In meinem vorangegangenen Artikel habe ich das Thema „Loslassen“ behandelt. Um sich in der Kunst des Loslassens zu üben, ist es hilfreich, wenn man weiß, wie man diese Technik ausführen kann. Denn wie ein Muskel, welcher beim Training im Fitnessstudio trainiert wird, kann man auch das Loslassen üben. Der Schlüssel zum Loslassen von belastenden Dingen, Situationen oder auch (toxischen) Menschen heißt: radikale Akzeptanz.
In der Psychologie ist der Begriff der Radikalen Akzeptanz ein Grundstein, welcher Patienten gelehrt wird, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Wenn die belastende Situation erst mal erkannt und angenommen wurde, kann man mit dem Patienten weiterarbeiten und dann, im weiteren Verlauf einer Therapie die belastenden Punkte bzw. Wunden (z.B. aus erlebten Traumata der Kindheit) auflösen. Radikale Akzeptanz ist also eine Voraussetzung, um in die Heilung seiner inneren Thematik zu kommen. Auch wenn du keine Traumata aufzuarbeiten hast, ist die radikale Akzeptanz ein gutes Werkzeug, um dich von Situationen zu lösen und diese Loszulassen wie einen Gas-Luftballon, welchen man gen Himmel steigen lässt.
Was bedeutet radikale Akzeptanz?
Radikale Akzeptanz bedeutet, eine Situation „vollkommen“, „total“ oder auch „bedingungslos“ zu akzeptieren, so anzunehmen, wie sie sich darstellt. Ohne Wertung oder Rechtfertigung oder gar Erklärung. Einfach annehmen. D.h. den Moment, die Situation anzunehmen, wie sie ist, ohne emotional darauf zu reagieren und der Emotion entsprechend zu handeln. Es handelt sich um eine Haltung, die man einnehmen kann, um mit unabänderlichen Dingen umzugehen. Diese Haltung bezieht auch die eigenen Emotionen, Gedanken und Wünsche mit ein. Auch die eigene Reaktion auf diese Dinge gilt es anzunehmen und radikal zu akzeptieren.
Es ist vollkommen legitim, dass wir z.B. über eine Trennung traurig sind und uns in einem Prozess der Trauer befinden, um mit diesen Gegebenheiten klar zu kommen. Auch diese Reaktion und das damit verbundene Gefühl darauf gilt es anzunehmen. Wenn jedoch die Trauer in Wut umschlägt und man seinem Ex-Partner z.B. das Auto zerkratzen will und es auch tut, dann ist dies ein destruktives Verhalten, welches nicht hinnehmbar ist. Diesen Impuls, welchen man verspürt kann man ebenfalls einfach annehmen, ohne diesen auszuagieren.
Der Weg der Akzeptanz ist also ein weitaus leichterer und sozialverträglicher Weg, mit belastenden und schwierigen Situationen umzugehen. Wichtig: Akzeptieren bedeutet nicht, dass man etwas gutheißt oder gar damit einverstanden ist.

Loslösung von der Verstrickung der Situation
Zunächst ist es wichtig, sich von der Verstrickung der Situation zu lösen. Solange man die Situation, die Dinge oder gar den Menschen verurteilt, ablehnt oder mit sonstigen eher negativ behafteten Gefühlen begegnet, ist man fortwährend mit dieser Angelegenheit verstrickt. Um diese zu lösen, hilft es, die Perspektive zu wechseln und auch die Beobachter-Perspektive einzunehmen. So kann man sich von den Gefühlen, welche mit der gegebenen Situation verknüpft sind, ein wenig distanzieren und die Dinge sachlicher, vielleicht sogar ein wenig neutraler einschätzen.
Von außen betrachtet, sieht die Situation immer ein wenig harmloser aus, da diese Perspektive zulässt, dass man emotional einen Schritt davon weicht. Du kannst dir auch vorstellen, dass du als guter Freund / gute Freundin auf die Situation schaust und dir überlegen wie diese Person darüber denken würde.
