Laura Kaldinski ist Genussbotschafterin und Initiatorin des Projekts „Genuss-Gutscheine“. In ihrem Blog „Für Leib und Seele“ schreibt sie regelmäßig über Genuss bzw. Genussmomente und postet ihre neuesten Tortenrezepte. Dabei waren es ausgerechnet die sozialen Netzwerke, die sie in jungen Jahren in die Magersucht führten. Doch nun hat sie die Leidenschaft entdeckt, anderen Menschen zu helfen und Genussmomente zu ermöglichen. Momente, die sie sich aufgrund ihrer Krankheit jahrelang verwehrte. Ein Gespräch über Genuss, soziale Ungleichheit und einem Ausweg aus dem Perfektionswahn.

Laura Kaldinski, Sie sind Bloggerin, Mentorin und Speakerin. Wann haben Sie zuletzt in einer ruhigen Ecke gesessen und ein Buch gelesen?
Das ist eine sehr schöne Frage. Tatsächlich nehme ich mir jeden Tag diese Zeit, um runterzufahren und entspannen zu können. So habe ich gestern Abend ganz in Ruhe in meiner Wohnung gesessen und ein Buch gelesen. Als Genussbotschafterin im Social Web ist es natürlich wichtig, dass ich auch selber mein Leben zu genieße, denn nur so kann ich auch authentisch schreiben und andere dazu ermutigen, diese Momente ebenfalls zu erleben.
Vor ein paar Jahren wären Ihnen diese Worte nicht über die Lippen getreten. Sie waren leistungsaffin, wollten nach außen hin ein perfektes Bild vorzeigen, dies auch und vor allem in den sozialen Netzwerken.
Stimmt, früher achtete ich weniger auf mich als auf mein Wirken nach außen. So habe ich nicht geschaut, wie es mir geht, sondern eher wie meine Mitmenschen mich als Person wahrnehmen. Hinzu kam ein unglaublicher Ehrgeiz. Ich war ein sehr leistungsbedachter Mensch. So wollte ich unbedingt das beste Abi erreichen um danach auch einen möglichst guten Studienplatz zu erhalten. Dies hatte allerdings zur Folge, dass ich mich immer mehr isolierte und dementsprechend auch nur wenige Freunde besaß.
Heute vermarkten Sie sich im Rahmen Ihrer Seite „Für Leib und Seele“. Wie hoch ist die Gefahr eines Rückfalls in schon fast vergessene Zeiten?
Der große Unterschied ist, dass ich als Bloggerin gegenüber meiner Community eine gewisse Verantwortung trage. Da darf oder muss es dann auch mal so sein, dass man zugibt, wenn man keinen so guten Tag hatte und deshalb nicht aktiv war. Denn natürlich kann man nicht immer perfekt sein. Zugleich sorge ich für einen Ausgleich, indem ich auch mal eine Zeit lang offline bin und nur auf mich achte.
Worin unterscheidet sich die Online- von der Offline-Laura?
Ich unterscheide nicht zwischen der Off- und Online-Person. Als Genussbotschafterin und Social Web Managerin entscheide ich immer selbst, was die Leute von mir zu sehen bekommen. Natürlich liegt es näher einen guten Moment im Café als ein Bild von meiner Shopping-Tour zu posten.
Wahrscheinlich würde ein solches Bild auch irritierend auf Ihre Community wirken.
Obwohl ich mit meiner Seite und Blog den Fokus auch aufgrund meiner vorausgegangenen Magersucht auf den kulinarischen Genuss lege, ist Genuss natürlich vielschichtig. So kann auch eine Shopping-Tour einen Genussmoment hervorrufen. Wichtig ist, dass man sich in dem Moment wohlfühlt und es einem gut geht. Genussbotschafterin kann ich nur sein, wenn es mir auch wirklich gut geht.
Zu ihrer Zielstrebigkeit und ihrem Perfektionismus zählte auch ein zunehmender Magerwahn. Parallel erschufen Sie Ihren Food-Blog.
Richtig, allerdings wollte ich auch mithilfe des Food-Blogs wieder das Bild der perfekten Persönlichkeit darstellen. Nach dem Motto: „Ey alles ist toll, mir geht es super!“ Tatsächlich aber habe ich keines meiner Rezepte in dieser Zeit jemals selbst gegessen oder probiert. Zwar half mir dieser Blog nicht aus meiner Krankheit, dennoch bin ich in dieser Zeit gewachsen. Der Blog half mir insofern nicht, weil ich erst nach meiner Krankheit begann damit reflexiv umzugehen und darüber zu schreiben.
Wann kam der Moment, in dem ein Umdenken und somit der Ausweg aus dieser schwierigen Zeit begann?
Wie sich jeder vorstellen kann, ist dieser Weg ein langer und zum Teil auch leidvoller Prozess. Dennoch gab es bei mir tatsächlich diesen einen Wendepunkt. Es war Sommer, die Sonne schien, doch ich lag aufgrund meines extremen Untergewichts mit Bettdecke und verschlossenen Gardinen auf meiner Couch. Normalerweise sollte ich laut meiner Gedanken wieder auf die Isomatte um mir mit Sport mein nächstes Essen zu „verdienen“. Doch als ich aufstand, sank ich kraftlos auf die Couch zurück. In dem Moment fragte ich mich, was ich hier eigentlich mache, warum ich mich so quäle? Ich streifte die Decke von mir und beschloss einen neuen Weg zu gehen. Ich wollte wieder ins normale Leben zurück. In ein Leben, in welchem man auch mal schwach sein darf und nicht immer nur stark sein muss.
