Nicht mehr viel Zeit bleibt bis zum großen Reifezeugnis. Und dann? Studium natürlich, um später Karriere zu machen. Eine möglichst gute Abschlussnote wird vorausgesetzt. Doch werden wir wirklich nur dann als gebildete Menschen anerkannt, wenn wir unseren Lebenslauf in dieser Reihenfolge einhalten und standardisieren? Kommen wir nur so weiter?

Prüfungen stehen irgendwann an: Der Druck steigt, die Zeit wird knapp, Schlaf sowieso. Immer wieder frage ich mich, warum ein Tag nur aus diesen lächerlichen 24 Stunden besteht. Wenigstens bin ich nicht die einzige. Durch die Schule laufen übermüdete Wesen, Freizeit scheint ein Fremdwort zu sein. Wofür opfern wir uns so auf? Es ist die Abschlussnote. Sie ist wichtig, sehr wichtig. Bestmöglich sollte sie ausfallen, um ans Wunschstudium zu gelangen. Abitur, Studium, berufliche Karriere. Wir wollen uns ja an die korrekte Reihenfolge halten.
Ein Lebensziel abhängig von zwei Nummern?
So ist eine zweistellige Dezimalzahl also unser Ausweispapier. Diese Ziffer entscheidet, ob uns Eintritt gewährt wird, ob wir „gut“ genug sind. Haben wir die erste Hürde überwunden, geht es weiter. Bis wir angelangt sind am Ziel. Doch welches Ziel eigentlich? Die meisten Menschen antworten auf diese Frage, dass sie letztendlich glücklich sein wollen. Da erscheint es doch recht paradox, dass wir uns so abarbeiten für eine berufliche Karriere. Ja, sogar die Anzahl burnout-bedingter Berufsunfähigkeit ist in den letzten zehn Jahren um über 140 Prozent gestiegen. Demnach scheinen viele ihr Ziel nicht ganz zu verwirklichen. Trotzdem wollen wir erfolgreich sein und dafür brauchen wir das Studium und eben die niedrige Abschlussnote.
Wieder erscheint uns im Hinterkopf die besagte Muster-Reihenfolge im Lebenslauf. Aber warum? Weil uns das die Gesellschaft so vorgibt und wir uns nach ihrer Anerkennung sehnen. Sie ist unser wahres Ziel. Eigentlich ja gar nicht so verwerflich, immerhin ist Anerkennung ein Bedürfnis des Menschen. Aber fragt man sich mal, wodurch wir diese zu erhalten glauben, wird schnell deutlich, dass die Kriterien doch ziemlich oberflächlich sind. Abgesehen vom fetten Porsche, der goldenen Rolex oder anderen unsinnigen Statussymbolen, wird auch unser Wesen auf äußerst banale Art und Weise eingestuft.
„Der gebildete Mensch weiß, dass schulische Bildung nicht das Wichtigste ist“
Der Bildungsstand wird eingeschätzt nach Noten, die – wie wir wohl wissen – größtenteils subjektiv verteilt werden. Sie sollen unsere Leistung widerspiegeln, uns als mehr oder eben weniger gebildeten Menschen ausweisen. Doch allenfalls können sie fair beurteilen, wie genau etwas auswendig gelernt worden ist. Daran interessiert, wirklich gebildete Menschen hervorzubringen, sind öffentliche Schulen nicht und weiter als auf die Kommazahl blicken Universitäten auch nicht gerade. Die Nachbarin sowieso nicht.
Hast du nicht studiert, bist du eben kein Akademiker. Da kann dann wohl nicht so viel dahinter stecken. „Ohne Studium bist du nichts“, diese Denkweise scheint heutzutage ziemlich verbreitet zu sein. Warum sonst lastet der Druck auf uns, überall möglichst gute Noten hervorzubringen? Aber sie ist ein Irrtum. Es gibt genügend Beweise, die das zeigen. Thomas Mann zum Beispiel, einer der bekanntesten Schriftsteller, blieb dreimal sitzen und verließ das Gymnasium ohne Abitur. Und er soll kein gebildeter Mensch sein?
Aber was macht einen solchen überhaupt aus? Eines ist schon mal klar: Er lässt sich nicht an seiner Abschlussnote festmachen. Der Philosoph Robert Spaemann behauptet außerdem, er habe es nicht nötig, sich mit anderen zu vergleichen und daraus sein Selbstwertgefühl zu beziehen. Der gebildete Mensch handle unabhängig von gesellschaftlicher Wertschätzung und erfreue sich daher mehr am Leben. Vor allem wisse er, dass schulische Bildung nicht das Wichtigste sei. Dass diese nicht über ihn entscheiden könne und ihn nicht auf den Ernstfall vorbereite. Übrigens: Der Text, aus dem diese Thesen stammen, stand im hessischen Landesabitur 2014 zur Auswahl.
Trotzdem heißt das jetzt nicht, der gebildete Mensch braucht die Schule sowieso nicht. Vielmehr, dass er sich aus eigenem Antrieb für einen solchen Weg entscheidet und eben nicht aufgrund der dafür erhaltenden Anerkennung. Natürlich, auch der gebildete Mensch benötigt Bestätigung. Doch er muss sich niemandem beweisen. Wie wir nun zu unserem Ziel gelangen, mit abgeschlossenem Studium oder eben auf ganz andere Weise, bleibt doch uns selbst überlassen. Letztendlich kommt es darauf an, aus eigenem Willen zu handeln und dies verantworten zu können. Ob dabei irgendeine vorgegeben Reihenfolge eingehalten wird, ist doch bedeutungslos.
Schreibe einen Kommentar