Jerusalem (1.Kön/HoHe). König Salomo hat einen seit gestern andauernden Mutterschaftsstreit geschlichtet. Wie aus internen Ermittlungsakten hervorgeht, hat der Nachfolger des Jahrhundert-Königs David durch sein unkonventionelles Vorgehen nicht nur für die Lösung des Problems gesorgt, sondern auch ein erstes Ausrufezeichen in seiner noch jungen Amtszeit gesetzt. Demnach deuten regierungsnahe Kreise sein Gerichtsurteil als ersten Versuch des jungen Thronerben, aus dem scheinbar übergroßen Schatten seines Vaters David herauszutreten.
Ein Bericht von Holger Herrlich.
Es waren dramatische Szenen, die sich vor Gericht am Königshof abspielten. Was zu Beginn der Verhandlungen wie ein harmloser Kollegenstreit aussah, entpuppte sich als ein nervenaufreibender Fall, in dem es um Prostituierte, Kuckuckskinder und ein totes Baby ging. Zwei Frauen sind bei Salomo vorstellig geworden und hatten behauptet, Mutter eines bestimmten Kindes zu sein. Beide teilen sich, da sie offenbar in derselben Dienstleistungsbranche für Liebesdienste tätig sind, eine Unterkunft und brachten vor einiger Zeit fast gleichzeitig ein Kind zur Welt. Nun kam es in der gestrigen Nacht zu einem tragischen Zwischenfall: Eine der Frauen hatte sich im Schlaf versehentlich auf ihr Kind gelegt, sodass es erstickte. Als sie noch in der Nacht den Tod ihres Kindes bemerkte, soll sie zum Bett der anderen Frau gegangen sein und die Babys ausgetauscht haben.
Schwesterliche Teilung?
Doch der Schwindel flog auf. Auch wenn ihre Kollegin am nächsten Morgen den Schock über das tote Baby in ihrem Bett noch überwinden musste, merkte sie schnell, dass etwas nicht stimmte. Sie zerrte ihre Mitbewohnerin vors königliche Gericht und schilderte dem König ihre Version der Geschichte. Die Beschuldigte widersprach ihr vehement und so stand Aussage gegen Aussage. Die Gerichtsprotokolle, die dieser Zeitung vorliegen, geben ein beredtes Zeugnis über die verfahrene Situation. So wird die eine Mutter mit den Worten zitiert: „Mein Kind lebt, und dein Kind ist tot“, woraufhin die andere ihr lediglich zu entgegnen wusste: „Nein, dein Kind ist tot und mein Kind lebt.“ Salomo, der unbestätigten Gerüchten zufolge ebenfalls keine besonders gute Nacht hatte, wollte eine schnelle Lösung des Problems und griff zu einem Mittel, die in einem Erbschaftsstreit zwar durchaus hilfreich sein kann, bei Mutterschaftstests aber ziemlich deplatziert ist: Die gerechte Teilung des Streitobjekts.

„Schneidet das lebende Kind entzwei, und gebt eine Hälfte der einen und eine Hälfte der anderen“, so der König wörtlich. Als daraufhin Unruhe im Gerichtssaal ausbrach und einige Experten begannen, die Kenntnisse des Königs über die menschliche Anatomie in Zweifel zu ziehen, die für den Körper im Falle einer Zerteilung zum Tod führt, nahm der Fall eine unvorhergesehene, von Salomo aber wohl beabsichtigte Wendung. Die der Entführung beschuldigten Frau zeigte sich mit dem Vorschlag sofort einverstanden, während die andere den König unter Tränen anflehte, er möge das Kind lieber der anderen Frau überlassen, statt es durch einen derart gewaltsamen chirurgischen Eingriff zu töten. Der Protokollant, der der Verhandlung beiwohnte und seine Beobachtungen im sogenannten „1. Buch der Könige“ festgehalten hat, beschrieb die rührende Szene und vermutet „mütterliche Liebe“ als Grund für diese emotionale Reaktion. König Salomo deutete diesen Umstand genauso: Für ihn war das der eindeutige Beweis für die wahre Mutterschaft der zweiten Frau.
Wunsch erfüllt: Salomos Weisheit „göttlich“?
Er gab den Befehl, das lebendige Kind der rechtmäßigen Mutter zurückzugeben und während das Kind zu seiner wahren Mutter zurückkehrte, bedachten die Anwesenden das erfolgreiche Vorgehen Salomos mit stehenden Ovationen. Die Nachricht von seiner Weisheit verbreitete sich über die Sozialen Netzwerke wie ein Lauffeuer im ganzen Land. So machten auch Gerüchte die Runde, der König habe seine Weisheit direkt von Gott erhalten. „Sieh, ich gebe dir ein so weises und verständiges Herz, dass keiner vor dir war und keiner nach dir kommen wird, der dir gleicht“, wird der Allmächtige im bereits erwähnten „1. Buch der Könige“ zitiert. Inwieweit Salomo seine übrigen menschlichen Schwächen in den Griff bekommt, bleibt abzuwarten. Zumindest wurde bereits der Bau eines großen Tempels zu Ehren Gottes als nächstes größeres Projekt angekündigt.
Quelle: 1. Buch der Könige 3, 2-28
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