„Ich bring dich um“, sagte er zornig und packte mich am Hals. „Ich kann deinen Kopf in die Scheibe schlagen, wenn ich will.“ Mit dem Rücken an den Fahrplankasten einer U-Bahn Station gedrückt und mit der Hand meines Freundes an meiner Kehle, die mir langsam die Luft abschnürte, wurde mir erst bewusst, wie aussichtslos meine Lage war. „Hast du Angst?“, fragte er. So beschreibt meine Freundin Anne (Name geändert) eine Situation, die sie mit ihrem damaligen Freund erlebt hatte. Schon mehrmals hatte er ihr gedroht, sie etwas zu heftig angefasst, oder ihr anderweitig Angst gemacht. Doch dies war das erste Mal, dass er gewalttätig geworden war und es sollte das letzte Mal sein.
Wie hast Du in dieser Situation reagiert?
Ich hatte natürlich panische Angst. Ich hatte nicht erwartet, mich jemals in so einer Situation wiederzufinden. Trotzdem wollte ich ihn das nicht wissen lassen, also hab ich auf seine Frage „Nein“ geantwortet. Jeder Blinde hätte gesehen, dass das eine Lüge war. Kurz darauf kam die nächste Bahn und er stieg ein. Ich ging hinterher und ich weiß bis heute nicht warum. Ich frage mich, was mich mit ihm gehen ließ. Die Liebe, die ich noch für ihn empfand, oder die Angst davor, dass er mir etwas antun würde und seine Drohungen wahr machen würde.
Was hatte er Dir denn angedroht und warum?
Eigentlich hat er mir mit allem Möglichen gedroht. Zuerst war es, dass er irgendetwas kaputt machen würde. Meinen Ipod zum Beispiel, was er letztendlich auch getan hat. Dann drohte er mir, meiner Mutter Lügen über mich zu erzählen und ich war mir sicher, dass sie ihm glauben würde. Mehr als mir. Und zuletzt drohte er mir dann, mir weh zu tun, mich umzubringen oder mein Leben zu zerstören. Warum er das getan hat, weiß ich nicht. Meist entwickelte sich das aus einem unnötigen Streit, oder einfach aus einer Laune heraus. Das erste Mal, als er mir drohte mich umzubringen, war der Grund ein harmloses Chatgespräch mit meinem besten Freund. Und da wusste ich noch nicht, dass er es war, der mich drei Monate lang betrogen hatte.
Er hat Dich betrogen, Dir gedroht und wurde letztendlich auch gewalttätig. Warum hast Du die Beziehung nicht beendet?
Ich hatte Angst. Ganz einfach. Natürlich war auch irgendwo noch Liebe da, immerhin war er mein erster Freund und anfangs dachte ich er wäre meine große Liebe. Aber hauptsächlich hatte ich einfach Angst, dass er mich wirklich umbringen würde. Ich hatte noch niemandem davon erzählt, auch aus Angst verurteilt zu werden und so würde niemand wissen, was mit mir passiert wäre.
Irgendwann brachte ich dann aber den Mut auf, mich meiner besten Freundin anzuvertrauen. Sie verurteilte mich nicht und ich danke ihr heute noch von Herzen dafür. Sie riet mir dazu, mit ihm Schluss zu machen und sagte mir, ich solle sie anrufen, wenn er mir drohte oder Gewalt antat. Dann habe ich ihn darauf angesprochen, dass ich die Beziehung beenden möchte und dass es so nicht weiter geht. Ich glaube in dem Moment, als ich auf seine Reaktion wartete, hat mein Herz aufgehört zu schlagen.
Und wie hat er dann reagiert?
Sagen wir es so, ich musste meine Freundin nicht anrufen. Es schien, als hätte ich in dem Moment seine harte Schale durchbrochen und er schien es wirklich zu bereuen, was er mir angetan hatte. Wir trennten uns fast schon friedlich, auch wenn ich zugeben muss, dass ich ihm anschließend in einigen Facebook-Nachrichten wütend an den Kopf geworfen habe, was er mir angetan hat. Ihm das persönlich zu sagen, hätte ich mich nicht getraut.
Was rätst Du anderen, die in ihrer Beziehung Gewalt erleben müssen?
