Anfang des Monats der Schock für alle Festival-Liebende in Bonn: Steht der Kunst!Rasen vor dem Aus? Ein Anwohner klagte gegen die Stadt Bonn aufgrund von Lärmbelästigung gegen das Open Air Gelände an der Rheinaue und sorgte damit für das Bangen um den Rest der Konzert-Saison. Ein paar Tage später dann die Erleichterung: zumindest in diesem Jahr kann es wie geplant weitergehen. Freie Fahrt für Deichkind.
Hallo, Bonn!
Die Hamburger posteten dann auch gleich mal ein Foto auf Facebook: „Hallo, Bonn!", begrüßten sie die Stadt, begleitet von einem Bild eines Kastens Früh-Kölsch. Und während die einen noch darüber streiten, welches Bier die bessere Wahl gewesen wäre, machten sich die anderen bereits auf den Weg an die Rheinaue, um die Tech-Rapper zu feiern. Um halb neun – mit eineinhalb Stunden Verspätung, wahrscheinlich musste der Kasten noch geleert werden – geht es dann los. Die Bässe vibrieren, der Synthesizer wird aufgedreht, Lichter flackern über das Gelände, das endlich im Dunkeln liegt. Die Menge tobt. Und dann gibt Deichkind den Anwohnern mal einen richtigen Grund zum Klagen, während die Fans mit erhobenen Händen mitfeiern und sich vom Beat mitreißen lassen.
Die intelligenteste Band Deutschlands
Deichkind – das ist wahrscheinlich die intelligenteste Band Deutschlands, so beschrieb es einmal die Zeitung "Die Welt" in ihrer Online-Ausgabe. Und vermutlich haben sie damit recht. Die Jungs aus Hamburg treffen mit ihren Texten den Nerv der Zeit. Furchtlos wettern sie gegen das System, beklagen von A bis Z alles, was ihnen nicht richtig erscheint und hängen den Leuten trotzdem noch nicht zum Hals heraus. Unter anderem deshalb, weil sie nicht einfach bloß den Finger auf die Wunde legen, sondern ihn auch noch hübsch verpacken. Man kann einfach nicht anders, als im Takt zu tanzen, wenn Deichkind erst einmal losgelegt hat.
Befehl von ganz unten
Bei einer aufwendigen Bühnenshow, die ein bisschen an einen LSD-Trip erinnert, schmettert die Band ihre Titel "Arbeit nervt" und "Bück dich hoch" in die feiernde Menge. Sie klagen die Leistungsgesellschaft der Moderne an, ziehen über die vollkommen überspitzten Anforderungen her, über Kinderarbeit, illegale Musikdownloads und außer Rand und Band geratene Partys. Sie lästern über die GEMA, obwohl sie selbst als Künstler dort vertreten sind. Sie können beide Seiten verstehen – die Versuchung ist groß, Songs umsonst herunterzuladen. Viel Geld verdienen sie im Internet nicht. Dafür stecken sie umso mehr Arbeit in ihre Bühnenauftritte, um das Geld über die Konzerte wieder reinzuholen. Und das Konzept funktioniert. Die Erfinder der Bierdusche und der Wodka-Zitze haben sich auch für 2013 wieder jede Menge neuen abgefahrenen Blödsinn einfallen lassen, um den Fans einzuheizen.
Rollt das Fass rein!
So wird zum Beispiel passend zum Titel "Rollt das Fass rein" ein überdimensionales Fass in die Menge gerollt. Während ein Teil der Jungs auf der Bühne noch in ihren Müllbeutel-Outfits und mit Leuchtfarbe bemalt rumhoppsen, lässt sich der andere Teil mit schwingender YIPPIE!-Fahne in dem Fass über die Menge schieben. Das mittendrin mal einer rausfällt, bemerkt (fast) keiner. Und bei "Remmidemmi" lässt der Krawall auch nicht lange auf sich warten. Während von einem Pool aus, der auf den Händen der Menge getragen wird, säckeweise Federn ins Publikum geworfen wird, dreht Deichkind auf der Bühne erst richtig los und packt das Trampolin, die Hüpfburg und die Luftballons aus.
Es sieht aus, wie ein aus den Fugen geratener Kindergeburtstag – und aufräumen will am Ende natürlich wieder keiner. Die Fans haben nach dem Konzert aber auch noch genug damit zu tun, die Federn aus ihren Hosen zu ziehen. Alte Hasen erinnern sich daran, wie die Hamburger ihr Konzept austesteten. Das Techno-Event Mayday war eine der ersten Anlaufstationen. „Ich dachte nur: wollen die mich verarschen? Was soll das denn?", erinnert sich ein Konzertbesucher und muss dann grinsen. „Aber es hat funktioniert." Diese Musikrichtung nennt die Band selbst "Tech-Rap" – eine Mischung aus Techno und Hip Hop.
Musik ist uns’re Waffe – und wir die Attentäter
„Wir ziehen in den Krieg – uns’re Waffe ist Musik!", ist für Deichkind nicht nur eine leere Phrase aus einem ihrer Songs. Man könnte es als ihr Motto betrachten. Und diese Waffe beherrschen sie wie kein zweiter. Es ist schon schwer genug, Gesellschaftskritik in Musik zu packen. Doch es ist eine Kunst, sie so zu verpacken, dass man sie trotzdem noch feiern möchte. Das ist Deichkind gelungen, wie keiner Band zuvor. Und sie haben damit eine Stilrichtung losgetreten, die man vorher noch nicht kannte.
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