„Ein Vorbild ist eine Person oder Sache, die als (idealisiertes) Muster, als Beispiel angesehen wird, nach dem man sich richtet“, schreibt der Duden. Als Synonyme werden etwa „Beispiel“, „Modell“, „Original“ angeführt. Wenn für uns ein Vorbild eine originelle Person ist, sind wir, wenn wir danach streben, so zu sein, wie sie, nur eine maßgenaue Kopie desselbigen? Wenn jemand also zum Beispiel als Vorbild Evil Jared Hasselhoff nennt, muss er dann auch von der Bühne pinkeln? Oder die gleichen tiefen Augenringe wie Pete Doherty sein Eigen nennen können? Und was wäre dann mit Amy Winehouse? Gilt es dann total abgemagert mit einem Drogencocktail vollgepumpt ins Mikrofon zu grölen?
Auffälligerweise sind Vorbilder meistens jene Persönlichkeiten aus dem sozialen, musikalischen oder schauspielerischen Umfeld, die ihrem Dasein durch exzessive Handlungen Bedeutung geben. Extrem schön, extrem talentiert, extrem schlau oder extrem geduldig – genau das scheint uns zu imponieren. Dabei lassen wir uns von der medialen Berichterstattung lenken. Die gängigsten Vorbilder werden allzu oft kommerziell ausgebeutet – niemand von uns scheint eine Person auszusuchen, die individuell auf unsere Eigenschaften abgestimmt ist. Haben wir eine starke soziale Seite, wählen wir Mutter Theresa oder Nelson Mandela. Bevorzugen wir ein Leben am Limit, ist ein Rockstar wie Kurt Cobain unser Mann und sind wir künstlerisch oder erfinderisch geprägt, dann entscheiden wir uns für Picasso oder Steve Jobs.
Die Eigenschaften wählt man frei
Selten unternehmen wir Anstrengungen, unser Vorbild kennenzulernen, die über das Lesen eines Wikipedia-Artikels hinausgehen. Wer wusste beispielsweise, dass Mick Jagger seinen Kindern selbst die Stullen für die Schule schmiert. Über Mahatma Gandhi munkelt man sogar, dass er Geschlechtsverkehr mit seiner 17-jährigen Nichte hatte und die Apartheid-Politik Südafrikas guthieß. Beschäftigt man sich mit den großen Vorbildern unserer Zeit, dann tauchen irgendwann auch Macken auf, die uns an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln lassen.
Müssen wir alle guten und schlechten Seiten einer Person kennen und anerkennen, um im Poesiealbum auf die Frage nach dem persönlichen Vorbild eine Antwort zu haben? Müssen wir demnach auf das Geld ebenso erpicht sein, wie auf die verkorkste Kindheit – auf den Mut in gleicher Weise wie auf eine zwiegespaltene Persönlichkeit? Und bei all dem darf auch der Öffentlichkeitsdruck unserer Vorbilder nicht vergessen werden. Berücksichtigen wir all diese Faktoren, scheint uns das Gesamtpaket Vorbild doch zu überfordern. Da versteifen wir uns lieber auf jene Eigenschaften, die uns am meisten zusagen oder von denen wir nur zu träumen wagen.
Der Begriff Vorbild muss überdacht werden
Wenn wir also nur ausgewählte Eigenschaften, die jene Person ausmachen, begehren, ist es doch besser, von Inspiration zu sprechen. Jemanden zu inspirieren kann nach dem Duden Impulse verleihen oder schlicht und einfach zu etwas anregen. Man könnte demnach zu Geld, Mut oder Freiheit angespornt werden oder von den betreffenden Personen einen Anstoß bekommen, dieses Verlangen in die Tat umzusetzen. Die eigene Motivation ist durch diesen Stimulus möglicherweise so stark, dass wir durch unser eigenes Handeln unseren ehemaligen Inspirationen in nichts nachstehen. Dies geschieht aber nur, wenn wir uns auf diese nicht auf ewig fixieren, sondern vielleicht jene Entschlossenheit aufbringen, mit der sie ihr Dasein unvergessen machten.
Das Blatt vor mir ist immer noch leer. Aber jetzt weiß ich wenigstens was ich mit den beiden Wörtern „Mein Vorbild“ anfangen soll. Mit meinem blauen Füller streiche ich sie durch und schreibe etwas darüber: „Inspiriert von."
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