Nach den Metropolen Fes und Marrakesch führt unser Weg in die Wüste von Merzouga, wo wir nach der üppigen Geräuschkulisse der Stadt auf eine beeindruckende Ruhe treffen. Auf dem Rückweg Richtung Norden mit dem Auto, im Nichts liegen bleibend, begegnen wir Moustafa und seiner Familie. So werden wir gegen Ende unserer Reise noch einmal die marokkanische Gastfreundschaft zu schätzen lernen.

Aber in Augenblicken des Glücks oder der Wut ist sie in uns, die Wüste, ganz und gar, mit ihren Trommeln und ihrer Fülle von Sand, mit der Hülle ihrer versiegelten Stille.
Malika Mokeddem, eine algerische Ärztin und Schriftstellerin, hat die Wirkung der Wüste mit diesem Zitat passend beschrieben. Wenn ich in den sternübersäten Himmel über mir blicke, der diesen leuchtenden Kontrast zur tiefen Schwärze der Wüste bildet, vergesse ich alles um mich herum. Während ich gerade noch vor Kälte am ganzen Körper gezittert habe und meine Zähne aneinandergestoßen sind, so durchströmt mich jetzt auf einmal eine angenehme Wärme, auch wenn die Gänsehaut, die meinen gesamten Körper bedeckt, nicht verschwindet. Als ich kurz die Augen schließe und sie wieder aufmache, bin ich aufs Neue überwältigt, wie hell der Himmel funkeln kann. Es ist so hell, dass meine Augen sich erst wieder an das Licht gewöhnen müssen.
Ich sehe Sternbilder, die mir noch nie aufgefallen sind. Ich kenne auch ihre Namen nicht. Aber vor allem sehe ich Sternschnuppen, jede Menge. Musste ich mich sonst immer tierisch anstrengen, auch nur eine zu sehen, kommen sie hier ganz unverhofft und in solch kurzen Abständen, dass ich es kaum fassen kann. Da, auf einmal, ein strahlender Lichtblitz. Ein ungeheuer langer Schweif; es vergeht bestimmt eine Sekunde, bis der Himmel sich wieder verdunkelt. Gesa, die neben mir im feinen Sand liegt, packt mich am Arm. „Hast du die gesehen?“, flüstert sie. Ich nicke und freue mich, diesen Moment mit ihr teilen zu können. In der Ferne ist der Klang der Trommeln zu hören, der aus der Oase zu uns vordringt. Sie werden begleitet von einem melodischen Stimmkanon der Leute aus dem Dorf. Gemeinsam durchbrechen sie die Stille der Wüste.
Noch bevor sich die Sonne blicken lässt, stehen wir am nächsten Tag auf. Auf den nebenliegenden Dünen kann ich bereits die Konturen von zwei Menschen erkennen. Wahrscheinlich die anderen Übernachtungsgäste in unserer „Oase“, unserem nächtlichen Camp. Es besteht aus einigen robusten Holzhütten, die sich im Kreis um einen tafelförmigen Metalltisch ringen und einem Gemeinschaftszelt, dessen Eingang von tiefroten Vorhängen verschlossen wird. Der Eingang zum Camp wird durch ein improvisiertes, doch prachtvolles Holztor markiert. Ich hätte mir unsere Übernachtungsstätte anfangs deutlich einfacher vorgestellt.
Der hohe Standard hängt mit dem steigenden Touristenaufkommen zusammen, erklärt mir Hmmi, unser Guide, während er die Kamele für den Rückweg fertigmacht. Er trägt einen lässig um den Kopf gebundenen Turban, der sich kaum vom Orange der Wüste abhebt, und eines der traditionellen grobgewebten Gewänder, das bis zu den Knöcheln reicht. Die morgendliche Kälte scheint ihm nichts auszumachen. „Touristen und Kamele sind hier die Haupteinnahmequelle der Menschen. Merzouga ist zwar eine kleine, aber gut erreichbare Wüste und sieht daher die Besucher an. Außerdem ist der warme Sand gut gegen Rheumabeschwerden“, erzählt er.
Fast täglich bieten zahlreiche Hostels, Riads und kleine Resorts Touren von Merzouga aus in die angrenzende Dünenlandschaft an. Wir haben uns inzwischen auf den Weg zurück Richtung Stadt gemacht. Gut sieben Kilometer liegen zwischen dem Wüstencamp und Merzouga. Hmmi bahnt uns den Weg im Zickzack um die Dünen herum, während die Sonne langsam die Düne hochwandert und unsere Schatten kürzer werden lässt. Hin und wieder geht es steil bergab, doch die Tiere bewegen sich weiter elegant im Sand fort. Nach gut zwei Stunden auf dem unebenen Kamelrücken haben wir die Wüste durchquert und sind erleichtert, wieder absteigen zu können.
