Köln, 18:20 Uhr. Die Schlange vor dem Deutschen Sport & Olympia Museum wächst und wächst. Hardcover-Tickets hat hier niemand, die Karten waren nicht zu kaufen. Stattdessen wurde in den letzten Wochen fleißig verlost, zuletzt stand eine QR-Code Schnitzeljagd durch die Kölner Innenstadt an, in der die letzten Tickets an den Mann gebracht wurden. Der Regen hat endlich aufgehört und die Klamotten trocknen in der nun strahlenden Sonne, während sich ein Regenbogen über den Rhein erstreckt und die Besucher des Telekom Streetgigs ungeduldig auf den Einlass warten.
Und dann ist es soweit und alle flitzen die Treppen hoch, hinauf aufs Dach. Dort ist in einzigartiger Kulisse, umrahmt von blauem Himmel, dem Rhein, dem Dom und der Innenstadt, die Bühne bereit für den Erfinder des ROAP (Mischung aus Rap und Pop). Die Besucherschar ist übersichtlich, knapp 450 Tickets gab es zu gewinnen. In so überschaulichem Rahmen wird man das Aushängeschild des Chimperator-Labels so schnell nicht wieder zu Gesicht bekommen.
Den Anfang macht jedoch Lot. Der Singer / Songwriter aus Leipzig wurde von Cro dazu eingeladen, als Support-Act aufzutreten. Da kann man nicht nein sagen, und so packte der sympathische Sänger Instrumente, Bandmitglieder und die bisher fertigen Tracks ein und reiste nach Köln. Auch wenn mitten im Auftritt das Klavier versagt und erst vom Bassisten wieder zusammengeflickt werden muss, tut das der ausgelassenen Stimmung über den Dächern Köln keinen Abbruch. Seine Songs werden begeistert aufgenommen und obwohl keiner die Texte im Voraus kannte, singen zum Schluss doch alle mit, wenn Lot sing: „Diese Nacht, diese Stadt, durchgemacht – warum soll sich das ändern?“
Obwohl sich der Newcomer gut schlägt, kommt er nicht gegen den Star des Abends an. Als Cro’s Stimme schließlich zu hören ist, werden Handys gezückt und die Kamerafunktion eingeschaltet. Nur sehen kann ihn noch keiner, denn während DJ Psaiko schon an seinem Laptop die Beats auf die Reise schickt, ist Cro selbst noch unterwegs – mit dem Kran hinauf zum Dach, verfolgt von einer Kameradrohne.
Kaum hat Cro aus der Krankabine herausgefunden, ist man auch schon mitten drin im Konzert. „Hi Kids, ich bin Carlo!“, stimmt der Rapper den Song aus seinem ersten Album an und die Menge antwortet enthusiastisch, wie es von ihnen erwartet wird, mit „Hallo!“. Von da an gibt es kein Halten mehr. Textsicher rappt und singt sich die dicht gedrängte Menge vor der Bühne durch das Beste der zwei Alben und feiert sowohl „ROAP“ als auch „Melodie“-Titel, als gäbe es kein Morgen mehr. Hinter der Bühne kann man gerade noch so die Domspitzen erkennen, während die Sonne untergeht und die Bühnenbeleuchtung erst richtig zur Geltung kommt.
Und Cro gibt Gas. Er flachst mit seinem Kumpel DJ Psaiko herum, als stünden sie nicht gerade auf der Bühne, sondern säßen zu Hause bei einem Bier zusammen. Auf Kommando heben die Besucher die Arme, wiegen sich zum Beat oder tanzen, bis die Füße bluten. „Geht mal ein bisschen runter, nur ein bisschen“, bittet der Rapper mit der Panda-Maske und prompt setzen sich alle, ohne wenn und aber oder den leisesten Hauch von Zögern, und warten gespannt auf das Zeichen zum Aufspringen.
Rund um das Museum werden Balkontüren geöffnet, in Entfernung von zirka 300 Metern haben sich auf dem Dach eines Gebäudes weitere Zuschauer gefunden, die auch ganz ohne Ticketgewinn an dem Spektakel erfreuen können. Zwischen Luftschlangenregen und Flammenwerfern hüpfen die Menschen bis zur völligen Erschöpfung und schwingen selbst dann noch ihre Pullis oder Bändchen wild über dem Kopf hin- und her.
Auch in der Crew auf der Bühne ist die Stimmung spürbar gut. Nicht nur die Schlagabtausche zwischen Psaiko und Cro sorgen für Lacher, auch der Kameramann, der im Bühnenhintergrund filmt, wird in das Geschehen mit einbezogen – denn immer dann, wenn Cro etwas trinken will, muss er die Maske ein Stück anheben. Damit die Kamera das nicht einfängt, wird die Linse kurzerhand zugehalten. Den Gästen gefällt’s und auch der Mann hinter der Kamera muss lachen.
Für eine Besucherin wird der Abend zum absoluten Höhepunkt, als Cro nach einer stimmlichen Begleitung sucht. Kathrin traut sich zu, singen zu können und den Text von „Du“ auswendig zu können – und wird prompt auf die Bühne geholt. Die junge Frau ist sichtlich fassungslos, ihre Augen weiten sich überrascht, als der Rapper sie umarmt und ihr ein Mikro in die Hand drückt. Dass sie dann doch nicht so textsicher ist wie gedacht, stört eigentlich keinen, Applaus bekommt sie trotzdem und danach übernimmt der Meister wieder das Mikrophon.
So vergehen anderthalb Stunden wie im Flug. Plötzlich ist es dunkel, die letzten Songs werden angespielt. Cro fordert dazu auf, in den letzten Minuten noch einmal alles zu geben. Und dann ist es plötzlich vorbei, die Bühne liegt im Dunkeln, und man steht verschwitzt auf dem Dach und wundert sich, wo die Zeit hin ist. Denn die verging wie im Flug.
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