Am Freitag verstarb der Wissenschaftler und Schriftsteller Umberto Eco. Ein Nachruf.

Umberto Eco ist tot. Bei jedem anderen Schriftstellernamen wäre es ein unwahrscheinlicher Zufall gewesen, gestern noch in einem Buchladen eines seiner Werke in Händen gehalten zu haben. Doch bei Umberto Eco, dem Ausnahmetalent und neben Pizza, Eros Ramazzotti und Sophia Loren wohl populärstem Exportschlager Italiens, überrascht das mitnichten. Gestern erst habe ich noch ein wenig in seinem neuesten, seinem siebten Roman, „Nullnummer“, geblättert, der erst im Herbst erschienen war. Doch auch in der Sachbuchabteilung begegnete ich ihm dann noch einmal. Ein schönes bibliophiles Werk über die Geschichte der legendären Länder und Städte tat es mir an.
Umberto Eco, 1932 in Alessandria im Piemont geboren, war ein Meister der Postmoderne, falls es einen solchen in der Unübersichtlichkeit unserer Epoche überhaupt geben kann. Seine Lebenspassion war es, scheinbar unvereinbare Metiers zueinander zu bringen: Als Fachmann für die Semiotik, der Lehre von den Zeichen, war er ein ernst zu nehmender Wissenschaftler; als Essayist und Romancier aber auch ein publikumswirksamer Bestsellerautor mit Millionenpublikum. Dabei begann seine zweite Karriere erst mit dem Welterfolg „Der Name der Rose“ 1980 (1982 erschien der Roman auf Deutsch und landete noch bildgewaltiger 1986 in der Verfilmung mit Sean Connery schließlich in die Kinos), ein im Mittelalter angesiedeltem Kriminalroman, der mehr ist als nur blanke Unterhaltung mit Mord, Spannung und Totschlag. Hier wie in allen anderen literarischen Arbeiten schimmert auch der akribische Wissenschaftler Eco durch. Im Vorwort „Natürlich, eine alte Handschrift“ gibt der Erzähler nämlich vor, diese Geschichte in einem Archiv entdeckt zu haben und in der Form der Nacherzählung so einer breiteren Öffentlichkeit nicht vorzuenthalten. Dieser subtile Humor ist typisch für Eco. Was ist Realität, was Fiktion? Sein vorletzter Roman, „Friedhof in Prag“ (2011) ist eine Hommage an die Mutter aller Verschwörungstheorien, der jüdischen Weltverschwörung. Wie bei allen Eco-Romanen dominieren hier ein untrügliches Gespür für Gerüchte und der scharfe Realitätssinn des Autors. Antisemitismus und gefälschte Unterlagen gehen Hand in Hand. Postmoderne Bestseller, die auch mit den Elementen Historie, Thriller, Krimi und Anspielungen spielen, wie „Der Da-Vinci-Code/Sakrileg“ (Dan Brown), „Die Säulen der Erde“ (Ken Follett) und „Die Päpstin“ (Donna Cross) sind nur triviale Mitläufer. Denn Umberto Eco ist der Meister des vielschichtigen Originals. Seine Detailliebe und die kniffligen Handlungsstränge tun absurde Abgründe auf, während dies bei den soeben genannten wohl eher unbewusst geschieht und von einer anderen Komik ist.
Bei allem Applaus, den diese Crossmedialität verdient, gab es auch immer wieder kritische Stimmen bei Erscheinen seiner Romane. Zu lang seien diese geworden, zu komplex in ihrer Architektur, zu sehr müsse man sich anstrengen beim Lesen. Der Lohn ist jedoch für jeden, der sich an Ecos Romane wagt, groß. Das Durchhaltevermögen zahlt sich aus, denn wer weiß schon um die Hintergründe des Dritten und Vierten Kreuzzuges („Baudolino“), um die Suche nach der Lösung des Problems der Längengrade („Die Insel des vorigen Tages“), die Erdrotation („Das Foucaultsche Pendel“) oder wie sich der Verlust des episodischen Gedächtnisses anfühlen würde („Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“). All das wissen die meisten Menschen nicht aus Geschichtsbüchern, sondern aus Umberto Ecos Geschichten. Zu konstruiert seien sie deswegen, monierte die Kritik. Doch auch das stimmt nur bedingt, ist bei Eco die Konstruktion selbst ein literarisches Mittel. Nicht allem, was uns nämlich von Eco erzählerisch dargeboten wurde, dürfen wir trauen. Darin spiegelt sich ein ganz bestimmtes Verständnis von Wahrheit wieder. Diese postmoderne Wahrheitsauffassung definiert Eco in seinem Erstling „Der Name der Rose“ so: „Die einzige Wahrheit heißt: lernen, sich von der krankhaften Leidenschaft für die Wahrheit zu befreien.“
