Zwischen Walfang „unter dem Hakenkreuz“ und Trinkgelage auf dem „Dach der Welt“. Forschungsreisen im „Dritten Reich“ bieten noch 80 Jahre später Stoff für Mythen, Spinnereien und Verschwörungstheorien.

Forscher im Dienste des Souverän
Seit jeher wurden große Entdecker, Forschungsreisende und Wissenschaftler auch durch die jeweiligen politischen Machthaber gefördert, gefordert, in ihre Dienste gestellt, manches Mal gar instrumentalisiert. Sei es Kolumbus, der im Auftrag der kastilischen Krone gen Westen fuhr, sei es Cortez, der für Karl V. nicht nur entdeckte, sondern auch eroberte oder Alexander von Humboldt, der sich gleich in den Dienst mehrerer Herrscherhäuser stellte. Allzu häufig machte es allein der schnöde Mammon notwendig, dass Forscher, Entdecker und Pioniere sich in die finanziell gut gestellten Hände ihrer oder anderer Regierungen begaben.
An diesem Konzept änderte sich auch bis ins 20. Jahrhundert wenig, so sind Forscher selbst heute noch auf meist staatliche Geldgeber angewiesen, um verschiedenste Projekte umzusetzen. Als Beispiel sei nur die Neumayer-Station III in der Antarktis angeführt, deren 25 bis 30 Jahre andauernde Tätigkeit im ewigen Eis nicht weniger als 39 Millionen Euro kosten wird, wobei der Betrag zu 90% vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wird, während die restlichen 10% in Länderhand liegen.
Damit ist das Verhältnis zwischen Forscher, Expedition und Finanzier seit jeher ähnlich. Auch im „Dritten Reich“ änderte sich hieran – formal gesehen – wenig. Deutsche Forschungsreisen wurden ab 1933 jedoch wesentlich stärker von Regierungsseite geplant, ausgeführt und schließlich instrumentalisiert, als es davor und danach Usus war. Besonders zwei Expeditionen sind in diesem Zusammenhang zu nennen, die sowohl auf Grund der schieren Größe und Technisierung, als auch durch die angedachten Ziele unterschiedlich ausfallen.
Expeditionen im „Dritten Reich“ – „Neuschwabenland“ in der Antarktis
Zunächst wird der Blick auf die Deutsche antarktische Expedition 1938/1939 unter der Führung des Kapitäns Alfred Ritscher geworfen. Bereits seit den 1890er Jahren gab es vor allem von norwegischer Seite wirtschaftliche Bestrebungen am Südpol neue Walfanggebiete zu sichern, weshalb in den Jahren 1929 bis 1937 drei norwegische Expeditionen einen Teil des Gebietes erforschten und für den Staat beanspruchten. Im Zuge des von Hermann Göring initiierten „Vierjahresplans“ sollte durch Annexion antarktischer Gebiete und damit einhergehender Walfangareale die sogenannte „Fettlücke“ im Deutschen Reich geschlossen werden. Obgleich der Expedition unter Ritscher nur ein halbes Jahr zur Vorbereitung blieb, konnte dennoch eine mehr als 80 köpfige Mannschaft zusammengestellt werden, die über das Schiff „Neuschwabenland“ und zwei Dornier Wal-Flugboote verfügte. Im Zuge des Wettkampfs gegen Norwegen wurden die Vorbereitungen im Geheimen gehalten, weshalb es auch zu keinerlei öffentlichen Bekanntmachungen kam.
Während der Expedition wurden nicht nur wissenschaftliche Experimente entlang der Küste unter Berücksichtigung der Biologie, Ozeanographie und Erdmagnetik durchgeführt, vor allem sind die, teils lebensgefährlichen, Rundflüge der Mannschaft mit den beiden Flugbooten zu nennen. Hierbei wurde auf neueste Technologien zurückgegriffen, wie Kameras und Farbfilme, mit denen weit über 11.000 Luftbilder der 350.000 km2 großen abgeflogenen Fläche erstellt wurden. Während der Flüge wurden teils auch Eisenstangen mit Hoheitszeichen abgeworfen, um so spätere – wenn auch nie eingeforderte – Besitzansprüche geltend machen zu können. Das hierbei abgesteckte Gebiet wurde daraufhin „Neuschwabenland“ getauft, um das sich heute wohl mehr denn je Verschwörungstheorien aller Art ranken. Nach der fünfmonatigen Expedition trafen die über 80 Mitglieder der Forschungsreise im April 1939 wieder in Hamburg ein. Lediglich ein populärwissenschaftlicher Bericht wurde in der Folge veröffentlicht. Dem Walfang hat die Expedition schließlich nichts genutzt, beendete der Krieg doch jegliche Ambitionen und Möglichkeiten in der Antarktis.
