kind das gibst, gibst du ihm das Wertvollste, was es für sein Leben braucht: eine sichere Bindung.
Denn am Ende bleibt nicht, wie groß oder aufgeräumt das Kinderzimmer war, sondern wie sicher es sich in deinem Arm gefühlt hat.
Referenzen und vertiefende Literatur:
Erikson, E. H., & Hügel, K. (2013). Identität und Lebenszyklus: drei Aufsätze. Suhrkamp.
Grossmann, K., & Grossmann, K. E. (2023). Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. Klett-Cotta. http://deposit.dnb.de/cgi-bin/dokserv?id=5e89d0a791ed4b68860b282840429290&prov=M&dok_var=1&dok_ext=htm ; https://digitale-objekte.hbz-nrw.de/storage2/2024/04/25/file_5/9547214.pdf
Planet Wissen. (o. J.). Hospitalismus: Was passiert, wenn Kinder ohne Liebe aufwachsen?
Abgerufen am [14.07.2025] von https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/psychologie/hospitalismus-100.html
Bild: https://pixabay.com/photos/baby-hands-fingers-infant-child-2416718/






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