Gehorsamkeit verspricht heute kaum noch einer. Die Kirche verlangt dies aber von ihren Priestern. Von ihren Gläubigen erwartet sie zumindest Loyalität. Bleibt da noch Platz für den Heiligen Geist und Reformen in der Kirche?
Die Frage des Gehorsams darf nicht auf eine Frage der Disziplin reduziert werden. Sie ist Ausdruck einer geistlichen Haltung. Papst Benedikt XVI. hat sehr treffend gesagt, dass es eine von innen her geleitete „Gemeinsamkeit im Wollen“ gibt. Darum ist es in der Frage des Gehorsams – sie gehört wesenhaft zum Glauben und zum Kirche-Sein – entscheidend, vom Hören auszugehen. Wir sagen ja auch theologisch, dass der Glaube vom Hören kommt. Wenn es dann ein Beten darüber gibt – im Sinne eines wachen Hörens – dann zeigt sich klarer, was meine eigenen Ideen sind und wo ich lerne, mich mit meiner Sichtweise in das Ganze einzubringen. So relativiert sich auch einiges von der eigenen Meinung. Insofern ist der Gehorsam eine höchst aktuelle Haltung und Tugend zugleich – für die, die ihn ausdrücklich versprechen, in besonderer Weise. Aber auch viele Gläubige zeigen, was eine innere Treue bedeutet: Treue zum Glauben, zum Herrn und damit zur Kirche. An diesem Punkt haben wir heute oft Nachholbedarf – diese innere Treue zu lernen, die Gemeinsamkeit im Wollen. Das heißt nicht, dass man nicht kritisch anfragen darf; das gehört auch dazu. Aber dann gibt es einen Dialog aus einem gemeinsamen Hören heraus auf den Geist Gottes.
Sie sagten gerade, wir haben da Nachholbedarf. Ist das vor allem ein deutsches Problem?
Ich glaube schon, dass das sehr stark mit deutscher Mentalität und Berichterstattung zusammenhängt. Bei politischen Themen ist das sehr ähnlich. Es gibt eine Art Grundkritik auch allem Konstruktiven gegenüber. Ich erinnere mich noch gut an den Alttestamentler Professor Alfons Deissler in Freiburg. Er hat uns Studenten etwas mitgegeben, was ich nie vergessen habe: Er hat aufgerufen zu einer Wachsamkeit für eine Kritik an der Kritik. Ich glaube, das steht uns als Kirche gut an.
Das Panorama dessen, was sich als katholisch bezeichnet, reicht heute von der Piusbruderschaft bis hin zu „Wir sind Kirche“. Lässt sich diese Spannbreite unter einen Hut bringen und wo verlaufen nach beiden Seiten die Grenzen des Katholischen?
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass das unter einen Hut zu bringen ist, wenn Menschen umkehrbereit sind, wo sie die sichtbare Einheit der Kirche verlassen haben. Ich denke, es gibt sehr klar zwei sichtbare Kriterien: Zunächst ist das die Einheit mit dem Heiligen Vater, dem vom Herrn bestimmten Diener dieser Einheit. Indem er seinen Petrusdienst wahrnimmt und das oberste Lehramt der Kirche ausübt, verkörpert er diese Einheit. Und als zweites gehört dazu, dass die Kirche auf dem Boden des Zweiten Vatikanischen Konzils steht. Das sehen wir gerade bei der Pius-Bruderschaft: Da, wo eine Gemeinschaft nicht bereit ist, das Konzil in seiner Gänze anzuerkennen, ist sie nicht katholisch. Und das können wir genauso zum anderen Flügel hin sagen: Wenn man sich aus dem Konzil nur das herausbricht, was einem passt, und das andere lässt, ist das auch zu wenig. Die Einheit ist immer die ganze Einheit. Diese innere geistliche Bereitschaft, diese Demut, sich darunter zu stellen, ist ein Zeichen des Katholischen.
In ihrem letzten Buch fordern Sie eine „Politik mit christlichem Profil“. Was heißt das ganz konkret?
