f1rstlife

Und was denkst du?

  • Startseite
  • Über uns
    • Redaktion
    • Stiftung
      • Machen Sie mit!
      • Spenden Sie!
  • Mitmachen
  • Newsletter
  • Spenden
  • Kontakt
  • Workshops
  • Engagement
  • Lifestyle
  • Sport
  • Religion & Philosophie
  • Meine Zukunft
  • Politik & Gesellschaft
  • Wirtschaft
  • Kultur
  • Liebe & Sexualität
Aktuelle Seite: Startseite / Engagement / Sackgasse: Bosnien

Sackgasse: Bosnien

18. Dezember 2020 von Christina Lopinski Kommentar verfassen

Das durch einen Brand zerstörte Flüchtlingscamp Moria steht in diesem Jahr sinnbildlich für die Situation tausender Geflüchteter – und für das Versagen der Europäischen Union. Während Medien und Politik nach Griechenland blicken, werden auf der Balkanroute Menschen von der Polizei diffamiert. Jannik Jaschinski ist als Freiwilliger in Bosnien vor Ort und spricht offen über die katastrophalen Zustände.

Alle Bilder: © Jannik Jaschinski

Es ist Mitte Dezember, die Corona-Zahlen steigen und die ganze Republik – so scheint es – ist damit beschäftigt, das Weihnachtsfest zu retten, als wäre es ein Impfstoff. Die Pandemie hat die westlichen Demokratien in einen Krisenstatus gestürzt, den sie nicht mehr gewohnt sind. Er tangiert Sicherheit und Freiheit und löst tiefe Emotionen aus. Die Corona-Pandemie ist eine Extremsituation. Als akute Krise überschattet sie, was als chronische Katastrophe gerade sonst noch passiert. Wir schauen auf R-Wert und Inzidenzen, nicht auf Flüchlingscamps und europäische Außengrenzen. Die Corona-Krise macht die Situation der Geflüchteten in Europa nicht weniger wichtig – im Gegenteil.

Jannik Jaschinski, 22, Student, lebt aktuell in der bosnischen Grenzstadt Bihac.Er arbeitete erst für den Verein ‚SOS Bihac‘, mittlerweile für die ‚No Name Kitchen‘.. „Es gibt nicht nur Moria“, sagt er. Und bevor Jannik anfängt, zu erzählen, zeichnet er das Bild eines Landes, das schon ohne Geflüchtete am Rand der Überforderung steht.

Bosnien-Herzegowina ist eine junge Republik. 1992 rief das Land seine Unabhängigkeit vom jugoslawischen Staatenbund aus – und stürzte wenig später in einen verheerenden Krieg, dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind. Obwohl Bosnien als Demokratie gilt, konkurrieren verschiedene ethnopolitische Lager um die Macht. Das Land ist tief gespalten und das politische System dysfunktional und korrupt. Die Wirtschaftsleistung ist schwach, die Arbeitslosigkeit hoch – fast so hoch wie die Emigration junger Menschen. „Das Land ist politisch extrem zerfahren“, sagt Jannik. „Viele wünschen sich Jugoslawien zurück, es herrscht eine völlige Staatenlosigkeit.“

Warum Bosnien?

Jannik studiert im neunten Semester Jura und Wirtschaftswissenschaften an der Universität in Heidelberg. Vor seinem Studium hat er bereits ein halbes Jahr in der Flüchtlingshilfe gearbeitet, während seines Studiums eine irakische Familie betreuet, dann kam Corona. Seine Auslandspläne platzten und Jannik fand sich im Strudel des „Nichts-Tuns im Lockdown“ wieder. Von der Romantik der Couch verabschiedete er sich schnell. „Ich habe mich extrem schlecht gefühlt, nur herumzusitzen, während es anderen Menschen so viel schlechter geht.“ Er denkt an Griechenland – das Flüchtlingscamp Moria auf der Insel Lesbos hat vor wenigen Monaten gebrannt. Die größte Not strahlt medial nicht immer am Schlimmsten. Er kontaktierte die Stuttgarter Hilfsorganisation STELP e.V. Gründer Serkan Eren riet ihm davon ab, als Helfender nach Griechenland zu gehen.

Bosnien sei roher, so Eren. Im September entscheidet sich Jannik dann, nach Bihac zu reisen und die Hilfsorganisation ‚SOS Bihac‘ vor Ort zu unterstützen. In Bosnien ist die Situation anders als in Griechenland. Bosnien gehört nicht zur Europäischen Union. Das bosnische Gesetz ist undurchsichtig, was humanitäre Hilfe betrifft. Offiziellen Hilfsorganisationen ist die Arbeit gestattet, anderen Hilfsorganisationen nicht, die Grauzone ist groß. Das macht die Arbeit für NGO’s und inoffizielle Helfende schwer. ‚SOS Bihac‘ agiert nicht im Rahmen der offiziellen Camps. . Die Hilfsorganisation kümmert sich um die Menschen, die außerhalb der Camps, auf den Straßen und vor allem in den Grenzwäldern leben. „Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen es genau sind. Wir gehen aktuell von circa tausend aus“, sagt Jannik. „Wir versorgen die Menschen mit Lebensmitteln, Wasser und Kleidung, Hygieneartikeln und was sie sonst noch brauchen.“ Er klingt ganz abgeklärt – nach einigen Wochen Arbeit in der Nothilfe muss man das wohl sein – zu groß ist die Gefahr, an dem unendlichen Leid zu ersticken.

