Syrien, Irak, Afghanistan – Menschen aus verschiedenen Ländern sind seit Beginn der aktuellen Flüchtlingsbewegung Deutschland gekommen. Was jetzt zu tun ist, scheint vielen klar: Integration. Aber was bedeutet Integration überhaupt, wie funktioniert sie und woran scheitert sie?

Der Tisch ist gedeckt in der Küche der WG. Humus zu Vollkornbrot, Oliven und Ofenkartoffeln: Syrien meets Deutschland, orientalisch-mediterran trifft auf gutbürgerlich-deutsch, und das nicht nur kulinarisch. Seit einigen Monaten wohnen hier drei syrische Jungen zusammen in der Wohnung, die Michaela Burger ihnen zu Verfügung gestellt hat. Früher wohnten ihre Töchter dort, und wenn diese jetzt zu Besuch sind, teilen sie eben Küche und Badezimmer, Freuden und Sorgen und schaffen dabei einen interkulturellen Ort der gegenseitigen Wertschätzung und des Respekts. Einen friedlichen Ort.
Die unerwartete Herausforderung der Integration
Denn Frieden, das ist Alaas sehnlichster Wunsch. Es ist auch der Wunsch der 1,1 Millionen Syrer, Iraker, Afghanen, die im vergangenen Jahr auf der Suche nach einer besseren Zukunft in Deutschland angekommen sind. Sie stiegen in Boote, Busse und Bahnen, legten viele Kilometer zurück, verloren vielleicht Geld und Geduld, aber nie ihre Hoffnung. In Deutschland angelangt, stießen sie auf eine zutiefst zweigeteilte Gesellschaft.
Die einen empfingen sie mit offenen Armen, stellten sich mit „Refugees welcome“-Plakaten an die Grenzen dieses Landes, hießen willkommen mit Kaffee und Kuchen, spendeten Kleider, Möbel und Spielzeug. Die anderen blickten mit Misstrauen auf die Neuankömmlinge, fürchteten um ihre Arbeitsplätze und ihre Kultur, gründeten Pegida und wählten die AfD, entfachten Feuer in Flüchtlingslagern und hitzige Diskussionen auf Fernsehplateaus. Und mittendrin: Eine Politik, die sich nicht entscheiden kann zwischen offenen Armen und Obergrenzen, die den schmalen Grat zwischen Solidarität und Kontrolle auszuloten versucht. Wie aber diese unerwartete und erstmalige Herausforderung meistern?
Ob Aufnahmelager, AfD oder Angela Merkel, in einer Sache sind sich alle einig: Das A und O ist Integration. Aber was das genau bedeutet, da scheiden sich die Geister. Alaa kommt rein. Blaue Sweatshirt-Jacke, die Haare gestylt. Er stellt sich vor, der Händedruck ist fest. Fühlt er sich integriert? „Schon, ziemlich.“ Nur mit der Sprache, da hapere es noch etwas, sagt er bescheiden in flüssigem Deutsch. Sprache, das sei der erste und wichtigste Schritt bei der Integration, danach folgten Arbeit und Freunde.
Der Glücksfall Alaa
Fast ein Jahr ist es her, dass Alaa nach einer langen Reise in Passau ankam. Es folgten Monate in einem Erstaufnahmelager und in einem Heim, bis er in einem Kennenlern-Café auf Michaela traf. Dies war die Wende in der Geschichte seiner Flucht. Denn nach sofortiger gegenseitiger Sympathie erklärte sich die gelernte Schreinerin bereit, Alaa und seinen Cousin zu unterstützen. Sie überließ den jungen Männern ihre Wohnung in Kenzingen, half ihnen, die Bürokratie zu bewältigen, stellte den Kontakt für den Integrationskurs und ein FSJ beim Roten Kreuz her. Wäre das alles nicht passiert, säße Alaa nun noch immer in irgendeinem Heim, würde die deutsche Kultur nur aus Büchern kennen und die mühsam gelernte deutsche Sprache mit niemandem sprechen können.
Mit der Flüchtlingswelle hat sich auch eine Flut an originellen Projekten und umfangreichen Spenden aufgetan, die den Geflüchteten das Ankommen erleichtern wollen. „Damit“, so Barbara Strauß*, „ist es jedoch nichtgetan.“ Auch sie und ihr Mann haben einen jungen Syrer bei sich aufgenommen. „Damit Integration möglich wird, müssen nicht nur die Neuankömmlinge lernen in unserem Land zu leben. Sondern wir alle müssen lernen, gemeinsam in diesem Land zu leben.“ Integration ist ein beidseitiger Prozess, der dort beginnt, wo Vorurteile aufhören. Das bringt Herausforderungen und Mühen mit sich, aber auch Bereicherung.
Integration als organischer Prozess
Im Integrationskurs lernt Alaa, was zu tun ist, wenn er in der Straßenbahn das falsche Ticket zieht oder in einem Geschäft etwas zurückgeben möchte. Er lernt etwas über Sitten und Normen, unausgesprochene Regeln. Wertvolle Tipps für ein alltägliches Leben, an dem viele Flüchtlinge, anders als Alaa, nicht teilhaben können. „Oft fehlt einfach der Kontakt, der Austausch. Ich hatte das Gefühl, dass viele Deutsche zwar welt-, aber nicht herzoffen sind. Sie lassen uns in ihr Land aber nicht in ihre Leben.“ Und das ist der Punkt, an dem Integration scheitert. Der Punkt, an dem Hilfsbereitschaft aufhört und Unwissen anfängt, der Punkt an dem ein konstruiertes Bild eine Distanz schafft.
Bevor Integration erfolgreich sein kann, muss ihr also der Weg geebnet werden, indem sich die deutsche Gesellschaft genauso mit der Realität der Geflüchteten auseinandersetzt, wie sie verlangt, dass diese dies mit der deutschen tun. Das geschieht zwar auch in großen Initiativen und Projekten, nicht zuletzt aber in kleinen Projekten wie die von Martina Burger oder Familie Strauß*, in den eigenen vier Wänden. Denn wir selbst müssen der fruchtbare Boden sein, in dem Entwurzelte neue Wurzeln schlagen können, damit Integration ihre Früchte tragen kann. Das ist gelebte Integration.
*Name auf Wunsch der Person geändert
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