Die sozialen Medien befeuern das Bild des Perfekten zunehmend. Auf Instagram erblickt man vermeintlich gutaussehende Menschen, die sich in tollen Posen selbst darstellen. Als Coachin und Mentorin geben Sie regelmäßig Kurse zum richtigen Umgang mit jenen Medien. Welche Risiken sehen Sie und welche Fragen tauchen am häufigsten auf?
Ganz sicher haben Facebook und Co. einen Anteil an dem, was dort derzeit geschieht. Doch schlussendlich liegt es natürlich auch an uns, dies richtig einzuschätzen sowie die Risiken zu kennen. Auf diesen Kanälen wird eine Scheinwelt transportiert. Diese hat nur sehr wenig mit der Realität gemein. Dessen muss sich jeder bewusst sein. Dennoch möchte ich sowohl Facebook als auch Instagram keineswegs die Schuld an der nun entstandenen Situation zuweisen.
Aber tragen diese nicht allein aufgrund ihrer puren Existenz schon eine Schuld? Wofür gibt es Richt- und Schutzlinien?
Selbstverständlich. Doch bereits jetzt gibt es Schutzvorkehrungen, sobald man den Hashtag „Magersucht“ eingibt. Doch natürlich ist im Endeffekt jeder für sein Handeln in großem Maße verantwortlich und da hört der Vorwurf dann auch irgendwann auf. Wir haben immer die Wahl, ob wir dort viel Zeit verbringen möchten oder nicht. Wenn ich dort viel Zeit verbringe, muss ich mich auch mit den Konsequenzen auseinandersetzen. Bei Kindern und Jugendlichen bedarf es zukünftig vielleicht mehr präventiver Maßnahmen von elterlicher oder schulischer Seite.
Als Food-Bloggerin schreiben Sie nicht nur viel, sondern haben nebenbei mit dem Projekt „Augenblick-Gutscheine“ ein soziales Projekt aufleben lassen. Wie kam es zu dieser Idee?
Diese Idee resultierte tatsächlich auch ein wenig aus meiner Magersucht. Als ich gesundet war und mit meinen Freunden ins Café ging, habe ich erstmal gemerkt, welch ein Genuss mir in dieser Zeit entgangen war. Noch entscheidender ist aber die Tatsache, dass mir plötzlich auffiel, wie viele Menschen sich diesen Genuss aus finanzieller Hinsicht nicht leisten können. Dieses Ungleichgewicht hat mich enorm beschäftigt, sodass ich in der Folge sehr viel recherchiert habe. Dabei fiel mir unter anderem das Café Suspended in Italien auf. Ich habe überlegt, wie ich diesen Menschen ebenfalls solch einen Genussmoment ermöglichen kann. Die Lösung war dann relativ einfach: Gutscheine. Die Umsetzung und Partnerfindung dafür zunächst kompliziert, denn natürlich musste ich viel präsentieren und meine Idee verkaufen. Das Café „Im grünen Salon“, am Dortmunder Nordmarkt war das erste Café, das mitgemacht hat. Dort funktioniert es auch am besten.
Was löst es in Ihnen aus und welche Rolle spielt hierbei auch der gesellschaftliche Aspekt?
Vor allem lässt es mich mit einem Lächeln ins Bett gehen. Das Gefühl, etwas Gutes tun zu können und mit jedem Gutschein einem Menschen ebenfalls ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, ist großartig. Allerdings möchte ich keineswegs, dass diese Idee nur mit „Leib und Seele“ in Verbindung steht. Nicht umsonst kann sich jeder diese Gutscheine ausdrucken und die Idee klauen. Ich wünsche mir, dass endlich wieder ein bisschen mehr „Wir“ in die Gesellschaft und in den Fokus rückt, dass nicht immer nur Ellenbogen ausgefahren werden. Dass an einem Obdachlosen nicht nur despektierlich vorbeigegangen, sondern diesem Menschen auch einfach mal ein Brötchen gekauft wird.
Wie bewerten Sie die Entwicklung und die Zukunft des Projekts?
Inzwischen ist es so, dass sich diese Idee auch aufgrund der medialen Präsenz deutschlandweit entwickelt. So gibt es mittlerweile Cafés in Hattingen oder auch in der Nähe von Friedrichshafen, welche die Gutscheine anbieten.
Augenblick-Gutscheine ist ein Schritt zu einer besseren Gesellschaft und mehr Miteinander. Wo gilt es, weiter anzusetzen?
Ich stimme Ihnen zu, natürlich brauchen wir noch mehr Gerechtigkeit, eine gerechtere Umverteilung. Letztendlich liegt es nur am Geld, das sozialer auf die jeweiligen Bevölkerungsschichten verteilt werden müsste. Hierzu gehört auch die bessere Subventionierung der Unterkünfte für Obdachlose, um nur ein Beispiel zu nennen. Schlussendlich steht es mir aber nicht zu und habe ich auch nicht das notwendige Know-how, da wirklich konstruktiv was zu verändern, Ideen zu entwickeln. Ich kann nur in meinem Umfeld beobachten und versuchen, die Welt und das Miteinander ein Stück weit zu verbessern.
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