© Jannik Jaschinski

Nothilfe im Untergrund

Die Arbeit ist emotional nicht leicht und oft stoßen die Freiwilligen auch an strukturelle Grenzen. Es ist schwer, Kontakt zu den Geflüchteten aufzunehmen, weil sie sich vor der Polizei verstecken. Jannik erzählt, dass die Geflüchteten sich meistens in Gruppen aufhalten und einer in der Gruppe häufig ein Handy besitzt. „Wir kommunizieren über Facebook und machen dann einen Treffpunkt aus, an dem wir Kleidung und Nahrung übergeben können.“ Für die Menschen da zu sein, bedeutet in Bosnien gegen Regierung und Polizei zu arbeiten. Nothilfe kann ein Gesetzesbruch sein, während Korruption und Gewalt offen gelebt werden. „Hast du keine Angst vor der Polizei“, frage ich. „Naja“, Jannik zögert. „Die polizeiliche Repression ist schon extrem, wir sind sehr vorsichtig. Wenn wir angehalten werden, dann geben wir uns als Touristen aus.“ Jannik und sein Team leben nach anderen Gesetzen. Sie bringen den Menschen die Würde zurück, die viele auf ihrer beschwerlichen Reise nach Bosnien verloren haben.

Polizeigewalt und Hoffnungslosigkeit

© Jannik Jaschinski

Bosnien gilt als Transitland für Geflüchtete. Fast alle wollen in die EU. Seit den europäischen Grenzschließungen im Jahr 2015 sitzen zahlreiche Menschen, die über die Balkanroute nach Europa wollten, in Bosnien fest. Der einzige Weg in die EU führt über Kroatien. Bihac ist nicht einmal 100 Kilometer von der Grenze entfernt. 18 Stunden Fußweg, sagt Google-Maps. In Bosnien wird es im Winter sehr kalt. Vor allem in den Wäldern liegt oft hoher Schnee. In den Bauruinen im Wald finden regelmäßig Razzien statt – so sichert die Polizei die chronische Vertreibung der Geflüchteten. In Bosnien ist die Hoffnungslosigkeit groß, „für viele fühlt es sich an wie eine Sackgasse“, sagt Jannik und seufzt. An der kroatischen Grenze gebe es keinen großen Zaun. Die Menschen denken, sie seien in der EU und sicher – bis die kroatische Polizei sie aufgreift. „Horror“, sagt Jannik. „Die kroatische Polizei lädt die Menschen in einen Van und fährt sie zur bosnischen Grenze. Ohne Asylverfahren“, sagt Jannik. Das verstößt gegen europäisches Gesetz. Geflüchtete müssen in dem Land registriert werden, in dem sie ankommen.

„Meistens fahren die Polizisten Umwege und Kurven, damit sich die Leute gegenseitig auf die Füße kotzen“, sagt Jannik, seine Stimme bebt. „Und bevor sie wieder in Bosnien sind, wird ein großes Feuer gemacht und die Menschen werden gezwungen, all ihre Sachen reinzuwerfen. Die Menschen werden verprügelt, ich habe auch schon von sexuellem Missbrauch gehört.“ Jannik schluckt. Das ist so schrecklich, dass ich kaum verarbeiten kann, was ich höre. Janniks Beschreibungen fallen in den Raum des Unvorstellbaren. „Das passiert jeden Tag“, sagt er. In den Wäldern Bosniens laufen in diesem Augenblick Frauen und Männer ohne Schuhe über den kalten Boden, Kinder ohne Winterjacken, Menschen ohne Hoffnung. Jannik erzählt von Menschen, die er getroffen hat, die es dreißig Mal versucht haben. Kroatien – Polizei – Van – Feuer – Schläge – Bosnien. Es ist immer dasselbe, die Ausprägungen variieren. „Vor Kurzem haben wir nachts eine Gruppe aufgegriffen, die hatten alle geschwollene Augen und geschwollene Rippen und blutende Nasen.“ Ein Mann sei zu schwach gewesen, um seine Wasserflasche zu halten. „Wir können dann nichts machen, außer Wunden abtupfen und Schmerzmittel verteilen.“ „Wie kannst du das aushalten?“, frage ich. „Meistens wird mir erst klar, wie krass das ist, wenn ich darüber spreche“, sagt Jannik.

