Die einen rennen kreischend weg, weil sie eine Spinne gesehen haben. Andere trauen sich nicht in ein Flugzeug zu steigen. Beide Male haben die Betroffenen eine Phobie. Die Flugangst äußert sich wie jede andere Phobie in drei Bestandteilen: Es gibt den kognitiven, physiologischen und den emotionalen Aspekt. Beim kognitiven Teil geht es darum, dass der Betroffene oft sehr einseitig verzerrte, sehr unrealistische Gedanken hat. Dabei denkt er an Katastrophen, wie etwa einen Flugzeugabsturz, nur weil das Flugzeug etwas schwankt. Beim physiologischen Aspekt spüren Flugangstbetroffene, dass sie sich in der Situation alles andere als wohl fühlen. Sie haben Verspannungen, ihnen wird schwindelig, sie schwitzen oder frieren oder denken, dass ihr Herz rast. Das liegt manchmal daran, dass die Betroffenen in der Angstsituation falsch atmen. Es kann sogar bis hin zu Panikattacken kommen.
Der emotionale Aspekt ist ein Zusammenspiel aus Kognition und Physiologie. Die Betroffenen machen sich Sorgen, sie haben Angst oder bekommen gar Panik. Flugangst kann also von leichtem Unwohlsein beim Flug, sogar bis dahin führen, dass sich Betroffene nicht mehr in ein Flugzeug trauen. Der Stuttgarter Psychologe Dr. Benjamin Zeller rät Betroffenen, die aus Angst gar nicht mehr in ein Flugzeug steigen, zu einer Therapie: „Wenn jemand im Beruf eingeschränkt wird, weil er nicht fliegen möchte oder wenn jemand ferne Länder entdecken möchte, dort ohne Flugzeug aber nur schwer hinkommt – Dann ist eine Therapie wirklich empfehlenswert. Das Gleiche gilt, wenn Betroffene Alkohol oder Medikamente missbrauchen, um einen Flug durchzustehen.“
Was ist besser: Einzeltherapie oder ein Flugseminar?
Um seine Flugangst zu bekämpfen, gibt es zwei Möglichkeiten: Die Therapie mit einem Psychologen oder der Besuch eines Flugseminars. Bei der Einzeltherapie versucht der Psychologe erst einmal herauszubekommen, wo die Angst herkommt. „Es geht darum, den kognitiven Aspekt ausfindig zu machen. Also an welche Katastrophen denkt der Betroffene? Diese verzerrten Gedanken muss man dann korrigieren. Außerdem ist es wichtig, dem Betroffenen immer wieder zu versichern, dass Angst nicht gefährlich ist“, erklärt Dr. Zeller. Viele Menschen, die unter Flugangst leiden, haben auch andere Phobien. Wenn der Psychologe diese zuerst in den Griff bekommt, ist das Fliegen am Ende oft gar kein Problem mehr. „Das Problem bei der Flugangst ist auch, dass ich hier keine kleinen Schritte gehen kann, um sie in den Griff zu bekommen. Entweder ich fliege, oder eben nicht.“ Bei Höhenangst ist das beispielsweise anders. Hier kann der Psychologe mit seinem Patienten immer wieder kleine Erfolge feiern, indem sie mit kleinen Höhen anfangen und sich dann weiter steigern. Vor allem für Berufstätige ist ein Flugseminar schon aus zeitlichen Gründen sinnvoller, als eine kognitive Verhaltenstherapie bei einem Psychologen.
Solche Flugseminare, die beispielsweise von Lufthansa angeboten werden, versprechen eine Heilung innerhalb von zwei Tagen. Allerdings hat so ein Flugseminar einen stolzen Preis. Wer es schafft, einen Platz in den schnell ausgebuchten Kursen zu finden, zahlt knapp 800 Euro. In dem Preis sind neben den Seminarunterlagen, verschiedenen Aktivitäten und Mahlzeiten auch ein Abschlussflug mit psychologischer Begleitung ist mit inbegriffen. Der Nachteil eines Flugseminars: Für viele, vor allem auch junge Menschen, sind die 800 Euro nicht mal eben so bezahlbar. Außerdem handelt es sich bei dem Seminar um eine Gruppentherapie. Das heißt, dass jeder offen und vor fremden Menschen über seine Gefühle sprechen muss. Zudem ist es fraglich, wie individuell auf jeden Einzelnen eingegangen werden kann.
Innerhalb von zwei Stunden die Todesangst bekämpft
Für Ute Becker kam ein Flugseminar nicht in Frage. Sie entschied sich für eine Einzeltherapie, um ihre Flugangst zu bekämpfen. „Ich bin 18 Jahre lang nicht geflogen, weil ich bei jedem Flug Todesangst hatte. Ich habe die ganze Zeit über die Triebwerke angeschaut, ob die schon brennen oder die Gesichter der Flugbegleiterinnen gedeutet. Ich hätte alles gegeben was ich besitze, um aus dem Flugzeug zu kommen“, erinnert sich die Karlsruherin. All die Jahre belohnte sich Ute Becker mit einem guten Gefühl, wenn sie wieder einem Flug entkommen war. Doch dann stand irgendwann für sie fest, dass sie etwas gegen ihre Flugangst machen möchte. Eine befreundete Therapeutin, die auch Flugbegleiterin ist, bot ihr ihre Hilfe an. Innerhalb von zwei Stunden war das Problem mit der Flugangst für Ute Becker Geschichte. Die Therapeutin ließ sie der Angst ins Auge blicken und über ihren Tod nachdenken. „Wir sind dann zu dem Schluss gekommen, dass ich das Fliegen unmittelbar mit dem Tod verbunden habe. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass man einen Flug überleben kann.“ Drei Wochen nach dem Termin flog Ute Becker zum ersten Mal ohne Todesangst nach Stockholm. Den Rückflug konnte sie dann sogar schon genießen.
Wenn ein Flug kurz bevor steht und keine Zeit für eine Therapie bleibt oder schlicht das Geld fehlt, gibt es trotzdem Möglichkeiten den Flug erträglicher zu machen. „Im Vorfeld können die Betroffenen mit Selbsthilferatgebern ihre Phobie konfrontativ angehen. Bei einem Flug mit einem Freund kann dieser dann aber auch helfen und von der Situation ablenken“, erklärt Dr. Zeller. Der Mitreisende kann während des Flugs mit dem Betroffenen in Kontakt bleiben und seine Hand halten. Zur Ablenkung hilft es auch, wenn der Betroffene beispielsweise einen Schlüsselbund in die Hand nimmt, ihn ganz fest drückt und beschreibt, wie sich das anfühlt. Da Miriam unter Flugangst leidet und es erst einmal ohne Therapie probieren möchte, weiß Vanessa jetzt, was auf sie zukommt: Über zehn Stunden Händchen halten und gut zureden. Es ist dann nur die Frage, bei wem die Nerven am Ende mehr blank liegen…
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