Ich stehe auf und mache mich fertig. Ich denke nichts. Ich arbeite. Ich denke nichts. Ich kaufe ein. Ich denke nichts. Auf der Zugfahrt zurück. Ich denke nichts. Ich denke nicht wirklich. Ich lasse für mich denken. Ich denke, was die anderen denken. Ich denke, was mir vorgedacht wurde und denke es auch für meine Nachkommen vor, damit sie auch einmal so denken. Ein Denkimpuls.

Ich heiße Sebastian und bin ein 31-jähriger Sekretär aus Bonn. Fünf Mal die Woche klingelt mein Wecker um sieben Uhr. Die Arbeit ruft. Warum übe ich diesen Job überhaupt aus? Macht Geld alleine glücklich? Nachdem ich gefrühstückt habe, putze ich mir die Zähne. Was bewirkt die Zahnpasta in meinem Körper? Kann sie sich auch negativ auf die Umwelt auswirken? Ich ziehe mein weißes kariertes Lieblingshemd an und stecke es in meine schwarze Jeanshose. Woher kommt es? Warum war es so günstig? Ich stelle mich vor den Spiegel, und frisiere meine Haare bis sie perfekt sitzen. Zum Schluss noch ein bisschen Haarspray, damit ja keine Strähne verrutscht. Original Lederschuhe angezogen. Woraus bestehen sie? Wo wurden sie hergestellt? Unter welchen Bedingungen? Auf zur Arbeit.
An meinem Arbeitsplatz angekommen, treffe ich Susanne, eine Mitarbeiterin, die ich durch ihre auffallend egozentrische Art nicht ausstehen kann. Warum sage ich es ihr nicht einfach? Sollte ich diese Art von Gedanken lieber verdrängen? Soll ich sie ein Leben lang mit mir rumschleppen? Welche Auswirkungen kann dies künftig auf meine Psyche haben? Nun muss ich mich wie gewöhnlich durch den Stapel an Papiere durchwälzen. Warum muss ich das? Zwingt mich jemand dazu? Nach drei Stunden Arbeit schleppe ich mich mühselig zum Kaffeeautomaten, um mich geistig wieder aufzuladen. Warum trinke ich Kaffee und nicht etwas weniger Schädliches für den Körper? Bin ich zu bequem um mir etwas gesundes Stärkendes zu besorgen? Da die Mittagspause nur eine Stunde dauert, hole ich mir ein Salamibrötchen von der Imbissbude um die Ecke. Kann mir diese dauerhaft einseitige Fast-Food-Ernährung künftig schaden?
Nach der Pause heißt es wieder: Back to work! Ich setze mich erneut an meinen Rechner, um die Kundenanfragen an unsere Firma zu beantworten. Welche Firma denn? Was produziert sie? Welche Werte vertritt sie? Ich mache weiter. Ich denke nicht. Ich arbeite still weiter, wie automatisiert. Fordert mich die Arbeit geistig noch heraus? Die Kundenanfragen beantworten sich nicht von Zauberhand! Kopfschmerzen machen sich breit. Eine Tablette Aspirin müsste genügen. Was schlucke ich da eigentlich? Was macht es mit mir?
Um 17 Uhr ist meine Schicht zu Ende. Einkaufszeit. Ich gehe in den Supermarkt und kaufe die mir bereits vertrauten Nahrungsmittel. Was kaufe ich da überhaupt ein? Schaue ich auf den Inhalt des Produktes? Ziehen mich die Farben und das Design der Verpackung so sehr in den Bann, dass ich es ohne zu zögern in den Einkaufskorb lege? Ich mache einen Stopp beim Gemüse. Wie wurde es angebaut? Mit Pestiziden, giftigen Chemikalien? Zwei rote Paprika, drei Kiwis sowie zehn Möhren landen in Plastiktüten verpackt in meinem Körbchen. Muss selbst das Gemüse in Plastik verpackt werden? Was ist Plastik eigentlich? Woraus besteht es? Welchen Einfluss hat es auf uns? Was geschieht damit, wenn wir es weggeworfen haben? Währenddessen in der Getränkeabteilung angekommen: Zwei 1,5-Liter Plastikflaschen mit Sprudelwasser abgefüllt aus dem Regal genommen.
Fleisch kommt auch fast täglich auf den Teller. Ist Fleisch gesund? Mussten die Tiere nicht dafür ein Leben lang leiden und qualvoll sterben? Zwei Steaks von glücklichen Rindern werden von der Verkäuferin an der Fleischtheke zu mir hinübergereicht. Bei der Kasse in der Warteschlange angelangt, rege ich mich darüber auf, dass es nicht schneller vorwärts geht. Warum? Welchen Grund habe ich dazu? Bin ich unter Zeitdruck? Sind diese Leute hier schuld an meiner schlechten Laune? „Deppen, die können doch einfach eine zweite Kasse aufmachen“, murmele ich vor mich hin und werde von einigen Seiten schief angeguckt. Bezahlt, 15 Euro lediglich. Warum kriege ich eine 1,5-Liter-Flasche Wasser bereits für 20 Cent? Und 600 g Steaks für unglaubliche 2,50 Euro? Alles in eine große Plastiktasche gepackt und nach Hause transportiert.
Zuhause wartet bereits meine wunderschöne Frau auf mich. Warum habe ich sie geheiratet? Aus Liebe? Um finanziell abgesichert zu sein? Weil es alle anderen auch machen? Ich liebe sie. Ich gebe ihr beim Hereinkommen einen dicken Kuss auf den Mund. Der Sohn meiner großen Schwester kommt auch gleich auf mich zugerannt. Er fragt mich, ob er mit mir am Wochenende in den Zoo ginge. Was ist ein Zoo? Was zeigt er unseren Kindern vor? Nach dem Abendessen werfe ich meine unsauberen Klamotten in die Waschmaschine. Woraus besteht das hoch konzentrierte chemisch hergestellte Waschmittel? Wo landet es nach dem Waschgang? Kann es die Umwelt belasten? Eine Kappe Waschpulver dürfte reichen.
Mittlerweile liege ich hier im Bett und schreibe diesen Text an meinem Laptop. Woher kommt letzterer eigentlich? Unter welchen Verhältnissen wurden seine Bestandteile angefertigt? Wo landet er wenn er kaputt geht? Schlafenszeit. Schließlich muss ich morgen wieder früh raus.
Das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg hat uns dabei geholfen, diesen Artikel zu finanzieren. Werft gerne einen Blick auf ihre Homepage: http://institut-walberberg.de/
Was ich denke? Der Sebastian denkt zuviel, obwohl alle seine Überlegungen Sinn machen. Obwohl dies nur eine fiktive Erzählung ist, regt sie uns an. Aber wie gesagt, würden wir tagtäglich jede Situation so kritisch hinterfragen, ich glaube, wir würden schwere psychische Probleme kriegen.
Lieber Gruss
Chris
(wohnte aus beruflichen Gründen mehrere Jahre in Fribourg)
Au revoir