Erst vor wenigen Monaten wurde Eco in einem Interview gefragt, was ihn denn zum literarischen Schaffen antreibe. Seine Antwort: „Ich glaube, jedermann, der schreibt, und wenn es nur ein Liebesbrief ist, hofft natürlich, dass in 500 Jahren das noch irgendjemand liest. Wenn ein Schriftsteller sich daran setzt und etwas schreibt und nicht denkt, er sei Homer, so ist er ein schlechter Schriftsteller.“ Doch auch seine wissenschaftlichen Publikationen werden über den Tag hinaus bestehen. Nicht nur seine semiotischen Lehrbücher sind zu Standardwerken geworden, auch seine Schriften zur Übersetzung haben Maßstäbe gesetzt. Seine Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten sollte von jedem Erstsemestler bearbeitet werden und sein anderes rotes UTB-Buch „Wie man eine wissenschaftliche Abschlussarbeit schreibt“ ist mehr als nur empfehlenswert für jeden, der dann am Ende seines Studiums steht. Als Wissenschaftler grub sich Eco tief in das kulturelle Wissen der Menschheit und deckte Strukturen, Zeichen, Symbole auf, die für uns Laien ohne ihn nur ein unzusammenhängendes Wirrwarr gewesen wäre. In den letzten Jahren veröffentlichte Eco von daher eine ganze Reihe an bebilderten und daher auch sehr schönen Ausgaben über die „Geschichte der Schönheit“ (2004) ebenso wie eine „Geschichte der Hässlichkeit“ (2007). An ihnen führt kein Weg vorbei, will man sich näher mit der Ästhetik beschäftigen.
Für Aufsehen sorgten Ecos politischen Äußerungen. Über Berlusconi äußerte sich Eco nur abfällig und gründete 2002 eine Gruppe namens „Libertà e Giustizia“ als intellektuelle außerparlamentarische Opposition zum Cavaliere. In einer der wenigen Publikationsorgane, die noch nicht dem Berlusconi-Imperium gehören, der Wochenzeitung „L’Espresso“, hatte Eco seit 1985 eine eigene Kolumne. Einige dieser „Streichholzbriefe“ sind auch in Buchform und in deutscher Übersetzung erhältlich und stellen eine köstliche Beschreibung der tagesaktuellen Geschehnisse Italiens dar. Bemerkenswert ist zudem ein Briefwechsel, den der Agnostiker Eco (Religion sei „nicht Opium, sondern Kokain fürs Volk, weil es aufstachelt und euphorisierend wirkt“) mit dem populären liberalen Kardinal Carlo Martini (1927-2012) führte und in denen beide eine klassische Debatte zwischen einem Gläubigen und einem Ungläubigen im säkularen Europa führten. Unter dem Titel „Woran glaubt, wer nicht glaubt?“ wurde dieser dann 1998 veröffentlicht. „Darf der Staat Abtreibungen bezahlen, dürfen Frauen zu Priestern geweiht werden und wie kann ein Atheist ethisches Handeln begründen?“ In einer Besprechung meinte damals die Süddeutsche Zeitung, dass bei alledem doch „die Qualität und die Form der Argumente einen fast atemlos umblättern“ lasse.
Bis 2007 lehrte Umberto Eco, der 1955 in Turin über die Ästhetik von Thomas von Aquino promoviert wurde und seit 1975 in Bologna den Lehrstuhl für Semiotik inne hatte, an verschiedenen Universitäten in Europa und Amerika und hielt darüber hinaus unzählige Vorträge. Mehr als 30 Ehrendoktortitel wurden ihm verliehen, zudem Dutzende italienische wie auch internationale Buchpreise, darunter der spanische Prinz-von-Asturien-Preis und der American Academy Award of Arts and Letters. Nur der Literaturnobelpreis, für den er mehrmals nominiert war, blieb ihm verwehrt. Zu seinem 80. Geburtstag 2011 machte er sich selbst sein schönstes Geschenk. Ein Buch – natürlich! –, in welchem er seine eigene Jugend pries. Seine Reflexionen über das Schreiben und die Literatur mit dem Titel „Bekenntnisse eines jungen Schriftstellers“ zeugen abermals von Ecos intellektuellem Charme. Schließlich implizierte er mit diesem Titel niemand anderen als sich selbst. Da er ja seine Karriere erst mit Ende vierzig begonnen habe, so Eco, sei er ja noch „ein ziemlich junger und sicher vielversprechender Romancier“.
Umberto Eco starb am Freitagabend, am 19.02.2016 gegen 22.30 Uhr, an den Folgen eines Krebsleidens im Alter von 84 Jahren. Mit ihm ist ein großer Intellektueller von uns gegangen. Einer, der die Spuren ebenso zu lesen vermochte, wie auch sie zu legen und so seinen Lesern Freude zu bereiten.
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