Radikale Akzeptanz kann man aktiv üben und anwenden
Als meine letzte (toxische) Beziehung in die Brüche ging und ich es einfach nicht wahrhaben konnte und wollte, dass ich nun durch eine jüngere Frau ersetzt wurde, musste ich mich auch mit der Kunst des radikalen Akzeptierens auseinandersetzen. Wochenlang bin ich durch den anliegenden Wald der psychiatrischen Klinik gelaufen und habe mir die folgenden Sätze mantraartig laut vorgesagt: „Ich akzeptiere, dass ich belogen und betrogen wurde!“, „Ich akzeptiere, dass diese Beziehung vorbei ist!“. Dies war eine Tatsache, welche nicht veränderbar war und musste genau so angenommen werden.
Während du dir deine Tatsache aufsagst, hör dir deine Stimme an, experimentiere so lange mit deiner Stimme, bis es glaubhaft klingt. Dabei sollte sie Bereitschaft und Akzeptanz ausdrücken, die Situation so anzunehmen, wie sie nun mal real ist. Jeder deiner tatsächlichen Aussagen folgt dann ein „Ja, so ist es!“. Ich persönlich hatte noch hinzugefügt: „Es ist gut so und unabänderlich!“ – Zudem hatte ich auch nicht vor, in diese toxische Beziehung zurückzugehen. Ich wollte einfach nur heilen und diese Dinge verarbeiten.
Die Akzeptanz löst den Schmerz langsam auf
Der Vertrauensbruch, der Betrug und all die Lügen waren für mich schwer hinzunehmen. Auch das einfache Austauschen meiner Person und das darauffolgende abschieben in die psychiatrische Klinik, in welche er mich höchstpersönlich brachte, sodass er sich seinem neuen Projekt widmen konnte, war eine für mich fassungslose Haltung, welche ich ertragen musste. Dies war wirklich eine sehr harte Erfahrung für mich. Anfänglich war es mit vielen Tränen und ganz viel Schmerz verbunden, welcher auch einige Zeit angehalten hat. Aber mit jedem Tag und mit jeder Wiederholung der Übung im Wald, wurde es ein wenig leichter. Und irgendwann kam der Tag, da war sie da: Die radikale Akzeptanz der Situation. Und der Schmerz war leichter zu ertragen und bald fast weg.
Der feine Unterschied zwischen Schmerzen und Leiden
Schmerz und Leid kann man unterscheiden. Schmerz zu verspüren ist in unserem Leben unabdingbar, denn auch dieses Gefühl gehört, wie Liebe und Freude, mit zum Leben. Unangenehme Gefühle müssen nun auch mal ertragen werden, denn wenn man sie versucht wegzudrängen oder gar zu vermeiden, leidet man noch mehr darunter.
Leiden hingegen ist ein selbst gewähltes Gefühl, denn Leid besteht aus Schmerz der Nicht-Akzeptanz. Wenn Menschen an etwas haften bleiben, die Situation nicht annehmen können, sich wehren und kämpfen – manche sogar bis zur Selbstaufgabe – dann handelt es sich um selbst gewähltes Leid. Leid ist schwieriger zu ertragen als Schmerz. Nur durch radikale Akzeptanz kann man Leid in Schmerz umwandeln. Sich im Leid zu suhlen ist eine Opfermentalität, welche dich nicht weiterbringen wird im Leben.
Schmerzen vergehen irgendwann, wenn du dich diesem Gefühl zuwendest und es aktiv spürst. Dann kann er deinen Körper durchfließen und sich auflösen. Jeder Schmerz in deinem Leben macht dich stärker und lässt dich wachsen, in deiner persönlichen Entwicklung. Denke immer daran: Dein Schmerz von heute ist deine Kraft von morgen. Alles hat seinen Sinn im Leben…
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