Im Rahmen meines Theologiestudiums in Boston an der Ostküste der Vereinigten Staaten erhalte ich viele Eindrücke von der Kultur und den Menschen dieses Landes. Da das Leben rund um Boston mit seinen etwa 80 Universitäten und Hochschulen durchweg international geprägt ist, lernt man nicht nur den amerikanischen Way of Life kennen, sondern gewinnt auch internationale Erfahrungen. Was mich besonders begeistert: Der Elan junger Christen.

Seit meiner Ankunft werde ich mit Fragen und Vorurteilen zu Deutschland im positiven Sinne konfrontiert. Ob Deutsche wirklich keinen Humor hätten? Stimmt es, dass der Bischof von Limburg 40 Mio. US-Dollar für seinen Palast ausgegeben hat? Ist es wahr, dass man in der Bundesrepublik so viel Wert auf Recycling legt? Kurzum: Es sind typische – um nicht zu sagen – stereotypische Fragen, die man zu hören bekommt. Das ist aber weder schlimm, noch verwunderlich. Im Gegenteil: Ich meine, dass mir wirklich Interesse und Gastfreundschaft entgegengebracht wird. Besonders die religiös Motivierten fragen aber auch nach etwas anderem: „Was ich schon immer wissen wollte – Wie ist das eigentlich mit der (Kirchen)steuer?“
In den USA sind Religion und Staat sauber getrennt. Die große Mehrheit der Amerikaner ist christlich und oft wesentlich aktiver als hier. Laut der American Religious Identification Survey von 2008 sind 76 Prozent der Amerikaner christlichen Glaubens, die größte Gruppe davon sind Katholiken mit ca. 25 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das hängt vor allem mit der Zuwanderung von Menschen aus Meso- und Lateinamerika zusammen, die selbst mehrheitlich römisch-katholischen Glaubens sind. Aber es gibt keine ‘Verquickungen’ zwischen Glaube und Politik, die institutionell wäre. Zwar kann niemand außer Gott in das (gläubige) Herz eines Menschen blicken, aber die Frömmigkeit gerade der jungen Theologiestudenten und anderer Katholiken um mich herum zeugt zumindest von großer Zustimmung zum kirchlichen Leben.
Wettbewerb der Religionen
Wie fast alles in den USA basiert auch der Glaubensmarkt auf Wettbewerb. Die große kulturelle und nationale Vielfalt des ‘melting pots’ USA kann man auch an den Religionen und Denominationen ablesen. Es ist kein seltener Anblick, wenn ein Straßenzug gleich fünf unterschiedliche Kirchen mit je anderem (christlichen) Hintergrund beheimatet. Wenn ein Amerikaner etwas tut, dann meint er es ernst darum und will Menschen für seine Sache gewinnen. Die katholische Kirche in den USA bemüht sich darum, zumindest in Boston ihr Profil zu kommerzialisieren und zu bewerben. Das hat sie auch sehr nötig; denn der sogenannte Child-abuse-Scandal (Missbrauchsskandal) war in der Metropolregion Boston gravierender wie nirgends sonst.
FOCUS und ‘Jesus in Boston’
An dieser Stelle will ich zwei katholische Initiativen, die ich selbst ein wenig kennenlernen durfte, etwas näher beschreiben. ‘FOCUS’, was für “Fellowship of Catholic university students” steht, ist eine Initiative, die 1997 am Benedictine College im Bundesstaat Kansas gegründet wurde. Gründer war unter anderem Curtis Martin, der 2011 von Papst Benedikt XVI. zum Konsultor des Päpstlichen Rates zur Neuevangelisierung berufen wurde.
Die jungen, katholischen Gläubigen dieser Gruppe werden drei Monate vor ihrem aktiven Dienst crashkursmäßig in Theologie und Bibelkunde und ‘Sacred Tradition’ unterwiesen. Anforderungen sind ein abgeschlossenes Studium und Teamfähigkeit, sowie eben die Bereitschaft, durch das Land geschickt zu werden. Am ‘Einsatzort” bemühen sich die jungen Missionare dann als Gruppe ein wenig vom “Licht des Evangeliums” an den jeweiligen Ort zu tragen. Sie tun das als Gruppe und bleiben in der Regel nicht länger als zwei Jahre. FOCUS ist heute auf 99 US-Campi aktiv und leistet erstaunliche Arbeit zur Neuevangelisierung.
Jesus in Boston ist eine Initiative der Erzdiözese Boston, ebenfalls aus Gründen der Neu-Evangelisierung ins Leben gerufen. Jesus in Boston richtet sich gezielt an junge Erwachsene, die circa alle drei Wochen zusammenkommen, um ihren Glauben zu feiern. Diese Treffen finden in der Regel am späteren Abend statt und bestehen aus eucharistischer Anbetung mit Beichtgelegenheit, einer Heiligen Messe und einem gemütlichen Beisammensein im Anschluss. Aufgrund der Internationalität Bostons bietet Jesus in Boston eine Gelegenheit, Katholiken gleichen Alters aus aller Welt zu treffen. Die allermeisten davon sprechen Englisch – aber die Sprache des Glaubens ist mitunter etwas, was noch inniger verbindet.
Catholicism – The German way?
Die oben beschriebenen Initiativen haben wie viele andere etwas gemein: Sie sind in gewisser Weise typisch katholisch. Im sehr wettbewerbsorientierten Markt der Religionen, der in den USA wie in kaum einem anderen industrialisierten Land aus glaubenshungrigen, grundsätzlich christlichen Teilnehmern besteht, geht es um Profilierung. Messe, Papst, Maria – so könnte man es zusammenfassen. Umgekehrt ist es auch kein Klischee, dass diverse Baptistengruppen ihre Bibel in- und auswendig zitieren können. Auch hier habe ich schon erstaunliche Erfahrungen mit gleichaltrigen jungen Erwachsenen auf offener Straße gemacht.
In vielem sind sich die deutsche und amerikanische Kirche unähnlich. Europa gehört zur alten Welt, zum „Abendland“, in dem das verfasste Christentum nach Konstantin fest integrierter Bestandteil des gesellschaftlichen Gefüges ist – selbst wenn sich auch dort viel verschiebt. Die amerikanische Kirche ist eine wohlhabende Gemeinschaft, aber noch beeindruckender ist die spirituelle Kraft, die hinter dem kirchlichen Leben der Amerikaner steckt. In Deutschland ist man manchmal geneigt, das Gegenteil zu behaupten. Dennoch: Die Art und Weise, die Offenheit, die provozierende Katholizität und der missionarische Geist der amerikanischen Katholiken kann auch in Deutschland wegweisend sein. Man muss sich nur trauen.
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