Der Bus fährt an eine Raststätte. Pinkelpause! Die rund fünfzig Frauen jubeln und wollen schon zum Ausgang stürmen, als eine kleine Frau mit breitem Lachen und langen dunklen Haaren nach dem Mikrophon greift. „Zehn Minuten! Und damit sind zehn deutsche Minuten gemeint!“ Alle lachen.
Das Alter der Frauen ist so unterschiedlich wie ihre Herkunft. Da ist eine Kurdin, die in Kiel Latein und Philosophie studiert, eine Afrikanerin, die vor zwei Jahren mit ihrer kleinen Tochter nach Deutschland kam und eine ältere Russin, deren Tochter für sie übersetzt. Um sieben Uhr am Samstagmorgen hat sich die bunte Weiber-Gruppe in Rendsburg getroffen. Sie sind ausgestattet mit Picknick-Körben, Decken und einer großen Portion guter Laune. Mitten zwischen diesem kuriosen Haufen stehe ich: Eine braune Wolldecke unter dem Arm, die Spiegelreflex-Kamera um den Hals und dunkle Schatten unter den Augen. Ich begleite die Frauengruppe zu einem Tagesausflug nach Lüneburg.
Integration auf eine ungezwungene Weise
Schon seit sieben Jahren organisiert Rosana Tautrims, Mitarbeiterin bei UTS Arbeitsmarktservice, Ausflüge für Frauen mit und ohne Migrationshintergrund. „Wir wollen, dass sich Deutsche und Migranten näher kommen“, erklärt die gebürtige Brasilianerin. Das Ziel sei Integration auf eine ungezwungene Weise. „Wir sind 50 Frauen aus der ganzen Welt und wir singen und tanzen und jeder bringt zum Picknick eine Kleinigkeit von zu Hause mit! Das wird so lustig!“, schwärmt die kleine Frau mit den langen schwarzem Haar und der unbegrenzten fröhlichen Energie. Ich wurde neugierig auf die multikulturelle Atmosphäre. Nun sitze ich im Bus. Um mich herum fallen sich die Frauen kreischend um den Hals, als hätten sie sich nach dem Bau und Fall der Mauer nie wieder gesehen. Aufgeregt tauschen sie sich die aktuellsten Neuigkeiten aus. Ich verstehe kaum die Hälfte, weil die Damen im Super-Vorspul-Modus schnattern.
Erst seit vier Jahren werden die Ausflüge mit einem Bus organisiert. Vorher sind die Gruppen mit dem Zug zu näher gelegenen Zielen gereist. Viele fanden aber gerade die Fahrt am lustigsten während des ganzen Ausfluges. Die Frauen wünschten sich, einen ganzen Tag miteinander zu verbringen. Jetzt stehen sie im Gang und auf den Sitzplätzen, breiten theatralisch ihre Arme aus und schmettern langgezogene Töne auf Portugiesisch durch den Bus. Sie lachen, klatschen und jubeln. Ein neues Lied wird angestimmt und eine Frau mit einem buschigen Lockenkopf und bunter Bluse tanzt den Gang entlang und amüsiert die anderen Frauen durch ihr selbstbewusstes, freches Auftreten.
Selbstbewusste Frauen und internationales Schlemmen
Die Programmpunkte des Ausfluges sind abwechslungsreich. Zuerst stehe ich mit Mildred Munyete Lubonga und Mardiya Secilmis in einer engen Duschkabine im Deutschen Salzmuseum. Hier sieden wir Salz, in dem wir mit einem Holzschaber Wasser hin und her bewegen, bis es Kristalle bildet. Dabei komme ich mit der selbstbewussten Mardiya ins Gespräch. Ich erfahre, dass die 21-jährige Kurdin in Kiel studiert und Lehrerin für Englisch und Latein werden möchte. Außerdem entdecken wir eine Gemeinsamkeit: Mardiya ist auch nebenberuflich als Journalistin unterwegs. Schon mit 17 Jahren hat sie für die Jugendseite der Landeszeitung shz geschrieben. Inzwischen verfasst sie ebenso Artikel für die Lokalseite und die Kieler Nachrichten.
Nach dem Museumsbesuch und einer Führung durch die Lüneburger Altstadt picknicken wir an einem See in der Lüneburger Heide. Die Decken werden zusammengelegt, sodass eine große, bunte Flickendecke entsteht. „Wie unsere Frauengruppe“, denke ich mir schmunzelnd. Jede breitet mitgebrachte Köstlichkeiten aus. Ich bin begeistert und überfordert von dieser internationalen Auswahl. Ich fülle meinen Teller mit Chapati aus Kenia, Apfeltaschen, mit Schafskäse gefüllte Brote, türkischer Pizza und kleinen Brötchen gefüllt mit Kartoffeln und Kräutern. Von dem meisten Essen weiß ich weder, wie es geschrieben noch gesprochen wird, aber mit vollem Mund sollte man ja eh nicht reden.
Austausch meint nicht nur die Unterschiede
Die Stimmung ist heiter und die Frauen genießen den Tag nur unter sich. Rosana Tautrims erzählt: „Wir wollen Spaß haben und einen Tag nur für uns, ohne die Kinder und vor allem weit entfernt von unseren Sorgen!“ Ins Gespräch sollen die Frauen kommen, die deutsche Sprache und Kultur besser kennen lernen. Doch auch die deutschen Frauen sollen erfahren, dass wir gar nicht so unterschiedlich seien und Unterschiede oft auch eine Bereicherung sind, so Tautrims. Was die schwarzhaarige Brasilianerin meint, erkenne ich während einer Unterhaltung zwischen Mildred Munyete und einer Deutschen:
„Woher kommst du?“, fragt die Deutsche neugierig.
„Aus Kenia.“
„Und wie lange bist du schon hier?“
„Seit zwei Jahren.“
„Wie ist es für dich?“
Mildred überlegt, wählt ihre Worte mit bedacht. „Ich kenne noch nicht so viele.“
„Oh, ja das ist natürlich schwer. Bist du alleine hier?“
„Nein, mit meiner Tochter. Sie ist fünf.“
Die Deutsche versteht Mildreds Lage. Sie ist selbst seit zwei Jahren alleinerziehend und weiß, wie schwierig es ist, sich ein soziales Netz aufzubauen, während man sich noch um die Kinder kümmern muss. Die beiden Frauen beginnen, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Zwei Frauen, zwei kulturelle Hintergründe, zwei Geschichten und doch dieselben Probleme. Ich beginne zu erkennen, worum es bei diesem Ausflug geht. Austausch. Das meint nicht nur Austausch über kulturelle Unterschiede. Nicht nur, woher jemand kommt und welche Traditionen sie verfolgt. Nein, die Frauen unterhalten sich über Probleme, die weltweit die gleichen sind. Über das Alleinsein, Kindererziehung, Männer, Arbeit.
Später schlendere ich noch mit Mildred durch die Gassen von Lüneburg. Sie wird nicht mit dem Bus zurück nach Rendsburg fahren, da sie abgeholt wird. Sie lächelt und meint: „Was für ein schöner Tag heute.“ Dann umarmt sie mich und fragt mich, ob wir uns mal in Rendsburg auf ein Kaffee treffen. Auf jeden Fall, antworte ich.
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