Ernährung als Wohlstandsbarometer: Du bist, was du isst!
Der Wohlstand einer Gesellschaft zeigt sich unschwer an der Statur der jeweils anzutreffenden Menschen: Dünne, ausgemergelte Körper lassen auf Mangelernährung und knappes Angebot zurückschließen, korpulente und übergewichtige Leibgestalten verweisen auf ein Übermaß an Nahrungsmitteln und damit auf Wohlstand. Diese simple Feststellung hätte vor wenigen Jahrzehnten sicherlich noch jeder unterschrieben. Doch was ist, wenn eine Gesellschaft im ständigen Überfluss lebt? Dann kommt es zwangsläufig zu einem neuen Menschenideal, das von einer anderen Sorge, nämlich einer ethischen, bestimmt ist.
Dieser neue Mensch macht sich bewusst, was er mit seinem bisherigen Lebensstil eigentlich angerichtet hat. In unseren Tagen ist das der ernährungsbewusste und jugendlich-sportliche Typ, der sich schuldig weiß, wenn er ein Schnitzel isst, denn dabei muss ja in der Tat ein unschuldiges Tier für den menschlichen Gaumengenuss getötet werden. Warum also wenigstens nicht einen fleischfreien Tag in Deutschlands Kantinen einführen, einen „Veggie Day“, der der ganzen Bevölkerung zu dieser Einsicht verhilft?
Öko-Obsession trotz guter Gedanken
Ein gefundenes Thema für das Sommerloch und prädestiniert für einen bisher eher langweiligen, leidenschaftslos geführten Wahlkampf. Schuldzuweisungen werden ja von Politikern jedweder Couleur gern benutzt, wenn Argumente ausgehen. Und so ist es kein Wunder, dass die Grünen, die deutsche Öko-Partei schlechthin, sich hier nun als Anwälte der menschlichen Gesundheit und des Schutzes von Natur und Tier erklären. Einen sogenannten „Veggie Day“ kennt übrigens auch das Christentum. Aschermittwoch und Karfreitag sind hier gebotene Fastentage und in besonders katholischen Gegenden werden auch noch jeden Mittwoch und/oder Freitag Mehlspeisen verspeist. Doch dort kommt nicht so sehr die intensive Erfahrung zur Geltung, wie schlecht man sich doch eigentlich fühlen müsste, wenn man weiterhin Fleisch isst. Vielmehr wird hier der christliche Lebensstil des Verzichts als wiederkehrendes Ritual erlebbar: Nur dank des Verzichts weiß man sein Schnitzel wieder zu genießen und wertzuschätzen.
Die ethischen Aspekte, auf die es den Grünen ankommt, sollten aber auch bedacht werden. Richtig ist die einfache Tatsache, dass das Mästen eines Schweines einhergeht mit einem hohen Landverbrauch und Wasserverbrauch, ganz zu schweigen von dem immensen Treibhausgasausstoß. Darum sollte Fleisch auch ein Produkt des Genusses bleiben bzw. wieder werden und nicht gedankenlos weggeworfen werden. Gerade im Hinblick auf die schlechte humanitäre Situation in den unzähligen afrikanischen, lateinamerikanischen und asiatischen Ländern liegt in dieser Konsummentalität ein echter Skandal!
An sich ist also dieser Vorstoß durchaus nicht verwerflich, im Gegenteil, er ist sogar geboten. Aber wie will man diese Idee umsetzen? Lässt sich denn jeder freiwillig zu einem neuen Bewusstsein umerziehen? Sollte es etwa einen Zwang zu einem bundesweiten vegetarischen Tag geben? Bisherige Versuche belegen, dass die Nachfrage in Kantinen an „Veggie Days“ sehr viel niedriger als ansonsten ausfällt. Der gemeine Homo carnivores
geht einfach ins nächste Schnellrestaurant um die Ecke, um sich seine heiß geliebte tägliche Fleischration zu holen. Weder Umwelt noch das geschlachtete Tier können aufatmen: Das Schwein landet dann halt anstatt eines saftigen Bratens mit Soße eben in Form eines Schinkens auf der Pizza beim Italiener.
Die Frage nach der Erbsünde
Die Frage, die sich hier also stellt, ist jene, ob sich der Fleisch konsumierende Mensch denn überhaupt schuldig machen kann. Ist derjenige, der sich in seiner Freiheit für ein Schnitzel entscheidet, überhaupt verantwortlich dafür, unter welchen Umständen das Tier gelebt, geschlachtet und verarbeitet wurde? Hat er überhaupt einen Einfluss dahingehend, was ihm die Kantine auftischt, ob sie seine ethischen Bedenken mitträgt? Auch zu bedenken gilt: Kann jemand seinen Appetit zügeln, wenn er hungrig vor der Theke steht und seine Leibspeise sieht?
Theologisch gesprochen bezeichnet man diesen Gedanken als Erbsünde: Der Mensch ist verstrickt in Sünde. Klassisch ist Karl Rahners (1904-1984) Beispiel vom Bananenkauf geworden: „Das Essen einer Banane ist in sich selbst in keinem Sinn anrüchig. Doch wer sich klar macht, unter welchen entwürdigenden Umständen Plantagenarbeiter Bananen ernten und welche Auswirkungen der Transport von Bananen auf die Umwelt hat, sieht sich sogar durch das Essen von Bananen in Verfehlungen verstrickt, aus denen er sich nicht mit eigener Kraft befreien kann.“ (zit. nach W. Huber, Der christliche Glaube, Gütersloh 2008, S. 75)
Man könnte die Banane einfach durch ein Stück Fleisch oder eine Bratwurst ersetzen und würde das aktuelle Dilemma in einer tieferen Dimension erkennen. Man versündigt sich bereits vor allem Tun und ohne es aktiv zu wollen. Erbsünde ist also weder von den Eltern biologisch ererbt worden noch eine aktiv getane Sünde, wie es leider im Laufe der Theologiegeschichte seit Augustinus (+430) immer wieder fehlgedeutet wurde.
Auswege aus dem Dilemma
Wie sollte man also hinsichtlich des übermäßigen Fleischkonsums reagieren? Eine Bevormundung durch den Staat oder Verbände im Sinne eines Verbots von Fleischprodukten in Kantinen, mag es auch noch so verantwortungsvoll erscheinen, würde einzig zur Bekämpfung der individuellen Freiheit, des Liberalismus führen. Der Philosoph und Soziologe Herbert Marcuse (1898-1979) hat dies als Kennzeichen jedes totalitären
Staates angesehen. Appelliert werden müsste daher vielmehr an die Verantwortlichkeit jedes einzelnen Menschen gegenüber seiner eigenen Gesundheit, aber vor allem auch anderen gegenüber, das heißt seinen Mitmenschen und Mitgeschöpfen.
Dass man alle aus den Ketten dieser Schuld befreien könnte, würde einer utopischen Totalität gleichkommen, die die Freiheit des Einzelnen maßregelt und extrem beschneidet anstatt sie zur Verantwortung zu ermutigen. Kleine Schritte der mündigen Bürger sind also deutlich vernünftiger als ein vom Staat verordneter, regulierender Gesetzeskatalog. Wenn es also darum geht, die Bürger wachzurütteln und ihnen Impulse zum Überdenken ihrer Einstellungen zu geben anstatt Regulierungen vorzuschlagen, dann scheint es, dass sich das Thema für den Wahlkampf nicht sonderlich eignet.
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