„Heute rufen manche montags wieder ‚Wir sind das Volk‘, aber tatsächlich meinen sie ‚Ihr gehört nicht dazu, wegen eurer Hautfarbe oder eurer Religion‘“
In ihrer knapp acht Minuten langen Rede nimmt Frau Merkel in aller Deutlichkeit Stellung zu den Demonstrationen von Pegida, Bogida und ähnlichen Vereinigungen, die sich über Deutschland verstreuen. Die Bilder von mittlerweile zehntausenden Demonstranten, die seit Monaten einmal in der Woche auf die Straße gehen und gegen die Islamisierung des Abendlandes demonstrieren, bestimmen schon lange die innenpolitische Berichterstattung. Während die Medien und die Oppositionsparteien sich im Allgemeinen nicht zurückhalten, Pegida als fremdenfeindlich, demokratiefeindlich und beschämend zu bezeichnen, sahen die Kommentare der politischen Chefriege der Regierungsparteien bisher eher verhalten aus.
Marika Tändler-Walenta, ein Parteivorstandsmitglied der Linken, veröffentlichte bereits am 1.12.14 auf deren Website eine Kundgebung, laut der es sich bei Pegida um rassistische Proteste handle. Cem Özdemir, Bundesvorsitzender des Bündnis 90/Die Grünen, äußerte sich am 19.12.14 auf der Website der Grünen gegen Pegida und lehnte es ab, Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften und Flüchtlinge pauschal zu Sündenböcken zu erklären.
Sigmar Gabriel, Vorsitzender der SPD, Vize-Kanzler und Bundesminister, sagte am 17.12.14, dass bei der Pegida-Bewegung zwischen radikalen und schlicht verunsicherten Bürgern unterschieden werden müsse. Von der ersten Gruppe müsse sich abgegrenzt werden, auf die zweite Gruppe hingegen solle zugegangen werden. Die CSU München gab am 22.12.14 eine Erklärung zu Pegida ab, in der diese als „reine Panikmache“ bezeichnet wird, die „Angst und Misstrauen in der Bevölkerung säen“ soll.
Das erste offizielle Statement der CDU in Bezug auf Pegida erfolgte tatsächlich erst durch die Parteivorsitzende in ihrer Neujahrsansprache. Angela Merkel warnt vor Vorurteilen, Kälte und Hass, die sich zu oft in den Herzen der Pegida-Anhängern fänden und setzt somit ein klares Zeichen gegen die dort propagierte Ausländerfeindlichkeit. AfD-Vizechef Alexander Gauland zeigte sich empört über dieses deutliche Statement der Regierung und behauptete, dass Frau Merkel die Pegida-Demonstranten „von oben herab“ beurteile. Er selbst bezeichnet seine Partei als Verbündeter der Anti-Islam-Bewegung und nahm bereits an einer der Montagsdemonstrationen teil.
„Es ist selbstverständlich, dass wir ihnen helfen und Menschen aufnehmen, die bei uns Zuflucht suchen“
Gemeint sind mit dieser Aussage die Millionen Flüchtlinge, die aktuell besonders Schutz vor der Terrormiliz Islamischer Staat suchen. Hier merkt die Kanzlerin an, dass die freie Welt sich ihr entgegenstelle und auch Deutschland seinen Beitrag leiste, denn dies sei schließlich „in unserem Interesse“. