Erinnerungspolitik – oder noch stärker – Erinnerungskultur ist ein kollektiv veranlagtes Moment, dem jede Gesellschaft auf ganz eigene Weise nachgeht. Im Falle Japans, dem “Land des Lächelns” ist es für Westeuropäer auch heute noch schwer, sich in diese Gefühlswelt zu versetzen.
Forschungsdebatten und “Asian Holocaust”
Bereits in der Frage, wann der Zweite Weltkrieg für Japan begonnen hat, ist auch heute noch in der Forschung Konfliktpotential geboten. Die japanische Linke sieht den Beginn im Einfall in die Mandschurei (1931/1932), der ihnen demnach als Ausgangspunkt der imperialistischen Aggressionspolitik dient und über den Einfall in China bis zum Angriff auf Pearl Harbor führte.
Die rechten Nationalisten und Vertreter der Liberaldemokratischen Partei sehen hingegen im chinesisch-japanischen Krieg ab 1937 einen „Zwischenfall“ und im Angriff auf Pearl Harbor lediglich einen notwendigen Akt der Verteidigung gegen die USA. Der Südostasienkrieg wird schließlich lediglich als eine Art Feldzug zur Befreiung des asiatischen Raums gesehen. Damit ist bereits die Frage nach dem eigentlichen Beginn des Krieges in höchstem Maße politisch aufgeladen.
Da vor allem japanische Kriegsgreuel an chinesischen, koreanischen, philippinischen und taiwanesischen Soldaten und Zivilisten verübt wurden, wird der Blick hier eher auf den asiatischen Raum und damit auf den Beginn des chinesisch-japanischen Krieges 1937 gelegt. Mit dem japanischen Überfall begann in China das massenhafte Sterben und Morden von Soldaten und Zivilisten durch japanische Truppen, dass das Verhältnis der beiden Länder zueinander bis heute belastet.
Während auf japanischer Seite knapp 1.1 Millionen Menschen ihr Leben verloren, waren es auf chinesischer über 2.2 Millionen Soldaten und etwa 20 Millionen Zivilisten. Sowohl durch die enorm hohen Opferzahlen, wie auch durch die Massenexekutionen, wird hierfür in der angelsächsischen Literatur seit den frühen 1990er Jahren der Begriff des „Asian Holocaust“ verwendet. Hierbei sind die Kriegsgreuel der Japaner vielfältiger Natur. Neben herbeigeführten Hungerkatastrophen durch die gezielte logistische Beschlagnahmung von Lebensmitteln starben allein in Vietnam zwischen 1944 und 1945 an die zwei Millionen Zivilisten.
Parallel hierzu wurde, ähnlich wie im „Dritten Reich“, ein System von Zwangsarbeitern etabliert. Im Falle Koreas bedeutete dies knapp 4,5 Millionen Koreaner, die in ihrem eigenen Land zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden und weitere 700.000, die ins japanische Kaiserreich deportiert wurden. Im Zuge der Deportationen wurden vor allem aus China, Taiwan und den Philippinen Frauen in japanische Armeebordelle verschleppt, die im damaligen Sprachgebrauch die perfide Bezeichnung der “Trostfrauen” trugen.
Zählt man die japanischen Kriegsverbrechen auf, so ist in einem Atemzug auch immer das Massaker von Nanjing zu nennen. Im Dezember 1937 kam es zunächst zur Bombardierung, später zum Einmarsch ins chinesische Nanjing durch japanische Truppen. Das Internationale Militärtribunal für den Fernen Osten hielt nach dem Krieg fest, dass dort zwischen dem 12. und dem 21. Dezember ca. 340.000 Menschen, überwiegend Zivilisten, ermordet wurden. Besonders in den 1970er Jahren wurde das Massaker in der japanischen Öffentlichkeit stark diskutiert und stellt bis heute ein komplexes Problem im Chinesisch-Japanischen Verhältnis dar.
Hiroshima und Nagasaki – Ein Opferkult entsteht
Zwar konnte das Kaiserreich bis 1942 neben Thailand auch die malaiische Halbinsel, die Philippinen, Britisch-Burma, Niederländisch-Indien sowie große Teile Neuguineas einnehmen, der Vormarsch geriet jedoch 1943 ins Stocken. Dabei spielten die Landungen der Alliierten auf den japanischen Inseln Iwojima und Okinawa eine nicht zu unterschätzende, gar mit dem D-Day vergleichende, Rolle. Es folgten alliierte Bombardements von Dezember 1944 bis April 1945 auf die Städte Nagoya, Kobe, Tokyo, Osaka und Yokohama, die über 120.000 Menschen das Leben kostete. Trotz der immer höheren auch zivilen Verluste in Japan sowie der um sich greifenden desaströsen Lebensmittelversorgung kann von einem Zusammenbrechen der „Heimatfront“ keine Rede sein.
Sowohl die japanische Zivilbevölkerung, als auch die Soldaten des Kaisers, zeigten kaum Anzeichen von Widerstand oder Kriegsmüdigkeit. Im Gegenteil, sowohl japanische als auch amerikanische Quellen berichten von dem ungemeinen Kampfeswillen der japanischen Soldaten, die, auf den Kaiser eingeschworen, bis in den Tod kämpften. Dementsprechend ist die Zahl japanischer Kriegsgefangener relativ gering. Die berüchtigten Kamikaze-Piloten entsprechen gerade dieser Hörigkeit. Dabei darf allerdings nicht verleugnet werden, dass die japanische Kriegsgesellschaft sehr wohl gegen die Regierung und das Militär zu agitieren und kritisieren pflegte, der Kaiser jedoch bei fast allen in hoher Gunst stand.
Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 beendeten schließlich den Zweiten Weltkrieg und führten zur Kapitulation Japans. Dieses Moment, zwei bis dahin in ihrem Ausmaß nicht gekannte Waffen innerhalb weniger Tage, mit mehreren hunderttausend Toten, führte die nächsten Jahrzehnte zu einem Opferkult, der bis heute einen hohen Stellenwert hat.
Dementsprechend kann das Verhältnis der Japaner zu den Kriegsereignissen als durchaus ambivalent angesehen werden. Auf der einen Seite stehen mehrere Millionen, meist unschuldige Opfer, die im Auftrag des japanischen Militärs und damit mittelbar des Kaisers ermordet wurden, auf der anderen Seite führten vor allem die Abwürfe der Bomben in Hiroshima und Nagasaki zu einem bis heute hochgehaltenem Opferkult. Hinzu kommt der starke japanische Nationalismus, der sich zugleich nach dem Ende des Krieges erneut seine Bahnen brach, als alle fremdländischen Einwohner ausgewiesen wurden. Der starke japanische Nationalismus und Nationalstolz standen seitdem einem Schuldeingeständnis und einer Eigenwahrnehmung als Täter deutlich im Weg.
Erinnern in der Nachkriegszeit
Bei der Aufarbeitung bzw. Erinnerungskultur spielen vor allem Schul- und Highschoolbücher eine herausragende Rolle. Für die frühen 1950er Jahre ist dabei zu vermerken, dass das Massaker von Nanjing noch behandelt wurde. Mit Erstarken der konservativen Kreise und der Wiedererlangung der japanischen Unabhängigkeit 1952 wurde das Ereignis aber komplett aus den Büchern entfernt. Parallel hierzu setzten sich vor allem Linksintellektuelle wie der marxistische Historiker Hani Goro für die Anerkennung der eigenen Schuld und die des Kaisers ein. Im Zusammenschluss mit einigen Pädagogen wurde 1949 hierfür die Association of History Educators gegründet.
Trotzdem konnte nicht von der Opferrolle Japans abgewichen werden. Dabei spielte ein Vorfall um das Bikini-Atoll 1954 eine weitere Rolle. Bei Wasserstoffbombentests der amerikanischen Streitkräfte wurden japanische Fischer verstrahlt und starben an den Spätfolgen. Hierdurch stiegen die Vorbehalte gegen Atombomben und die Antikriegsbewegung in der Bevölkerung zusätzlich an. Nachdem zwei Jahre später rund 1.000 japanische Kriegsgefangene aus China entlassen wurden, veröffentlichte ein Teil von ihnen – trotz heftiger Agitationen aus rechten Kreisen – ein Sammelwerk zum Thema japanischer Kriegsgräuel.
Zeitgleich versuchte der Historiker Ienaga Saburo ein Highschool-Geschichtsbuch zu veröffentlichen. Allerdings kritisierte die immer nationalistischer agierende Regierung das Werk in über 300 Punkten. Vor allem die Erläuterungen zum Pazifikkrieg sollten maßgeblich überarbeitet werden, wonach der Konflikt nicht als „unverantwortlich“ bezeichnet werden sollte. Saburo verklagte die Regierung und gewann 1970 vor dem Bezirksgericht in Tokyo. Durch anonyme Spenden finanziert, führte der zweimal für den Nobelpreis nominierte seinen Kampf gegen den Revisionismus bis 1997 fort.
Zwar stieg die Publikationstätigkeit in den folgenden Jahren über das Massaker an, doch konnte der Sprung ins öffentliche Bewusstsein erst in den 1970er und 80er Jahren vollzogen werden. Grund hierfür war ein 1971 veröffentlichter Bericht in einer der größten japanischen Tageszeitungen, der sich auf über 100 Interviews mit chinesischen Überlebenden stützte. Nicht nur, dass hierbei die Brutalität des Krieges erstmals ins öffentliche Bewusstsein geriet, auch wurde von dem sogenannten „Tötungswettbewerb“ zweier japanischer Offiziere berichtet, bei dem es darum ging, wer als Erster 100 Kriegsgefangene ermordete. In der Folge entfachte sich eine Art japanischer „Historikerstreit“, dem ein allmähliches Umdenken vom reinen Opferkult hin zur Täterperspektive inhärent war. Trotzdem darf dieses Ereignis nicht zu hoch bewertet werden. Zwar fand das Massaker wieder Einzug in Highschool-Bücher, das Bildungsministerium unterließ es aber genaue Zahlen zu nennen und agierte verharmlosend, zumal es meist nur in den Fuß- oder Randnoten zum Thema kam.
Resümee
Das Verhältnis zur Vergangenheitsbewältigung in Japan – wobei angemerkt werden muss, dass es diesen Begriff erst seit 1992 im Japanischen gibt – ist durchaus als ambivalent zu betrachten. Zwar gab es bereits kurz nach dem Krieg erste Vereinigungen vor allem linksintellektueller Wissenschaftler, die für eine Aufarbeitung der Schuld Japans eintraten und sich sogar gegen das Kaiserhaus stellten, allerdings errangen die konservativen Kreise in der Politik spätestens seit der Wiedererlangung der Unabhängig einen so großen Einfluss, die gegenteilige Tendenz durchzusetzen. Schließlich führt der starke Nationalstolz in Japan auch dazu, keine Angriffe gegen die eigene Geschichte in einem solch traditionsreichen Land zuzulassen. Doch letzten Endes führten die Atombombenabwürfe zu einem eigenen Opferkult, der bis heute Bestand hat.
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