Mit Sprüchen wie: „Grüß mir schön die Indianer!“, bin ich vor meiner Reise nach Ecuador des Öfteren aufgezogen worden. „Glaubst du, die haben schon fließendes Wasser und Strom?“. Ich habe zwar gewusst, dass der Großteil der Bevölkerung Ecuadors indigener Abstammung ist, aber habe – wenn auch etwas verunsichert – stets erwidert, das sei doch echt spannend, und außerdem an der Behauptung festgehalten, dass die Ureinwohner sich doch mittlerweile auch an die westliche Welt angepasst hätten und nun ganz normale Leute seien. Doch schon am Flughafen wurde ich davon überzeugt, dass die Nachfahren der Inka in keinerlei Hinsicht als ‚Mainstream-normal‘ zu bezeichnen sind.
Ein Mann wie aus dem Bilderbuch
Ich habe gerade eine schlaflose Nacht in Miami auf dem Boden von Terminal 43 hinter mir und will eigentlich nur noch eines: Nach bereits über dreißig Stunden unterwegs mit keinem Menschen mehr reden müssen, sondern einfach nur in Quito ankommen und schlafen dürfen. Doch mein Interesse an der Außenwelt wird schlagartig wieder geweckt, als sich ein junger Mann in die Stuhlreihe mir gegenüber setzt: Es ist ein waschechter Indianer. Er sieht genauso aus, wie man sich so einen Ureinwohner eben vorstellt: Er hat bronzene, ledrige Haut, trägt ein bunt gemustertes Hemd und eine ausgebleichte, beige Hose und sein Gürtel ist mit mühevollen Stickereien verziehrt. Das Auffälligste jedoch sind natürlich seine dunklen Haare, die zu einem hüftlangen Zopf geflochten sind. Als er beginnt, auf einer fremdartig aussehenden Gitarre zu spielen, um die Zeit zur Boarding Time zu überbrücken, kommen mir die Sprüche meiner Freunde wieder in den Sinn und mir wird etwas mulmig zumute.
Indianer mit iPod Touch
Das Gate zum Flugzeug wird geöffnet, der junge Mann steckt seinen iPod Touch von der Ladestation ab und begrüßt die Stewardess in höflichem Englisch. So altmodisch sind die also doch nicht! Da nur sehr wenige Passagiere an Bord und wir die einzigen Beiden mit Sitz im hinteren Teil des Flugzeuges sind, kommen wir sofort ins Gespräch. Er nimmt neben mir Platz, nachdem er mehrfach gefragt hat, ob das auch wirklich in Ordnung sei. Sein Name sei Sol, wie die Sonne, erzählt er stolz.
Der Indianer stammt aus einem Kichwa-Dorf in einem Reservat, etwa drei Stunden südlich von Quito. Seine zehn Geschwister leben immer noch dort, er jedoch ist nach dem Musikstudium in Quito vor drei Jahren nach Boston gezogen. Er erzählt weiter, wie wunderschön es in den indigenen Gemeinden sei. Jeden Tag verkauft sein Stamm Lebensmittel und Kleidung auf dem Markt und es herrscht zwar Armut, aber man lebt in Freude und Harmonie miteinander. Immer, wenn er das nötige Geld gespart hat, fliegt er für ein paar Wochen zurück in seine Heimat, diesmal sogar für ganze drei Monate. Vorgestern hat Sol seinen 30. Geburtstag gehabt, doch den will er erst zuhause bei seiner Familie richtig feiern, denn Familie ist für ihn das Allerwichtigste. Ich bin gerührt von der Art und Weise, wie er von seiner Heimat schwärmt, und frage ihn, wieso er denn dann in den USA lebt. Da wird der Indigene sehr ernst. Er gibt zu, dass er die Vereinigten Staaten, ihre Sprache und die Lebensweise der Menschen dort im Grunde verabscheut, aber der Arbeit wegen in Boston lebt.
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