Mich hat es immer sehr interessiert, wie es gelungen ist, nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Geist des Evangeliums heraus gemeinsam ein geeintes Europa aufzubauen. Die Männer der ersten Stunde – ob man Schuman, Adenauer oder De Gasperi nimmt – hatten eine Vision und die kam aus dem Evangelium. Der Glaube war wirklich eine prägende Kraft der Demokratien, die nach dem Zweiten Weltkrieg gewachsen sind. Es ist ein großer Segen, was aus diesem Bewusstsein des christlichen Menschenbildes in die Politik hineingekommen ist. Wenn ich in meinem Buch eine „Politik mit christlichem Profil“ fordere, dann geht es mir vor allem über Sachfragen hinaus um die Hoffnung, dass sich junge Menschen davon ansprechen lassen, aus ihrer Glaubensüberzeugung heraus in die Politik zu gehen und den Mut zu haben, sich dazu in der Politik auch zu bekennen. Wenn es etwa um das Thema des Lebensschutzes geht, wird sehr deutlich: Da, wo früher in Parteien der bedingungslose Einsatz für das Leben selbstverständlich war, weicht etwas auf. Das macht mir große Sorgen. Ein anderes Beispiel ist das Thema Ehe und Familie. Es ist wichtig, den unverwechselbaren Lebensentwurf von Ehe und Familie in seiner Bedeutung für die Gesellschaft, in einer kirchlichen Sichtweise als Abbild des Bundes Gottes mit den Menschen, zu verstehen. Es braucht in der Politik Menschen, die dafür eintreten.
Werden Politiker, die aus christlichem Glauben heraus Politik gestalten, immer weniger?
Es fällt schon schwer zu sehen, wo denn die sind, die sehr klar auch den Mut haben, für bestimmte Positionen einzutreten. Man kann nicht in die Herzen der Menschen hineinschauen. Vielleicht ist mancher innerlich viel entschiedener und fester als er das oft unter Fraktionszwang nach außen zum Ausdruck geben darf.
Noch einmal zu Ehe und Familie: Ist das katholische Bild von Ehe und Familie noch auf der Höhe der Zeit?
Mit dem, was wir als katholische Kirche vertreten, haben wir sicher nicht die Mehrheit auf unserer Seite – aber das kann auch gar nicht der Gradmesser sein. Wir haben eine Wahrheit, die es zu vertreten gilt nach der Schöpfungsordnung Gottes, die Respekt und Wertschätzung jedem Menschen gegenüber bringt, auch dem, der nicht nach diesem Lebensentwurf leben kann oder will. Aber deswegen können wir unser Bild von Ehe und Familie nicht einfach aufweichen. Ich glaube sogar, dass es in Zukunft gerade in diesem Bereich zu kontrastierenden Erfahrungen kommen wird. Für uns als Kirche ist es ein ganz zentrales Anliegen, für Ehe und Familie und für alles einzutreten, was die Lebensbedingungen von Ehe und Familie stützt und stärkt, damit es attraktiv ist, vielen Kindern das Leben zu schenken.
Was ist die Botschaft der Kirche an alle, die nicht nach diesem Bild Ehe und Familie leben wollen oder können – etwa an gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften?
Der Katechismus der katholischen Kirche bringt es treffend zum Ausdruck: Jedem Menschen ist Wertschätzung und Respekt entgegen zu bringen, jeder ist Geschöpf Gottes und hat ein Anrecht auf Wertschätzung. Was nicht heißt, dass man deswegen Lebensweisen gutheißen muss, die nach unserem Verständnis nicht das abbilden, worum es geht, wenn der Bund Gottes mit den Menschen anschaulich werden soll. Ich halte es etwa für problematisch, wenn Kinder in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung groß werden. Die Geschlechterdifferenz ist etwas, das wesenhaft zu Gottes Schöpfung gehört. Kinder brauchen die Beziehung zu Mann und Frau, um selber zu einer Geschlechtlichkeit heranwachsen zu können, die es ihnen wiederum möglich macht, Ehe und Familie eingehen und leben zu können.
Zum Abschluss: Wo sehen Sie die katholische Kirche in Deutschland im Jahr 2030?
Ich bin davon überzeugt, dass wir dann sehr viel stärker missionarische Kirche sein werden. Zahlenmäßig werden wir vielleicht kleiner sein als wir das heute sind. Vielleicht wird uns bis dahin auch noch so mancher scheinbarer Besitzstand genommen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir dann als eine kleinere Herde, die sich nicht als abgeschlossene Herde versteht, sondern vielmehr als die, die als Licht der Welt leuchtet, in unserer Gesellschaft präsent sein werden – vielleicht so, wie es am Anfang der Kirche auch war.
Vielen Dank für dieses Interview, Herr Bischof Dr. Tebartz-van Elst!
Das Interview führten Simon Steioff, Georg Dietlein und Matthias Lochner. Hier geht’s zum ersten Teil des Interviews.
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