Wütend schlägt Susanne P. (Name geändert) auf das Fell der afrikanischen Trommel, die sie in der Hand hält. Ein Schlag mit Symbolkraft: Es ist die Ohrfeige, die ihr Vater verdient hätte. Als Susanne vier Jahre alt war, ließ er sie sitzen; seither hat er keinerlei Interesse mehr an ihr gezeigt. Erst vor wenigen Wochen hat sich die neunzehnjährige Studentin getraut, an ihrer seelischen Belastung zu arbeiten – mit Konny Hanrath-Elsen.
Die Therapeutin arbeitet mit dem gezielten Einsatz von Klängen. Das Einsatzspektrum ist weit: Sowohl körperliche als auch seelische Probleme eines Menschen werden behandelt; die Musiktherapie findet bei psychiatrischen, psychosomatischen, psychotherapeutischen, oder auch neurologischen Erkrankungen Anwendung – zum Beispiel bei Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen oder Sprachstörungen, sowie auch bei Autismus und Mutismus.
Kreative und situative Selbstgestaltung der Sitzungen
Im Gegensatz zur Verhaltenspsychologie setzt diese kreative Therapie mit Musik auf Eigeninitiative und die Mitarbeit der Klienten: „Ich arbeite nach keinen vorgegebenen Mustern. Die Musiktherapie, wie auch zum Beispiel die Poesietherapie oder Kunsttherapie, arbeitet klientenzentriert und situativ. Ich erstelle also vorher keinen Plan, nach dem die Sitzung abzulaufen hat. Die Therapie wird immer vom Klienten selbst gestaltet“, erklärt Konny Hanrath-Elsen. Sie selbst hat den Beruf über drei Jahre berufsbegleitend erlernt. Seit Mitte der 1970er Jahre haben sich staatlich anerkannte Ausbildungsmöglichkeiten in Musiktherapie in Deutschland etabliert: Heute wird an der Fakultät für Therapiewissenschaften an der Hochschule in Heidelberg der bundesweit erste Studiengang „Musiktherapie“ als Bachelor und Master of Arts angeboten.
Das „Deutsche Zentrum für Musiktherapieforschung“, welches mit Kliniken, Hochschulen und Universitäten in In- und Ausland musiktherapeutische Einzelfallstudien durchführt und analysiert, hat herausgefunden, dass chronisch-tonaler Tinnitus bei rund 80 Prozent der Probanden mithilfe von Musiktherapie reduziert werden konnten. Mehr und mehr setzen Wissenschaftler heutzutage auf die heilende Wirkung von kontrollierten Klangfolgen, die das Ohrensausen bekämpfen können. Die zahlreichen Forschungsergebnisse sprechen für eine musiktherapeutische Behandlung von Tinnitus, doch die Kraft der Musik wird von den Krankenkassen immer noch unterschätzt und die Bedürftigen finden keine Unterstützung – sie müssen ihre Behandlung selber finanzieren.
Musiktherapie auf dem Siegeszug
Diese Schieflage wird den Siegeszug der Musiktherapie aber nicht aufhalten: „Ich habe bis zu zehn Klienten pro Woche. Manche bleiben zwei Jahre bei mir, andere kommen nur zu zwei Sitzungen, weil die Therapie eben nicht krankenkassenfähig ist“, sagt Konny Hanrath-Elsen. „Ich schätze, es wird noch über zwanzig Jahre lang dauern, bis diese Art von Therapie medizinisch ernst genommen wird.“ Und sie liefert auch die übliche wie skandalöse Begründung: Die Pharmaindustrien fürchten durch die Etablierung der Musiktherapie als „kassenfähige medizinische Behandlung“ und den Wegfall von verschreibungspflichtigen Medikamenten Einnahmeverluste in Millionenhöhe.
„Ich hatte einen Jungen mit der Diagnose ADH-Syndrom in Therapie, der mit Pharmazeutika behandelt werden sollte. Doch im Gespräch mit dem Kleinen habe ich herausgefunden, dass sein Problem ein ganz anderes ist: Er hatte Angst, seine Eltern könnten sich trennen und wackelte in der Schule vor Aufregung auf seinem Stuhl herum. Er konnte sich nicht konzentrieren, weil er immerzu mit diese Angst beschäftigt war.“ Dieser Junge brauchte keine Tabletten; er brauchte lediglich einen Menschen, der ihm half, diese Angst in den Griff zu bekommen.
Musik als Medium der Gefühle
Konny Hanrath-Elsen versucht ihren Klienten mithilfe von Musik ein tieferes Bewusstsein und vor allem Akzeptanz von negativen Erfahrungen zu vermitteln. Die Instrumente dienen dabei als Medium der Gefühle, die mit Worten nicht beschrieben werden können – sei es aus Angst oder aus Ungeübtheit. Die Instrumente verschaffen eine Art Distanz und erleichtern den Gefühlsausdruck. Spielt der Klient selbst das Instrument, spricht man von aktiver Musiktherapie. Bei der passiven Musiktherapie reagiert er auf die Musik, indem er beispielsweise ein Bild malt. So oder so geht es darum, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, anstatt sie still herunterzuschlucken. Konny Hanrath-Elsen unterstützt diesen Prozess, indem sie genauer danach fragt, wie es im Inneren ihres Gegenübers aussieht. Können Ängste oder Wut mal nicht in Worte gefasst werden, so klimpert man entweder traurig ein paar Tonfolgen leise auf dem Klavier, oder schlägt wütend gegen eine Trommel – Hauptsache die innere Verfassung bekommt eine Stimme und wird erhört.
Auch Susanne fällt es schwer, von ihrem Vater zu erzählen. Sie weiß nicht recht, ihre Gefühle in Worten auszudrücken. Vielleicht gibt es auch gar keine Worte für das, was der neunzehnjährigen Studentin auf der Seele sitzt. So wie es für viele Empfindungen und Erlebnisse einfach keine Worte gibt. Aber mit der Musik finden ihre Wut und ihre Trauer doch noch einen Weg nach draußen.
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