Obwohl katholische Messen von den Bischöfen prinzipiell erlaubt sind und nach staatlichem Recht ohnehin, sagen einige Gemeinden ihre Gottesdienste wieder ab. Dabei geht es um mehr, als die Kirchen dabei oft kommunizieren. Ein Kommentar.
Die Bischöfe einigen sich auf „Selbstverantwortung“
Eine Leitung ist immer dann stark, wenn sie wenige Entscheidungen treffen muss. Der deutsche Episkopat leitet, jeder Bischof in seiner Diözese, die katholische Kirche dieses Landes. Die Oberhirten haben die Entscheidung getroffen, Gottesdienste zu erlauben. Allerdings wird diese Erlaubnis, die von einigen Gemeinden als euphorische Aufforderung verstanden werden kann, mit dem Stichwort „Selbstverantwortung“ kauteliert.
Denn Selbstverantwortung, die kirchenrechtlich deshalb gegeben ist, weil die Sonntagspflicht während der Pandemie aufgehoben wurde, hat den Beigeschmack des Wagnisses. Das Wort „Selbstverantwortung“ insiniuiert das Betreten dunkler Tropfsteinhöhlen, die aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen ohne Fremdenführer betreten werden. Es erinnert an das Laufen über heiße Kohlen, das Fahrradfahren ohne Helm – kurzum an Risiken, die eine Person auf sich selbst nehmen muss. Der Hirtenbegriff wird hier in gewisser Weise zum Beobachter am Wiesenrand ausgehöhlt. Klare Ansage – Fehlanzeige.
Der Staat kann – eine eucharistische Kirche kann nicht
Sicherlich kann der Staat die Religionsfreiheit bis hin zum Gottesdienstverbot einschränken. In einigen Landkreisen gilt aktuell das Verbot zur Verteilung der Eucharistie bzw. Kommunion. Es ist immer ein Balanceakt mit den Grundrechten. Die Gottesdienste sind – aus der Außenperspektive betrachtet – privilegiert. Theater mit Hygienekonzepten haben geschlossen. Opernhäuser und Stadien ebenso. Kirchen haben geöffnet. Wer Bachs „Weihnachtsoratorium“, oder wie Insider sagen „das WO“, bloß als Kunst betrachtet, den spirituellen Gehalt dabei aber übersieht, der mag hier Privilegien sehen und darf sich zurecht wundern, dass die Kirchen „geöffnet“ haben dürfen und „Veranstaltungen“ durchzuführen erlaubt sind.
Die katholische Kirche aber versteht sich von der Eucharistie her. Und die Eucharistie ist nun mal eine präsentische, leibliche Größe. Weihrauch, zu üblichen Zeiten auch der Gesang, die für geschlossene Räume ungewöhnlich kühlen Orte – der Kölner Dom hat selbst in guten Jahren gefrorene Weihwasserbecken – machen Kirchräume aus. Es sind Monumente steingewordenen Glaubens, das Werk von Jahrhunderten, die in den meisten historischen oder wiedererrichteten Stadtkernen deutscher Städte stehen. Für viele sind sie Kultur, für Katholiken aber sind diese Orte heilige Stätten, die Männer und Frauen, egal welchen Alters, vor Betreten des Platzes auf die Knie zwingen. Das mag für Außenstehende theaterhaft wirken; für Katholiken aber ist es Ausdruck ihrer Verehrung, ihres „Gottesdienstes“.
Der Gottesdienst ist für Katholiken ein Präsenzgottesdienst
Der katholische Gottesdienst, inmitten dessen Jesus Christus mit „Gottheit und Menschheit“, wie die Dogmen lehren, gegenwärtig wird, beginnt nicht mit dem Schalter an der Fernbedienung oder einem Ruf in Richtung „Alexa“. Der Gottesdienst der katholischen Kirche, die Heilige Messe, startet „Wenn das Volk versammelt ist“. Es ist nicht die Kapriziöse des Geistlichen, sondern der Wille der gläubigen Menschen, von denen es in diesem Lande Million gibt, die ihrem Glauben hier Ausdruck verleihen – und die Ostern vielerorts unendlich leiden mussten. Das ist der Unterschied zwischen Außen- und Innenperspektive und gleichzeitig der Unterscheid zwischen Präsenz- und Retortengottesdienst.
