Es ist Lockdown in Deutschland und auf der ganzen Welt. Das Virus Covid-19 legt die Bundesrepublik lahm. Während ein großer Teil der Bürger viel Verständnis für die Regierungsmaßnahmen hat, regt sich auch zunehmend Widerstand aus der Bevölkerung. Demonstranten verschiedener Couleur versammelten sich in den letzten Wochen immer wieder zu Samstagdemonstrationen in verschiedenen Städten. firstlife-Schreiberling Tobias Kolb war am 16.5. in Stuttgart auf der “Querdenken 711-Demo” gegen die Lockdownmaßnahmen dabei. Ein Bericht.

Hinweg voller Flyer und Warnungen
Nach einigen Recherchen habe ich mich an diesem Samstag mal auf die Demonstration der Corona-Maßnahmen-Kritiker getraut. Ich bin gespannt, wen ich treffen werde. Besorgte Bürger? Rechtsradikale? Verschwörungstheoretiker? Die bisherigen Berichte lassen mich auf alles gefasst sein. Auf dem Weg vom Bahnhof Bad Cannstatt zum Wasengelände, auf dem die Demo stattfindet, werden mir bereits von mehreren Menschen Flyer in die Hand gedrückt. Die Partei “Die Linke” warnt davor, auf die Demo zu gehen, ebenso die Antifa, die eine Unterwanderung der Proteste durch Rechtsextreme befürchtet. 5.000 Teilnehmer wurden zuvor genehmigt. Angemeldet waren 500.000.
Am Rande des Geländes erblicke ich ein Banner, auf dem steht: “Sei kein Trump”, womit eine kritische Haltung zu den Corona-Maßnahmen mit dem amerikanischen Präsidenten in Verbindung gebracht wird. Auch Christen aus unterschiedlichen Gemeinden treten in Erscheinung und verteilen Johannesevangelien. Ihre Botschaft: Jesus ist der einzige Weg! Die Menschenmasse, mit der ich auf dem Weg zur Demo bin, ist relativ bunt. Menschen verschiedenen Alters, manche mit Schildern, die meisten wirken ganz normal.
Buntes Fahnen- und Plakatgemisch: Zwischen Regenbogenfahne und Kaiserreichsflagge
Angekommen auf der Demo, passiere ich das Absperrband. Ich bin etwas früher da und gehöre zum Glück noch zu denjenigen, die legitim auf den Platz dürfen. Als der Platz voll ist, werden die später Kommenden zu rechtlich legitimen Spontandemos an anderen Plätzen aufgerufen. Eine Ordnerin mit einem “Querdenken 711”-Button, so heißt der Veranstalter, lässt mich rein. Sie weist mich an, den Mindestabstand einzuhalten, der durch weiße Kreuze auf dem Boden markiert ist. Als ich mich umschaue, erblicke ich die unterschiedlichsten Flaggen, Banner und Plakate. Ich sehe unterschiedliche Länderfahnen wie Deutschland, Schweden, Dänemark und Österreich. Allerdings auch welche, die eher einer politischen Denkrichtung zuzuordnen sind, wie mehrere Regenbogenflaggen. Auch eine Flagge mit den Farben des Kaiserreiches.
Die Plakate und Banner sind ebenfalls relativ bunt und die alternativen Medien stark vertreten. Ich sehe ein Riesentransparent, auf dem das Logo von KenFM, der Medienplattform des umstrittenen Journalisten Ken Jebsen zu sehen ist, daneben das Logo von Widerstand 2020, der neugegründeten Lockdown-kritischen Partei des Arztes Bodo Schiffmann. Ein Demonstrant trägt außerdem ein T-Shirt des alternativen Youtubers Heiko Schrang und auf einem Plakat ist ein ARD-Logo abgedruckt, mit der Aufschrift: “Bitte waschen Sie Ihre Hände, Ihr Gehirn waschen wir”. Die Liebe zu den öffentlich-rechtlichen Medien scheint sich in Grenzen zu halten.
Die Aufschriften der Plakate drehen sich vor allem um die Themen Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, wobei immer wieder auf das Grundgesetz verwiesen wird. Auch der befürchtete Impfzwang ist ein großes Thema, in Zusammenhang mit dem Multimilliardär Bill Gates, dessen Stiftung sich bekanntermaßen für die Entwicklung eines Corona-Impfstoffs einsetzt. Einer der häufigsten T-Shirt- und Plakatsprüche ist daher: “Gib Gates keine Chance”. Etwas seltener finden sich auch missionarische Botschaften auf Shirts und Plakaten, wie etwa “Jesus rettet Leben – Bill Gates zerstört Leben” oder Warnungen vor einem kommenden Weltstaat.