Erst einmal ist es wichtig, sich jemandem anzuvertrauen. Der besten Freundin, der Mutter, einer Vertrauenslehrerin. Auch in den Städten gibt es Einrichtungen für Mädchen und Frauen, die unter Gewalt in der Beziehung oder in der Familie leiden. Die Hauptsache ist, dass jemand Bescheid weiß und zur Not auch helfen kann, aus der Situation zu gelangen. Die Polizei wäre natürlich auch eine Lösung. Ich persönlich habe mich aber nicht an sie gewendet. Ich dachte mir, da mein Freund mir nichts „Ernsthaftes“ angetan hatte, würde er mit höchstens einer Geldstrafe davon kommen. Und dann würde er möglicherweise aus Wut seinen Drohungen Taten folgen lassen.
Meiner Meinung nach hat es keinen Sinn, eine gewalttätige Beziehung aufrecht zu erhalten, selbst wenn noch ein Funken Liebe zum Partner vorhanden ist. Die Liebe zu sich selbst oder gar zu seinen Kindern, falls die auch betroffen sind, sollte in diesem Fall größer sein. Meine Mutter sagte mir im Nachhinein, dass ich zur Polizei hätte gehen sollen. Vielleicht habe ich selbst wirklich nicht ganz richtig gehandelt und ganz sicher habe ich nicht rechtzeitig gehandelt. Dennoch habe ich nach einiger Zeit einen Weg aus der Beziehung gefunden. Dass ich noch lebte, reichte mir für den Moment als Bestätigung dafür, das Richtige getan zu haben.
Danke für das Gespräch und dafür, dass Du den Mut hattest, Dich zu öffnen!
Anne
Als ich 21 war, habe ich mit meinem Ex ausgemacht, dass ich ihn mit dem Auto von einer Party abholen komme. Wir hatten nicht lange was miteinander, wir passten einfach nicht…wir blieben aber noch eine Weile Freunde. Es gab nie einen Anschein von Gewalt bei ihm. Bis zu diesem Abend. Ich holte ihn von dem verabredeten Ort ab. Heute glaube ich, dass es dort nie eine Party gab. Noch bevor ich dann mit ihm bei ihm zu Hause angekommen war, fing er an mich anzufassen. Ich fuhr und er strich mir immer wieder durchs Haar. Ich sagte, ich will das nicht und fand das sehr unangemessen. Da ich auf der Autobahn fuhr konnte ich mich nicht richtig von seinen Händen lösen. Er fing an meine Schultern zu massieren. Ich wurde wütend und hielt dann an um ihn zu bitten das Auto zu verlassen. Es war nicht direkt vor seinem Haus, aber er würde es von dort aus zu Fuß erreichen. Es war neben einem Maisfeld, dann sagte er mir, dass es jetzt Zeit ist und er Sex haben will. Er sagte es ganz nüchtern. Dann hat er mir seinen Schlagring gezeigt. Ich habe erst mit ihm gesprochen, dass ich das nicht möchte, er solle aussteigen, doch das tat er nicht. Mit jedem “Ich will das nicht”, folgte ein “Doch” von ihm. Er stieg nicht aus, also dachte ich daran auszusteigen, doch es war mein Auto und ich könnte weg fahren, wenn ich ihn nur zum Aussteigen bewegen könnte. Er schnallte mich ab, ich schnallte mich wieder an. Er versuchte mir mit einer schnellen Handbewegung den Autoschlüssel wegzunehmen, doch ich hatte den Schlüssel halb gedreht, also bekam er ihn nicht sofort heraus. Seine Hände waren ständig an mir, immer wieder schob ich ihn weg und versuchte bald mit Gewalt ihn aus der Tür zu schieben. Vergeblich. Es gibt einen Grund warum Boxer in verschiedenen Gewichtsklassen kämpfen. An diesem Tag habe ich verstanden warum. Ich hab erst lange versucht vernünftig mit ihm zu reden, dann wurde ich wütend. Ich schrie ihn an. Er grinste nur. Wir kämpften. Dann kam der Moment in dem ich verstand: Hier kommst du nicht mehr raus. Meiner Wut wich Verzweiflung, pure Verzweiflung und ich dachte daran einfach auszusteigen und ins Feld zu rennen, doch dann dachte ich auch wie einfach es dann für ihn wäre mich zu fassen und zu Boden zu