Wer nach Wadi Rum reist, folgt den Spuren des Lawrence von Arabien hinterher. Und Touristenschwärmen. In einem Bus, der gerade lang genug hält, um sich vor einem Kamel oder einem Felsen ablichten zu lassen. Oder man entscheidet sich, das hinter sich zu lassen. Und in das Herz von Wadi Rum und gänzlicher Stille zu reisen. Die Gesellschaft dabei könnte nicht besser sein, als die von Beduinen. Mit Jeeps fahren sie Abenteuerlustige fernab von japanischen Reisebussen in das Wüstental hinein zu ihren Schatzplätzen.
“Hello darkness, my old friend. I’ve come to talk to you again …”
Mit jedem Meter weiter weg von den Touristenpunkten geht es tiefer in das Herz des Wüstentals, vorbei an Kamelen und Beduinenzelten. Umso größer wird die spürbare, aber dennoch geteilte Einsamkeit hier draußen. Umso kleiner wird man selbst. Übrigens sitzt man selbst auf der Ablagefläche des Autos auf umgebauten Holzbänken (und tatsächlich recht bequem). Uralte Wandmalereien, bizarr geformte Sandsteinberge und Granitberge, die bis zu 1.800 Meter in die Höhe ragen, werden in diesem vor Jahrtausenden ausgetrocknetem Wüstental bewundert. Diese Wüste hat vor allem Lawrence von Arabien und seine Geschichten über das abenteuerliche Leben unter den Beduinen berühmt gemacht. Zu Weltruhm kamen seine Guerillakämpfe, als an den Originalschauplätzen im Wadi Rum der Wüstenepos „Lawrence von Arabien“ gedreht wurde, mit Peter O’Toole, Alec Guinness, Anthony Quinn und Omar Sharif. Ein bisschen Hollywood darf in der Wüste eben auch sein.
Die Zeit steht hier still und gleichzeitig verfliegt sie – die Sonne geht unter und wo könnte man das besser beobachten, als von einer Sanddüne aus? Auf angenehm warmem, rotem Sand sitzend, beobachtet man, wie die sich vor einem erstreckende scheinbar grenzenlose Wüstenlandschaft die Felsen und Schluchten in sanfte Töne bettet. Man kann sich kaum satt sehen. Aber die Beduinen werden mit untergehender Sonne zunehmend ungeduldiger – der Schlafplatz muss noch erreicht werden. Dort angekommen wartet der minimalistischste und entzückendste Schlafplatz aller Zeiten – lediglich Matratzen, Kissen und Decken. Zuerst wird darauf gespeist, später legt sich jeder seine Matratze hin, wo er mag. Über einem breitet sich langsam ein gewaltiges Sternenzelt aus. Man kann diese Schönheit nicht beschreiben, man kann sie fast nicht aushalten, so schön ist es.
Gebratenes Lammfleisch, Reis und Gemüse werden unter dem Sternenhimmel serviert. Am Lagerfeuer wird rund um die Uhr in einer schwarzen, gußeisernen Kanne starker, gesüßter Tee gekocht. Er schmeckt exzellent, auch bei 32 Grad. Der einzige Gedanke dabei: Was für ein Geschenk. Unter all das mischen sich Gespräche zwischen den Beduinen und ihren Schützlingen – denn das ist man hier: voll und ganz Gast. Jeder Wunsch der erfüllt werden kann, wird erfüllt. Man gehört zur Familie. Bis tief in die Nacht dauern die Gespräche über Politik, über die aktuellen Kriege und den „Islamischen Staat“. Schockierend (oder auch nicht), in Jordanien – ob bei Beduinen oder sonst wem im Jordanland – ist Israel verhasst, man muss es so sagen. Ein junger Jordanier bat mich in einem Gespräch nicht mehr Israel zu sagen – er bestand auf Palästina. Die Israelis also stecken mit den USA unter einer Decke. Und das einzige was die Vereinigten Staaten interessiere sei Öl – so die einstimmige Meinung. „This is politics, you know“ sagt Khalim, ebenfalls Beduine. „And by the way – there are people suffering“ – es wird noch stiller als es ohnehin ist und an die Menschen gedacht, die unter all dem leiden, mögen es Machtspielchen sein oder was auch immer.
Sie leiden. Und doch geht es schon lang nicht mehr um Menschenleben. Wenn Khalim von seiner politischen Meinung erzählt, muss man nicht unbedingt mit allem d’accord gehen, geschweige denn verstehen, wie man zu dieser Meinung kommt. Nach Meinung der Autorin wird jedenfalls nicht das gesamte Mediensystem der USA von Juden kontrolliert. Aber man versteht, dass beispielsweise in Syrien längst etwas geschehen hätte können, längst etwas geschehen hätte müssen – Staaten wie die USA haben die Macht dazu, so Khalim. Interessanterweise gibt er der EU keine Schuld. Und unter EU versteht er eigentlich nur Deutschland: „You can’t do anything because of your history and people understand“, sagt er.
Wasserpfeife und Politik
Und dann ist es auch vorbei mit aller Ernsthaftigkeit – Kabel werden an die Autobatterien der Jeeps angeschlossen, Musik wird aufgedreht und getanzt. Nicht zu vergessen: Wasserpfeife. Beduine, Deutsche, Beduine, Deutsche, Männlein, Weiblein, Hand in Hand, Hauptsache Tanzen – ganz egal. Wäre man Politiker, könnte man direkt stolz sein auf diese funktionierende Integration von Kulturen 😉 Über all dem deutlich zu erkennen: die Milchstraße. Aber klar – natürlich ist das Ganze auch irgendwo touristisch. Natürlich haben Beduinen auch Sachen zu verkaufen und anzubieten.
Natürlich bezahlt man für diese circa zwei Tage Abenteuer einen nicht zu geringen Preis. Natürlich müssen diese Menschen auch von etwas leben – fast jeder dritte oder vierte Beduine, der geboren wird, studiert später. Fernab von Postkarten und Kamelen aus Plastik bieten sie aber kleine Schätze an, wie ihr eigenes Parfüm – Amber. Das selbsthergestellte, seifenähnliche Stück wird einfach über die Haut gestrichen und hält ewig. Man kann also viel über Wadi Rum schreiben, so oder so lassen diese Eindrücke einen nicht mehr los. Angesichts dieser Landschaft, dieser Wucht von Natur, bleibt einem nicht viel übrig außer zu staunen. Und auf keinen Fall kann man den Eindruck von der Heimat der Beduinen schließlich besser ausdrücken als Lawrence von Arabien in seinem Buch: „weitläufig, einsam und gottähnlich“.
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