Expeditionen im „Dritten Reich“ – Ernst Schäfer im Himalaya
Die zweite der hier vorgestellten deutschen Expeditionen „unterm Hakenkreuz“ ist die unter dem Zoologen und SS-Mitglied Ernst Schäfer geführte Deutsche Tibet-Expedition. Schäfer, der bereits 1931 sowie 1934/1935 zwei Forschungsreisen auf das Dach der Welt begleitet hatte wurde für diese dritte von Heinrich Himmler und dessen gegründeter Forschungsstelle „Deutsches Ahnenerbe” verpflichtet. Neben dem Zoologen als Expeditionsleiter nahmen auch der Anthropologe Bruno Beger sowie drei weitere SS-Männer teil. Die 112.000 RM teure Reise wurde zwar kaum von Himmler finanziell unterstützt, doch agierte Schäfer dennoch unter Hakenkreuz und SS-Runen ab dem Frühjahr 1938. Ziel des „Reichsführers SS“ war es, die Theorien des österreichischen Ingenieurs Hanns Hörbiger und des psychotischen SS-Brigadeführers und Okkultisten Karl Maria Wiligut zu verifizieren. Während ersterer in seiner pseudowissenschaftlichen „Welteislehre“ die Behauptung aufstellte, vor 12.000 Jahren hätte ein Eismond eine weltweite Naturkatastrophe hervorgerufen, wodurch unter anderem das Reich Atlantis untergegangen sei, beriet letzterer den gescheiterten Hühnerzüchter Himmler bei weltanschaulichen Fragen. Himmler und Kumpanen strickten die Wahnvorstellungen weiter und glaubten, dass sich Teile des „urarischen“ Volkes auf der ganzen Welt verteilt hätten, wodurch sich auch noch zum damaligen Zeitpunkt Verwandtschaftsgrade hätten nachweisen lassen können.
Diese Geschichtsbeugung führte im „Dritten Reich“ zur Brechung, wenn beispielsweise in dem Film Germanen gegen Pharaonen von 1939 gar die Rede davon ist, die Pyramiden von Gizeh seien nicht von den alten Ägyptern vor drei bis viertausend Jahren erschaffen worden, sondern von einem „nordischen Kulturvolk“ viele zehntausende von Jahren zuvor. In die Dienste dieser Propagandamaschinerie begab sich auch Ernst Schäfer, der mit seiner Mannschaft insgesamt 1 ½ Jahre auf Reise war.
Anders als es bei der gleichzeitig stattfindenden Antarktis-Expedition der Fall war, besaß Schäfer zwar ebenfalls damalige Hightech-Instrumente in Form von Kameras, Farbfilmen, Vermessungstechniken etc., doch offenbarte sich der Weg durch den Dschungel und das Himalaya-Gebirge bis nach Lhasa als deutlich mühsamer für die fünfköpfige Gruppe. Neben Lasttieren wurden deshalb auch einheimische Träger beauftragt, die das umfangreiche Forschungsgepäck weiterleiteten.
Wissenschaftliche Erträge bis heute?
Über das strikte Verbot des buddhistischen Priesterstaates, keine Tiere zu töten, verstießen Schäfer und seine Männer mehrere tausend Male. Lautlos, mit einem kleinen Katapult wurden so über 3.500 Vögel gesammelt, die noch heute das Naturkundemuseum in Berlin zieren. Hierneben brachten die SS-Offiziere auch mehr als 7.000 Samenproben mit ins Reich, die sich heute im Leinbniz-Institut für Pflanzengenetik in Gatersleben befinden. Neben landestypischen Möbelstücken und bemalten Holzmasken kamen auch 17.500 Meter abgedrehter Film, wie auch ein Brief des tibetischen Regierungschefs an den „erhabenen Herrn Hitler“ mit ins „Dritte Reich“. Besonders der Anthropologe Beger vermaß verschiedenste tibetanische Einwohner. Wortwörtlich von Kopf bis Fuß wurde hier die nationalsozialistische Rassenkunde auf der Suche nach dem Ur-Arier angewandt.
Dabei konnte die Reise eigentlich erst nach wochenlangem Warten auf ein Visum in Britisch-Indien beginnen. Erst nachdem dieses ausgestellt war, konnte die Begegnung zwischen „östlichem und westlichen Hakenkreuz“, wie es offiziell hieß, stattfinden. Tatsächlich sollen sich die fünf Männer aber vor allem als äußerst trinkfeste Partygeber in der tibetischen Hauptstadt gegeben haben. Eher hemdsärmelig kamen sie daher und traten damit in krassen Gegensatz zu den auf steife Etikette bedachten Briten, die man hier sonst so sah.
Neben den bereits oben genannten Vögeln, Samen, Möbelstücken und mehr brachte die Expedition über 400 Tierschädel und -felle, mehrere tausend Schmetterlinge, 2.000 Eier und über 40.000 Schwarz-Weiß-Fotos mit. Anders als es bei der Antarktis-Expedition der Fall war, wurde das umfangreiche Filmmaterial 1943 in einen 100 minütigen Spielfilm eingearbeitet, der mit dem Titel „Geheimnis Tibet” über die deutschen Kriegsleinwände flackerte und abertausende begeisterte.
Resümee
Noch heute – mehr als 80 Jahre später – changieren die Deutungen und Errungenschaften der beiden Expeditionen immer noch zwischen Wissenschaft und Wahnsinn. Rückte die Antarktis-Reise bisher nie erforschte Gebiete ins Licht der Forschung, so stellte sie jedoch auch den Ausgangspunkt verschiedenster Verschwörungstheorien dar, die ihren Ursprung unter anderem in der strengen Geheimhaltung des Unternehmens haben. Ähnlich verhält es sich mit der Tibet-Expedition, die zwar ebenfalls verschiedensten Forschungszweigen diente, heute aber als Beleg für eine krude pseudowissenschaftlich fundierte Begründung zwischen Nationalsozialismus und Buddhismus ausgeht.
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