Über den Theaterplatz zwischen Dresdner Semperoper und Katholischer Hofkirche schallt es „Stille Nacht, Heilige Nacht“. Dort wo tagsüber tausende Touristen unbekümmert schlendern und sich die barocke Altstadt anschauen, haben sich nach Zählung der Polizei 17.500 Menschen versammelt, die keine Urlauber sind. Der Theaterplatz ist kein Weihnachtsmarkt, auf dem sich Dresdner zum Glühwein treffen und die Menschen heute versammeln sich auch nicht, um sich auf das nahende Weihnachtsfest einzustimmen. Sie demonstrieren mit Kerzen in den Händen gegen eine angeblich zu schwache Ausländerpolitik der Regierung.
Sie, das sind die PEGIDA, die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Was sie wollen ist klar und unklar gleichermaßen. Klar formuliert ist ihr 19-Punkte-Positionspapier, in dem schwerpunktmäßig eine strengere Ausländerpolitik gefordert wird. Akzeptiert wird nur derjenige, der politisch oder religiös verfolgt wird oder aus einem Kriegsgebiet stammt. Unklar hören sich dagegen die konkreten Äußerungen der Demonstranten an – man merkt schnell, dass hier viele mit ihren Problemen und ihrer generellen Unzufriedenheit gekommen sind. „So kann es nicht mehr weitergehen“, ist eine einfache Reaktion. Die Verantwortlichen von PEGIDA spielen auf dieser Basis mit den Ängsten der Menschen. Angst vor Veränderung, Angst vor dem Fremden, Angst vor Verlust eigener Identität. Im Brennpunkt dieser Angst stellen sie die Menschen, die angeblich Schuld und Ursache für die Missstände sind: Ausländer, Asylanten, Muslime, Flüchtlinge.
Und hier ist der Fehler. Die Angst lähmt den Menschen und macht ihn blind für die Fakten. Langfristige Studien haben belegt, dass Einwanderer Sozialsysteme nicht überdurchschnittlich belasten und Wirtschaftssysteme sogar stärken. Die Ursachen für unsere Probleme sind nicht auf Ausländer zu reduzieren. Zumal in Sachsen liegt Ausländeranteil gerade bei 2,2 Prozent liegt. Muslime sind es hier sogar nur 0,2 Prozent. In diesem Zusammenhang von einer „Islamisierung des christlichen Abendlandes“ zu sprechen, ist absurd.
Absurd ist es auch, dass scheinbar für ein Wertesystem des christlichen Abendlandes eingetreten wird, ohne zu wissen, was das konkret bedeutet. Heiner Koch, Bischof in Dresden, erklärt, dass das christliche Abendland sich „in seiner Geschichte […] durch die Gastfreundschaft, durch das Recht des Menschen auf Leben, durch die Menschenrechte, und auch die Annahme des anderen, der vertrieben wird“ ausgezeichnet hat. In Sachsen sind nur 20 Prozent Christen. Und nun berufen sich sehr plötzlich tausende auf christliche-abendländische Werte. Es „ist sehr nobel, dass sie sich darum kümmern, aber dann würde ich eher sagen, werdet erst mal selbst christlich“, so Heiner Koch. Auf den Demonstrationen werden teilweise leuchtende oder in schwarz-rot-gold beschmierte Kruzifixe hochgehalten. Sind das die christlichen Werte, von denen PEGIDA spricht?
Wenn nun ausgerechnet zwei Tage vor Heiligabend all diese Menschen von Weihnachten singen. Wenn sie von dem Fest singen, das wie kein anderes in unserer Kultur und Gesellschaft verankert ist, dann pervertieren sie die Botschaft von Weihnachten. Sie drehen sie um und verqueren sie völlig. Die Weihnachtsgeschichte beginnt mit der erfolglosen Suche von Maria und Josef nach einer Unterkunft. Schon kurze Zeit nach der Geburt Jesu, muss die Familie Jesu nach Ägypten fliehen, weil sie vom König verfolgt wird. Wie kann man mit einer Kerze in der Hand von diesem „trauten hochheiligen Paar" und „Jesus dem Retter“ singen und im selben Atemzug die Ausweisung von Hilfesuchenden fordern?
Unsere Situation ist brandaktuell. Wie in der Nacht vor über 2.000 Jahren in Betlehem. Weihnachten ist eigentlich das Fest, an dem wir unsere Erfahrung von Beheimatung teilen können. Teilen mit denen, die in Not sind und ein Zuhause suchen. Erst dann darf es klingen: Stille Nacht, Heilige Nacht.
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