Der Gottesdienst, der vom heimischen Sofa aus in aller Bequemlichkeit und Distanz verfolgt werden kann, ist und bleibt ein Behelf. Anders als zu üblichen Zeiten der großen Fernseh- und Rundfunkgottesdienste, wird ein Detail oft übersehen: Es gibt dann keine Gemeine, die das dialogische, wohlfeil abgestimmte Konzert zwischen Volk und Priester anstimmen könnte. Es ist schlichtweg niemand im Kirchenschiff außer vielleicht der Tontechnik. Und selbst, wenn jemand trotz Gottesdienstverbots das Privileg hat, der Streamingmesse beizuwohnen, so würde vor der Kamera niemand eine Antwort des Volkes hören können: Das Mikro ist am Ambo, am Altar, am Gewand des Priesters. Kurzum: Das „Dominus Vobiscum“ des Priesters wird in einem Streaminggottesdienst mit zwei Kameraleuten ohne Mikrofon wohl oder übel vom Geistlichen selbst beantwortet werden müssen. Die Gemeinde ist ja draußen. Dies ist vieles, aber nicht die Eucharistiefeier, wie sie von der Regieangabe des Messbuchs her gefeiert werden sollte. Um in der Metapher zu bleiben: Es ist wie ein Theater, bei dem der Vorhang nie fällt, die Kamera aber hinter der Bühne schon drehen darf, ein Trauerspiel eben.
Präsenz ist keine Akzidenz, sondern Notwendigkeit
Wenn schon der Staat also Gottesdienste erlaubt, so hat die Kirche nach innen die Pflicht, diese auch zu ermöglichen. Denn die Behörden haben gute Gründe, Gottesdienste nicht ein weiteres Mal wie noch zu Ostern zu verbieten. Die Regeln, infantil, aber prägnant „Aha“ genannt, gelten in der Kirche in hohem Maß. Niemand darf singen, auch wenn es Studien gibt, dass Gesang nicht gefährlicher sei als das Ausstoßen der Zischlaute „s“, „ß“ und „Sch“. Aber hier geht man in vielen Diözesen seit Monaten auf Nummer sicher. Es gibt kein Weihwasser, es wird kein Friedensgruß ausgetauscht. Wegen der Umluftheizungen haben die Bistümer teilweise das Heizen untersagt. Der Priester allein kommuniziert – wie zu kämpferischsten antireformatorischen Zeiten – alleine aus dem Kelch und überlässt der Gemeinde lediglich den Leib Christi, der allzu oft mit Handschuhen und Zangen gereicht werden muss. Der Mindestabstand und die Mindestquadratmeter werden in der Regel übererfüllt.
Und dennoch sind all diese notwendigen Beschneidungen nur da, um eines zu ermöglichen: Die vom jüngsten Konzil geforderte tätige Teilnahme am größten Geschehen, das die Kirche für ihre Gläubigen bereithält, an der Eucharistiefeier. Auch wenn ich unter der Maske als Priester oft nur die Augenschlitze der Leute sehe, so weiß ich doch, dass diejenigen, die treu jetzt zur Kirche gehen, ohne diese Möglichkeit der Trostlosigkeit, Einsamkeit und der Verödung ihrer Gottesbeziehung ausgeliefert würden. Denn hier geht es nicht um Wagner oder Rachmaninoff, um Kunst oder „Kann das weg“, sondern um ein elementares Grundbedürfnis eines großen Teiles unseres Landes. Fast hätte ich gesagt „gottlob“ – aber: dem Grundgesetz sei Dank sind hierzulande Religionsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht der Religionen geschützt.
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