ringen. Ich kannte auch die Gegend nicht wirklich, also wohin genau sollte ich laufen in der Dunkelheit. Ich hatte meinen Sitz ganz nach vorne gehebelt, schnallte mich immer wieder an, wenn er versuchte mich aus dem Sitz zu bekommen. Ich fing an zu weinen und machte eine Pause damit mich zu wehren. Ich realisierte, dass ich langsam keine Kraft mehr hatte. Er ließ mich das Auto auch nicht starten. Ich wollte zur Polizei fahren, mit ihm auf dem Beifahrersitz…hätte sicher gut geklappt. Ein Messer fiel ihm aus der Tasche. Niemand war in der Nähe als ich anfing zu flehen. An diesem Tag habe ich um mein Leben gefleht. Ich wusste, dass ich wahrscheinlich in dem Feld sterben würde. Er lässt mich nicht mehr gehen, das hatte er deutlich gemacht. Meine Tränen liefen an meinen Wangen herunter, sie waren ganz heiß und ich sah ihm tief in die Augen. Ich flehte ihn an mich bitte gehen zu lassen und auszusteigen. Meine Worte drangen gar nicht zu ihm durch. Wie Seifenblasen zerplatzen sie an seinem Gesicht. Seine Augen gehen mir dabei seit 10 Jahren nicht mehr aus dem Sinn. Er empfand meine Verzweiflung als pure Freude. Das will mir bis heute nicht in den Schädel. Es ist so unwirklich. Ich hatte absolut keine Kraft mehr, ich hatte alles versucht. Ich konnte nicht mehr, also sagte ich ihm “Ja.” Und plötzlich ließ er mich los. Er war plötzlich wie ein kleines Kind, dass jetzt gleich n Stück Schokolade von Mami bekommt. Ich sagte ihm, dass ich das aber nicht im Auto mache, da hier zu wenig Platz ist, sondern in dem Feld. Ich hatte immer eine Decke im Auto, für den Fall, dass ich im Winter auf der Autobahn stecken bleiben würde. Das wusste er. An dem Tag war sie nicht auf der Rückbank, sondern im Kofferraum. Ich sagte ihm, ich mache das nur auf der Decke und um ihm zu zeigen, dass ich mich jetzt nicht mehr wehre, habe ich mich abgeschnallt. Dann stieg er aus. Ich konnte es nicht glauben, er stieg aus um an den Kofferraum zu gehen. Ich versuchte klar zu denken und die richtigen Schritte schnell zu machen, es würde keine zweite Chance geben. Den Schlagring hatte ich heute zum ersten Mal gesehen und wollte ihn ganz sicher nie wieder sehen. Ich rückte den Sitz leise etwas zurück, um die Pedale bedienen zu können, löste die Handbremse und drehte dann den Zündschlüssel, als er gerade auf Höhe der Rücksitztür angekommen war. Die Beifahrertür stand noch auf und ich dachte, wenn du das Auto jetzt abwürgst, dann bist du tot. Ich fuhr los. Es gab ein Geräusch (Klong). Er hatte wahrscheinlich versucht den Rücksitztürgriff zu fassen und hatte dabei nur noch das Blech erwischt. Ich hatte in dem Zweier-Golf keine Zentralverriegelung, sonst hätte ich die sofort gedrückt. Ich fuhr. Ich weiß noch ich konnte mich nicht bewegen. Ich war komplett steif und konnte nicht um die Kurve fahren, die dann kam. Ich sah in den Rückspiegel und erwartete, dass er da ist. (Was ein Wunder gewesen wäre, weil er ja nur zu Fuß war.) Ich wusste ich konnte so nicht fahren. Ich verlangsamte, schloss die Seitentür, die nur halbherzig ins Schloss gefallen war, drückte die Nippel zur Verriegelung runter und wusste, dass ich aussteigen müsste, um meinen Kofferraum abzuschließen. Nicht mal 10 Pferde hätten mich von meinem Sitz wegbewegt. Ich stellte meinen Sitz kurz ein, schnallte mich an und sah auf die Uhr. Ich war stocksteif und gleichzeitig so müde, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Ich realisierte nun, dass ich ganze 2 Stunden mit ihm gekämpft hatte und trotzdem fuhr ich weiter, weil ich dachte, der holt mich gleich ein. Eigentlich war ich in meinem Zustand nicht