Energiekristalle und ein Lungenarzt auf der Leinwand
So bunt die Menge der Protestanten ist, so unterschiedlich sind auch die Programmbeiträge von der Tribüne. Sie beginnen mit einem kurzen Vortrag von Michael Ballweg, dem Gründer der Initiative 711 und Veranstalter der Demonstration. In seiner kurzen Rede geht er auf die Demonstration in der vorherigen Woche mit scheinbar mehr als 20.000 Teilnehmern ein. Er kritisiert die Berichterstattung der Medien und erwähnt auch, dass in der Nacht zuvor zwei LKWs mit Veranstaltungstechnik angezündet wurden. Ballwegist ein Unternehmer, der vorher nicht politisch in Erscheinung getreten war. Es ist der seiner Meinung nach ungerechtfertigte Lockdown, der ihn nun dazu veranlasst sah, Proteste zu organisieren.
Danach erscheint der Lungenarzt Wolfgang Wodarg auf der Leinwand, der zu dieser “8. Mahnwache für das Grundgesetz” einen kurzen Videobeitrag gesendet hat. Dieser kritisiert die Regierungsmaßnahmen und erzählt, dass viele Experten der Meinung sind, dass Corona nicht so gefährlich sei, wie von der Regierung dargestellt. Laut ihm gäbe es keinen Anlass zu diesen radikalen Maßnahmen. In seinem Redebeitrag erwähnt er Kollegen und Experten, die sich aufgrund des sozialen und politischen Drucks nicht trauen, ihre Expertenkritik an den Lockdown-Maßnahmen öffentlich zu machen.
Auf Wodarg folgen in dem Programm noch ein Gedicht einer Seelenforscherin, ein kleiner Auftritt des Musikers SonniFäsh, eine Rede eines Unternehmers, aber auch ein Beitrag von zwei Erzieherinnen, die durch Corona eine Gefährdung des Kindeswohles sehen und dies anhand eigener Erfahrungen belegen.
Immer wieder dazwischen erscheint Nana Lifestyler, ein ghanaischer Kölner, der sich selbst als “Connecter” sieht und dem es ein Anliegen ist, “mit allen zu reden”. Seine Aufgabe ist es, zwischen den Redebeiträgen für Stimmung zu sorgen. Vor dem letzten Beitrag von Ballweg kommt noch Stephan Bergmann auf die Bühne, der viel bejubelte “Mann im roten Shirt”, der– genauso wie Nana– Vermittlung zwischen den verschiedenen Menschen wichtig findet und betont, dass mit Liebe und indianischen Energiekristallen mehr zu erreichen sei als mit Streitigkeiten und politischen Feindbildern. Diese Einstellung findet unter den Demobesuchern viel Zuspruch. Während Bergmann noch von Liebe und indianischen Riten redet, mache ich mich auf den Weg zum Zug und verpasse dabei das Abschlussstatement von Michael Ballweg, in dem er verkündigen wird, selbst keine Demos mehr zu organisieren.
Ich nehme unterschiedliche Eindrücke mit. Vieles erscheint etwas bunt und verrückt. Hier begegnen sich Medien- und Regierungskritiker, Esoteriker, missionarische Christen und Bürger, die aus einer persönlichen Situation heraus ihrer Sorge Ausdruck verleihen. Vom politischen Spektrum war sicher alles, einschließlich der Ränder, vertreten. Hakenkreuze und rassistische Plakate habe ich allerdings keine gesehen. Im Gegenteil: von der Bühne aus wurde sich sogar ausdrücklich von diesen Dingen distanziert. Alles in allem ein friedlicher, bunter Haufen Demonstranten, Menschen, die zum größten Teil wohl durchaus in der bürgerlichen Mitte unserer Gesellschaft einzuordnen sind. Menschen die sich ihre eigenen, manchmal sicher auch verrückten Gedanken machen. Doch ihnen wird Unrecht getan, wenn man ihre Befürchtungen und Argumente prinzipiell wegwischt, und sie als Opfer von Verschwörungstheoretikern und rechten Extremisten ansieht ohne sich sachlich mit ihnen auseinander zu setzen.
[…] Michael Ballweg vor und während betreffender Demo ausgesprochen hat. Sie finden sich in verschiedenen Medienberichten, in einem Interview, das Welt.de, RBB und ZDF am 28. August mit ihm […]