Moderne Kommunikation nennt sich das. Und vielleicht beginnt meine verhängnisvolle Abhängigkeit genau hier. Vermutlich hat mich mein Smartphone mit eben diesem Vorteil, der ständig nutzbaren, endlosen Weite einer transportablen und unbegrenzten Kommunikationswelt, in seinen mobilen Bann gezogen. Jetzt ist es zu spät! Denn mein Verständnis des Wortes „Vorteil“ endet genau dort, wo das Dilemma des Smartphones beginnt: meiner permanenten Erreichbarkeit für jedermann.
Ich nenne sie Hassliebe, die schmerzhaft innige Beziehung meines Smartphones und mir. Natürlich ist sie rein pragmatisch und unser Verhältnis beruht auf einseitigem Nutzen, nämlich meinem. Der Mehrwert, den dieses kleine Wunderwerk der Technik mir liefert, ist beeindruckend: Schon morgens vor dem Frühstück verdanke ich ihm erste, einschlägige Nachrichten des Tages. Wichtige Online-Schlagzeilen gehören zum Aufstehen dazu wie die allmorgendliche Dosis Koffein – und wer hat in aller Frühe schon Zeit, den Laptop hochzufahren? Während der Tag beginnt, checke ich auf dem Weg zur Bahn meine E-Mails, erneuere in der Warteschlange am Supermarkt schnell den Facebook-Status und lade Fotos der letzten Party hoch. Easy, dank meines kleinen Freundes bin ich jederzeit mobil und ständig mit der digitalen Welt, mit Freunden, Bekannten und sogar Arbeitspartnern verbunden.
Dass der kleine Freund meine Termine, Kontakte und Nummern etlicher Telefonpartner wohl besser kennt als ich selbst, ist die eine Sache. Vermutlich liegt es lediglich daran, dass seine Speicherkarte mehr freie Kapazitäten zur Verfügung zu haben scheint als mein informationsüberflutetes Gedächtnis. Dafür bin ich ihm dankbar. Doch dass ein Handy mich dem Gefühl ständiger, erzwungener Erreichbarkeit aussetzt, ist eine andere, äußerst kritisch zu betrachtende Sache. Wenn ständiges Klingeln und Piepsen eingehender Anrufe, Mails und SMS zur musikalischen Daueruntermalung meines Alltags wird, könnte man das noch als erstes Warnsignal hinsichtlich eines überhöhten Nutzverhaltens auslegen. Doch wenn der Blick auf ein schwarzes, farbloses Display – welches einen leeren Posteingang symbolisiert – erste Gefühle von „Oh Gott, man hat mich vergessen!“ hervorruft, ist der kleine Spalt zwischen dauerhaftem Nutzen und ersten Suchtanzeichen womöglich schon längst überschritten.
Aber: süchtig wonach? Nicht etwa nach einem kleinen Elektrogerät, sondern nach dem Verlangen, jedem jederzeit alles mitteilen zu können und selbst permanent erreichbar zu sein. Denn so nervig und anstrengend, so störend und lästig ich dies auch manchmal finden mag, so verleiht es mir dennoch ein Gefühl von Wichtigkeit, Bedeutsamkeit und Relevanz. Und es bändigt die Sorge vor Kontaktlosigkeit und Selbstisolation, frei nach dem Motto: „Wer heute was verpasst, ist morgen selbst vergessen.“ So viel zum Thema Hassliebe. Mein einziger kleiner Trost dabei ist: Ich bin nicht alleine. Laut Software-Hersteller SAP werden täglich etwa doppelt so viele Smartphones verkauft wie Kinder geboren. Wen wundert es da, wenn schon die Kleinsten auf digitale Dauerablenkung getrimmt werden, schleichend in die Abhängigkeit geraten, und Handys eine Stellung zwischen bestem Freund und erklärtem Feindbild einnehmen?
Ist es erst einmal so weit gekommen, hilft nur noch eine Lösung, um der permanenten Verfügbarkeit zu entkommen: offline gehen. Im ersten Moment ruft diese Vorstellung bei mir ein ähnlich großes Horrorszenario hervor, wie die zwei weiteren Gefahrentypen eines jeden Smartphone- und Ich-bin-immer-erreichbar-Süchtigen: keine Netzverbindung oder ein leerer Akku. Dann muss man unweigerlich auf das zurückgreifen, was man früher sowieso unter zwischenmenschlicher Kommunikation verstand: Körperbewegung, Haltung, Gestik und Mimik statt liken, tweeten, posten und teilen. Natürlich kann auch mein kleiner Technik-Gefährte solche eine menschliche Freundschaft nicht ersetzen. Er ist nur dafür da, diese bei räumlicher Distanz aufrechtzuerhalten.
Die generelle Frage lautet also nicht, ob ich erreichbar sein möchte, sondern wann und für wen. Wahre Freundschaft hält weit länger als die Akkulaufzeit eines jeden Handys, auch dann, wenn ich gerade einmal nicht erreichbar bin. Und in diesem Sinne sollte ich es mir gerne erlauben, mein Smartphone das ein oder andere Mal klingeln zu lassen oder gleich komplett auszuschalten. Ach ja, so ein schlüssiges Fazit sollte ich eigentlich sofort mal schnell bei Facebook posten…
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