Als ich meinen Bachelor in der Tasche hatte, wollte ich reisen, mehr von der Welt kennenlernen. Dabei auch noch irgendwie Geld zu verdienen, schien mir ratsam. Mit meinem Germanistik-Studium war für mich klar, womit: Dem Unterrichten meiner Muttersprache. Ich schrieb viele Bewerbungen an Sprachschulen, doch am Ende war es Facebook, das mir zu einer Stelle in einer privaten Schule in Tarragona verhalf.
La Senyera und Sant Jordi
Das erste, was mir bei meiner Ankunft auffiel, waren die Flaggen, die von jedem zweiten Balkon hängen und mich ernsthaft daran zweifeln ließen, dass ich im richtigen Land gelandet war. Rot und gelb passten ja irgendwie, aber warum vier rote Streifen? Und wozu dieses blaue Dreieck mit weißem Stern? Später wurde ich darüber aufgeklärt, dass es sich – vielleicht – um eine der ältesten Flaggen der Welt handelt, die „Senyera“ genannt wird.
Von ihrem Ursprung erzählt die romantisch-blutige Legende von Sant Jordi. Der Schutzpatron Kataloniens (und anderer Regionen, wie England) befreite eine Prinzessin und tötete den sie bedrohenden Drachen, aus dessen verflossenem Blut eine Rose wuchs. Doch auch Jordi wurde verletzt. Er geleitete die Prinzessin zu ihrem Vater, der als Zeichen seiner Anerkennung seine Finger in die Wunde Jordis tauchte und mit diesen vier Striche über das goldene Schild des Ritters zog. Die katalanische Flagge war entstanden.
Und mit dieser ein katalanischer Brauch: Statt Valentinstag am 14. Februar zu feiern, haben die Katalanen ihren eigenen Tag der Liebenden, den 23. April, den Georgstag. Ihrer Kreativität sind den Schenkenden allerdings Grenzen gesetzt, denn dem verflossenen Blut des Drachens gedenkend, ist es Brauch, den Mädchen eine Rose zu schenken. Diese antworten mit einem Buch, denn zufälligerweise ist der 23.04. ebenfalls der Todestag von Shakespeare als auch von Miguel de Cervantes. Zehn Prozent der jährlich verkauften Bücher Kataloniens werden an diesem Tag verschenkt.
Catalán
Die Katalanen lesen, schreiben und sprechen – richtig, Katalanisch. Ob es George R.R. Martin oder Manuel Vázquez Montelbán ist, es ist auf Katalanisch. Ähnlich sieht es in der Musikbranche aus – wer aus Katalonien kommt, macht katalanische Musik. Besonders gefeiert wird im Moment Txarango. Als die Band in Tarragona auftrat, sprachen meine Schüler und Mitbewohner von nichts anderem mehr. In den Clubs stellte ich jedoch erleichtert fest, dass auch Songs wie „Bailando“ von Enrique Iglesias gespielt werden. Die spanische Sprache wird also nicht vollkommen aus dem alltäglichen Leben verbannt, aber fast.
Ich denke, es ist dem freundlichen und offenherzigen Charakter der Katalanen zu verdanken, dass ich mich letztendlich doch auf Spanisch verständigen konnte. Auch wenn nicht zu übersehen ist, dass auf ein „Bon dia“ deutlich euphorischer reagiert wird als auf die kastilische Version „Buenos días“ und die Standardantwort „molt be“ nur selten in „muy bien“ transformiert wird. Aber auch wenn es einige nicht immer gerne zugeben, sind alle Katalanen bilingual – wenn sie wollen, können sie dir das Leben leichter machen und die meisten tun es.