fahrtauglich. Ich hatte kaum Kontrolle über meine Muskeln, hatte es dann aber doch geschafft nach Hause zu fahren. Gut dass um die Zeit nicht viel Verkehr war. Dort versteckte ich mein Auto in einer Tiefgarage und dachte nach, was ich jetzt machen soll. Ich wusste ich muss das hier jetzt vergessen. Es gab kein Sperma, es gab keine großen Verletzungen (da mich der Sitz und der Gurt, geschützt hatten, er kam einfach nicht richtig an mich heran), es gab keine Zeugen, es gab keine Kamera, es gab nur mich und seine Augen. Ich dachte nur, jetzt hat er es nicht geschafft mich zu töten, aber mein Herz rast so und mir war schwarz vor Augen, dass ich dachte es würde gleich nicht mehr mitmachen können. Ich versuchte logisch ranzugehen, ich dachte egal was ich sage, er wird das doch nicht freiwillig zugeben. Da wär er ja schön blöd. Also hab ich sofort versucht alles zu vergessen, habe den Kontakt abgebrochen und habe meine Wohnung die nächsten Wochen nicht mehr ohne Weiteres verlassen. Von ihm kamen dauernd Nachrichten. Er versuchte allen Ernstes das Treffen zu wiederholen. Und ich dachte nur, das kann doch gar nicht sein. Außerdem versuchte er nicht mal sich zu entschuldigen, was ich wenigens als Beschwichtigungstaktik an seiner Stelle versucht hätte, um mich wieder in seine Gewalt zu bekommen. Seine abgeklärten Nachrichten, ich soll ihn doch bitte nochmal mit dem Auto abholen, empfand ich als völlig irre. Er kam auch mit dem Zug in meine Ortschaft, tauchte vor meiner Wohnung auf und suchte mein Auto. Er schrieb mir alles in seinen Nachrichten, er konnte gar nicht fassen, dass ich mich nicht zeigen wollte. “Hey, ich bin gerade vor deiner Wohnung, bei dir ist Licht, komm doch runter, dann gehen wir zusammen ein Eis essen, nur ein Eis.” Es war mitten in der Nacht, nirgends hatte ein Eisladen auf. Ich schrieb ihm immer wieder er soll mich in Ruhe lassen und meine Nummer löschen, doch er ignorierte es. Dann bluffte ich wieder. Ich schrieb ihm, wenn ich ihn in meiner Straße sehen oder er mir weiter Nachrichten schreibt und mich nicht in Ruhe lässt, dann geh ich zur Polizei. Ich hatte nichts, was ich hätte tun können. Stalking-Gesetze gab es da auch noch nicht, geschweige denn hätte ich jemanden überzeugen können, dass die Situation für mich gefährlich ist. Ich hatte Angst. Aber mein Bluff zog bei ihm und dann war Stille. Wenn er noch vorbei kam, dann sah ich ihn zumindest nicht. Ich habe es meiner Oma erzählt und die sagte: “Naja ist ja nichts passiert. Hauptsache du bist gesund.” Ich erzählte es meiner besten Freundin und die sagte dann auch nur: “Da kannst du auch nichts machen, vergiss es einfach.” Dann habe ich es vergessen, das heißt, ich habe es schon gewusst, aber mir eingeredet, dass eben nichts “passiert” ist. Aber leider habe ich an dem Abend zwei Stunden um mein Leben gefleht. Und das kam jetzt 10 Jahre nach dem ich es “vergessen” hatte mit einem Mal hoch, als die das Gesetz “Nein heißt nein.” Eingeführt haben und ich mit einem Mal gedacht habe: Was wäre passiert, hättest du das Auto abgewürgt, hättest du das überlebt was dir dann geblüht hätte und wärst du zur Polizei gegangen (natürlich mit einem integrierten Zeitsprung), hätte dann ein Richter zu dir gesagt: “Sie haben dann aber “Ja” gesagt, also wollten sie es ja zu dem späteren Zeitpunkt dann auch.” Da ist mir schlecht geworden und seitdem sehe ich seine Augen nach 10 Jahren Tag und Nacht ohne Pause.
Svenja
Hallo, ich bekomme Gänsehaut, wenn ich dein Artikel lese!
Respekt an Dich, dass du das hier so schön niedergeschrieben hast.
Ich kann dich verstehen und wünsche Dir alles Gute.