Ein Computerspiel, das Inspiration bietet und uns dazu anregt unseren Fokus wieder zurückzuführen, auf uns selbst und auf das Hier und Jetzt.

Worum geht es?
Ein kleiner Zwerg hat eine einzige Aufgabe: er soll seinen Kaiser, der Sage nach Kaiser Friedrich I. alias Barbarossa, nach 400 Tagen wecken. Das ist die Grundgeschichte des neuen Computerspiels The Longing. Kreiert wurde es vom Studio Seufz und Application Systems Heidelberg. 400 Tage Warten bedeutet das im Klartext für den Zwerg. Dann weckt er den Kaiser, dieser sieht nach dem Rechten, kontrolliert, ob die Raben weiterhin ihre Kreise um die Festung drehen, um daraufhin wieder einzuschlafen.
Die Idee des Spieles ist es, dass der Spieler in der Rolle dieses Zwergs die Zeit des Wartens durch kleinere Beschäftigungen gestaltet. Das Spiel läuft dabei in Echt-Zeit. Nur durch Aktivitäten, wie zum Beispiel musizieren, lässt sich die Zeit für den Zwerg subjektiv verkürzen und der Countdown läuft schneller herunter.
Entschleunigung anstatt pures Adrenalin
Der Erfinder des Spiels Anselm Pyta entwickelte dieses Spiel als Kontrast zu dem heutigen Zeitgeist in dem Spiele auf ein schnelles und anhaltendes Vergnügen ausgerichtet sind, bei dem Action und Schnelllebigkeit im Fokus stehen. Ein Zustand des puren Adrenalins und ständig explodierenden Sinneseindrücken. In The Longing, zu Deutsch: Die Sehnsucht, geht es insbesondere um die Umkehr dieser Werte. Es geht um Entschleunigung, um Stillstand und Besinnung auf die vermeintlichen Nichtigkeiten. Bemerkenswerterweise wurde das Spiel im März dieses Jahres, also nur kurz vor der Corona Krise in Deutschland veröffentlicht.
Warten – vom Spiel in die Realität
Eine beeindruckende Parallele, die man da ziehen kann zwischen den Motiven des Spieles und unserem derzeitigen Leben. Vom pulsierenden, niemals innehaltenden Streben nach vorne im Alltag und dem plötzlichen Bruch, dem Fallen in die Leere, in die Einsamkeit, die Stille, den Stillstand.
Auf einmal wird die Situation des Zwerges unsere eigene. Diese abstruse Idee des ständigen Wartens. Das Warten, als Selbstzweck, als Vorgabe der Regierung, als neue Norm. Der Zwerg ist auf einmal ganz nah an uns dran. Wir teilen das Gefühl der Zeitlosigkeit, die Monotonie der Tage, die scheinbar gleich ineinander verschwimmen.
Die Situation des Zwerges ist einfach zu illustrieren. Unter dem Schloss in den Katakomben hat er seinen eigenen Raum. Seine einzigen Besitztümer sind ein roter Sessel, ein Teppich, ein Regal aus Holz und ein Schreibtisch. In der Wand befindet sich ein Hohlraum, der ihm als Feuerstelle dienen kann. Nahrung muss er nicht zu sich nehmen.
Im Spiel steht der Zwerg vor verschieden Möglichkeiten, er kann die Gänge untersuchen und versuchen die Gegend zu erkunden. Es soll auch eine unterirdische Bibliothek geben, in der er neue Bücher für seine Sammlung finden kann. Man kann diese im Spiel tatsächlich auch lesen. Alternativ versucht er sich das Leben schöner zu machen, indem er Farbe und Papier zum Malen sucht, einfach mal nur sitzt und starrt – oder sogar einen Fluchtweg findet?
Die Frage nach der Flucht
Sie ist eine ganz zentrale Frage. Nicht nur für den Zwerg in seinem enggliedrigen System. Auch wir kämpfen mit dem Drang, besonders in der Situation des totalen Lockdowns, die sich nun langsam auflöst, flüchten zu wollen. Dabei geht es nicht mal um ein bestimmtes Ziel, denn wo könnte man jetzt schon hin.
Viele Menschen haben einfach das Gefühl, gefangen zu sein, in einer nicht beeinflussbaren Situation. Sie wollen flüchten aus der Passivität, aus der Enge ihres zusammengepferchten Haushalts, aus der Situation der existenziellen Angst oder einfach nur vor der ständigen nagenden Langeweile. Denn wir haben bei allen Möglichkeit des ständigen Unterwegs-Seins, den Angeboten zur Unterhaltung und dem ständigen Kontakt mit anderen vergessen wie es ist, mit sich alleine zu sein.