Die Castells
Stolz sind die Katalanen vor allem auf ihren Nationalsport, die Castells, Menschentürme. Für einen Nicht-Katalanen ein zugleich zutiefst beeindruckender und zutiefst beängstigender Sport. Zu jeder erdenklichen Festlichkeit versammeln sich die Katalanen auf großen Plätzen und spätestens wenn neben dir eine Flöte (bzw. Schalmei) ertönt, weißt du, du solltest dich in Sicherheit bringen. Denn tatsächlich gehört es zu diesem Sport dazu, „es“ nicht zu schaffen. „Es“ bedeutet in diesem Fall das Aushalten des unteren „Stockwerks“, also der stärksten und stämmigsten Männer des Vereins, bis die bis zu sieben Stockwerke über dir, also der weniger stämmigen Männer, der Frauen und der leichten Kinder, die immer das oberste Stockwerk bilden, sich wieder abgebaut haben.
Die aufregende flöten-ähnliche Musik macht einen schier verrückt vor Angst, wenn man das letzte Kind, übrigens die einzige Person, die einen Helm trägt, über die Schultern der schon stehenden Stockwerke immer weiter nach oben klettern sieht und nicht wie die anderen erleichtert aufatmet, wenn dieses süße Kind vier seiner Finger in die Luft streckt (erst dann gilt das Castell als vollendet, denn ohne Bezug zur katalanischen Flagge geht’s nicht), sondern tatsächlich noch hofft, dass auch alle wieder unbeschadet auf dem Boden ankommen. Doch die letzte Frage bleibt immer „Warum ist dieses vier-, fünfjährige Kind so viel mutiger als ich?“
Nadal
Weihnachten, Nadal, beginnt, wenn der Tió de Nadal ins Haus einzieht. Tió bedeutet Baumstamm. Er hat ein nettes, lächelndes, geschnitztes Gesicht, trägt eine „Barretina“, eine rote, typisch katalanische Mütze (der des Weihnachtsmanns nicht unähnlich) sowie eine Decke. Diese benötigt er, damit man ihm bei seinem Geschäft am Heiligabend nicht ganz so genau zuschauen kann. Denn die Orangenschalen, die die Familie ihm bis zum 24.12. gewissenhaft füttert, werden am anderen Ende des Baumstammes schließlich zu Geschenken – aber nur, wenn die Kinder ihren Tió mit dem Stock schlagen und dazu ein Lied singen, in dem sie ihn dazu auffordern, endlich zu… – sein Geschäft zu verrichten.
Was am Heiligabend ebenfalls nicht fehlen darf, ist der Caganer, eine Figur, die es dem Tió hockend gleich tut. In jeder katalanischen Krippe sollte ein solcher Caganer zu finden sein, sei es ein Katalane mit Barretina, der es sich irgendwo neben dem neugeborenen Christuskind gemütlich macht, oder jemand wie Barack Obama, Angela Merkel oder Marilyn Monroe.
Catalans want to vote
Eine eigene Kultur ist den Katalanen nicht abzustreiten. Feiertage, Nationalsport, Sprache – Katalonien versteht es, sich vom Rest Spaniens abzuheben. Doch nicht nur kulturell wollen die Katalanen sich von Madrid und Umgebung unterscheiden, sondern auch wirtschaftlich. Die Steuern sind ihnen zu hoch; als wirtschaftlich stärkste Region Spaniens will Katalonien nicht für den Rest des Landes zahlen.
Die unzähligen Flaggen, die in der gesamten Region von so vielen Fenstern und Balkons hängen, tragen nicht nur die vier roten Streifen Kataloniens, sondern auch ein blaues Dreieck mit weißem Stern oder manchmal ein gelbes Dreieck mit rotem Stern – es sind Unabhängigkeits-Flaggen, eine von ihnen vielleicht die Flagge eines zukünftigen eigenen Landes. Denn „Catalans want to vote“ heißt es auf den Bannern in Girona, wahrscheinlich nicht zufällig in der Stadt, in der die meisten Ryanair-Touristen landen. Am 9. November haben sie mit ihrer symbolischen Abstimmung ein Zeichen gesetzt und der Wille zur Unabhängigkeit scheint noch zu wachsen.
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