© Jannik Jaschinski

Nothilfe reicht nicht

Darüber sprechen. Hinschauen. Nicht einverstanden sein. Jannik tut, was wir alle auf unsere Weise tun sollten: sich für die Menschen einsetzen, die nicht für sich selbst einstehen können. Die Geflüchteten in Bosnien werden unterdrückt, erniedrigt und misshandelt. In einer Sackgasse voll Hoffnungslosigkeit und Frust. „Man macht überhaupt keinen Fortschritt“, sagt er. „Wenn ich in ein paar Monaten wiederkommen würde, dann wären wir an genau dem gleichen Punkt.“ Jannik spricht aus, was niemand hören will: Dass Nothilfe nicht ausreicht und eine politische Lösung her muss. Die EU steht vor den Trümmern ihrer Abschottungspolitik. Leidtragende, sind die, denen es ohnehin am schlechtesten geht.

Janniks Zeit in Bosnien neigt sich dem Ende zu. An Weihnachten möchte er wieder bei seiner Familie in Deutschland sein. Vorher kommt ihn ein Freund besuchen. Auf eigene Faust wollen sie mit dem Wohnmobil durch das Land fahren und Lebensmittel verteilen. Ich bin von seinem Opportunismus und seiner Weltverbesserungs-Attitüde beeindruckt und frage ihn, was ihn antreibt? Jannik lacht. „Ich bin sehr, sehr, sehr gesellschafts-politisch interessiert.“ Interesse und Engagement scheinen ab einem bestimmten Grad zu verschwimmen. Als ich ihn frage, was er sonst noch gerne macht, redet er über Hochschulinitiativen und Politisches. „Und lesen“, sagt er. Und während Jannik über sein Lieblingsbuch spricht klingt es, als genieße er die Möglichkeit, der Realität für eine Zeit zu entkommen. Es heißt übrigens „ein wenig Leben.“

 


Hat Dir der Artikel gefallen? Dann hilf uns, gute Inhalte und jungen Journalismus zu unterstützen!
  • Bio
  • Latest Posts
Christina Lopinski

Christina Lopinski

Christina Lopinski wusste schon früh, dass sie schreiben will. Von einem kleinen Dorf in Hessen zog es sie für das Studium der Publizistik und Politikwissenschaften erst nach Berlin und dann in die Türkei. Besonders interssiert sich die 24-Jährige für Krisenjournalismus und ist überzeugt, dass Sprache die schärfste Waffe ist. Sie glaubt an die Phantasie der Freiheit und den Mut, etwas zu risikieren.
Christina Lopinski

Latest posts by Christina Lopinski (see all)

  • Unsere Gedankenwelt: Mein innerer Planet - 18. Januar 2021
  • Julian Assange: Ein Kampf im Namen der Pressefreiheit - 6. Januar 2021
  • Sackgasse: Bosnien - 18. Dezember 2020
  • Äthiopien und die dreifache Krise - 10. Dezember 2020
  • Das weibliche Geschlecht im Konjunktiv: Die Könnte-Frau - 4. Dezember 2020

Verwandte Artikel

  • Was ist los mit Griechenland?
  • Warum wir die Griechenland-Schulden nicht bezahlen müssen
  • Feuerwerk und Maßkrugschlägereien – Polizei beim Oktoberfest
  • IntegrAIDE: Geflüchtete in Arbeit bringen – إنتغرايد: إدخال اللاجئين في سوق العمل
  • Köln: Das Märchen von "Racial Profiling" und seine Folgen
Twittern
Pin
Teilen
0 Shares

Kategorie: Engagement Stichworte: Bosnien, Geflüchtete, Grenzschließung, Griechenland, Missbrauch, Nothilfe, Polizei

Newsletter

Christina Lopinski

Über Christina Lopinski

Christina Lopinski wusste schon früh, dass sie schreiben will. Von einem kleinen Dorf in Hessen zog es sie für das Studium der Publizistik und Politikwissenschaften erst nach Berlin und dann in die Türkei. Besonders interssiert sich die 24-Jährige für Krisenjournalismus und ist überzeugt, dass Sprache die schärfste Waffe ist. Sie glaubt an die Phantasie der Freiheit und den Mut, etwas zu risikieren.

Schreibe einen Kommentar Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Über uns

firstlife-Redaktion
Gutes bewegen in der Realität. [Weiterlesen]

Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren
Unser Newsletter enthält Informationen zu unseren Produkten, Angeboten, Aktionen und unserem Verein. Hinweise zum Datenschutz, Widerruf, Protokollierung sowie der von der Einwilligung umfassten Erfolgsmessung, erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Folge uns

Facebook

Like

Instagram

Follow

Twitter

Follow

Home | Über uns | Redaktion | Mitmachen | Die Stiftung | Kontakt | Impressum | Datenschutz

Wir messen die Nutzung von f1rstlife mit Cookies und weisen Dich aus rechtlichen Gründen darauf hin.OKDatenschutzerklärung