Ein Minztee, der verbindet
Das kleine Mädchen, vielleicht vier, fünf Jahre alt, eingepackt in einen roten Micky-Maus-Einteiler und Stoppersocken, lugt hinter dem Türrahmen hervor und beäugt mich. Auf ihrem Gesicht liegt diese gewisse Neugier, mit der nur Kinder durch die Welt gehen. Sie legt den Kopf schief, grinst mich frech an und sagt etwas, doch ich kann sie nicht verstehen. Auch meinen marokkanischen Freunden fällt es schwer, denn sie spricht Tamazight, Berbersprache, was vor allem in Zentralmarokko, aber auch in Algerien, Tunesien und Libyen gesprochen wird. Die meisten Berber sprechen jedoch noch weitere Sprachen wie marokkanisches Arabisch, Hocharabisch, Spanisch oder Französisch. So auch Moustafa, ihr Vater. Er kam heute die 80 Kilometer aus seinem Heimatdorf Zaida zu uns auf die R503, um uns abzuschleppen. Auf dem Weg Richtung Norden waren wir nach einem Problem mit der Elektronik zwischen Boulaajoul und Boulemane liegen geblieben.
Jetzt sitzen wir hier in dem Wohnzimmer dieser Familie und trinken zuckersüßen Thé á la menthe, während im Fernsehen ein Bollywoodfilm mit arabischen Untertitel läuft. Ich verstehe natürlich nichts, aber es scheint um irgendeine erfolgreiche Boxerin zu gehen, die schwanger wird und am Ende Kind und Karriere unter einen Hut bringt. Wir hatten uns eigentlich ein Hostel in dem Ort suchen wollen, wurden jedoch kurzerhand von Moustafa und seiner Familie eingeladen, über Nacht hier zu bleiben und im Wohnzimmer zu schlafen. Dies während draußen zwei junge Männer aus dem Dorf unser Auto reparieren und dafür wahrscheinlich nicht mal einen angemessenen Preis verlangen werden.
Die Mutter, eine Frau um die vierzig in orangenen Leggins und einem lavendelfarbigen Seidenkopftuch, betritt das Zimmer mit einem stehtischgroßen Edelstahltablett. Den Tablettrand umspielen weiche schlangenförmige Gravierungen. Darauf Oliven, grüne und schwarze, ofenwarmes, nach frischer Hefe riechendes Brot und ein Schälchen mit einfachem Olivenöl – das traditionelle marokkanische Essen. Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, eine solche Erfahrung zu machen und Menschen zu treffen, die derart gastfreundlich und hilfsbereit sind. Und obwohl man sich nur schwer verständigen kann und wir vor wenigen Augenblicken noch Fremde waren, könnte ich mich in diesem Moment nirgendwo besser aufgehoben fühlen.
„Marokko ist ein Land, das sein Wesen nur jenen offenbart, die sich die Zeit nehmen, Wasser zu schöpfen und eine Kanne Tee aufzugießen“, so ein marokkanisches Sprichwort. Man kann Marokko daher nicht an einem Wochenendausflug nach Marrakesch verstehen. Ebenso wenig wie wenn man sich auf einen Wüstentrip in der Sahara beschränkt. Um verschiedene Blickwinkel auf die Vielseitigkeit dieses Landes zu erhaschen, braucht man Zeit. Und den Willen, auch für weniger gute Erlebnisse bereit zu sein. Meine erste Afrika-Reise geht zu Ende. Mit auf den Weg zurück nach Europa nehme ich eine Menge neue Eindrücke, positive, aber auch negative, neue Bekanntschaften und einen ein Stück weiteren Horizont mit. Und ich gehe mit dem Gefühl, das nordafrikanische Land immerhin ein bisschen verstanden zu haben.
Verwendete Quellen:
http://whc.unesco.org/en/list/170, letzter Aufruf: 13.03.18
https://de.wikipedia.org/wiki/Malika_Mokeddem, letzter Aufruf: 13.03.18
http://allesuebermarokko.com/info/kultur-religion/, letzter Aufruf: 13.03.18
http://www.marokko.info/staedte/fes/, letzter Aufruf: 13.03.18
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