Was tut man also, wenn nicht der nächste Termin ansteht oder man sich nicht schnell noch fertig machen muss, um rechtzeitig zum Kneipenabend mit Freunden zu kommen? Das ständige Unter-Strom-sein hat uns angetrieben, uns beflügelt immer höher und weiter zu wollen. Permanent ging der Blick in die Zukunft.
Doch was ist mit dem Jetzt?
Beim Spielen des Spiels wird einem zuerst bewusst, wie ungeduldig man eigentlich ist, kurzfristige Erfolge und neue Erkenntnisse, danach giert man. Aber anstatt den kurzen Erfolg verfliegen zu lassen, sollten wir lernen jeden Moment intensiver zu leben und auszukosten. Lernen, uns länger an einer Sache aufzuhalten, anstatt alles nur anzureißen.
Wir erleben den radikalen Cut, das plötzliche An uns selbst Gefesseltsein, physischen Kontaktabbruch. Da finden wir uns wieder, in dem kleinen unterirdischen Raum des Zwerges. Ein Raum, der ganz von selbst unzählige Fragen aufzuwerfen scheint: Versuche ich zu fliehen? Kann ich den Blick mal wieder auf mich allein richten? Was genau will ich? Wer bin ich ohne all die tägliche Geschäftigkeit. Woher nehme ich meine Kreativität? Was füllt mich aus? Und je länger man das Spiel spielt, desto mehr bemerkt man, dass man ruhiger wird, genügsamer. Nicht auf eine träge Art, es ist eher ein zur Ruhe kommen, in dem man die eigene Stimme wieder besser hört.
Stillstand kann Kraft schenken
Mir persönlich hat die Corona-Situation gezeigt, dass die Zielrichtung nicht immer nur stur nach vorne sein muss. Sich darauf besinnen, was man selbst am Besten kann, was man eigentlich wirklich will, wer und was einem eigentlich wichtig ist. Genau um auf solche Fragen Antworten zu finden, sollte man zwischendurch auch nach links und rechts schauen.
Dieses Motiv der Existenz im Jetzt und Besinnung auf sein Inneres, erinnert uns zum Beispiel auch an einige spirituellen Ideen. Seine innere Mitte und Kraft zu finden, zum Beispiel durch Yoga, kann pragmatische Selbst-Reflektion sein. Warten, wenn man es auf eine positive Art versteht, kann uns also weiter bringen und wir müssen nicht direkt auf die Straßen, in Restaurants und Geschäfte hetzen, nur um zwanghaft die alte Normalität zurückzubekommen, nur weil es durch die Lockerungen wieder möglich ist.
Warten tut der Seele gut
In dem Song Wolkenbilder von Fayzen, einem deutscher Songwriter, Musikproduzent, Sänger und Multiinstrumentalist kommt genau das zum Ausdruck. Man kann aus seinen Texten eine Botschaft für den Gehalt des Wartens ziehen. Er benutzt das Motiv der Wolkenbilder, als Sinnbild des stillen Betrachtens und zur Ruhe Kommens, während man einfach mal abschaltet und die Gedanken kreisen lässt. In seinem Lied geht es um den Aspekt des Auslebens und Festhaltens der kleinen Dinge. Auch bei ihm sind die Worte des Wartens und der Langsamkeit positiv behaftet. Die Langsamkeit, das Loslassen und voll im Augenblick zu stehen.
„Ohne Sorgen, ohne Kummer, ohne Zukunftsperspektive (…) All die kleinen Dinge darf ich nie vergessen, wenn ich an Karriere und so denke, an mein Leben und so denke.(…)“
Studien sagen, dass der Mensch nur 10 % seines Lebens wirklich im Moment lebt. Dass es nichts bringt, immer nur in die Zukunft zu blicken, hat uns die Corona Krise verdeutlicht. Wir haben Zeit, der wir Bedeutung geben können, auch ohne direkt das große Abenteuer zu erleben. Unser Warten, unsere Sehnsucht gibt uns die Zeit, unsere Prioritäten zu klären, neue Werte zu definieren und gestärkt aus der Krise hervorzugehen, in dem wir mit uns selbst ins Reine kommen.
Sehr wahre Worte, die unsere Situation in den letzten Monaten zusammen fassen. Der Text hat mich sehr angesprochen und ich hoffe, wir lesen noch mehr von der jungen Autorin. Eine kleine Spende für die Plattform habe ich als Dank hinterlassen.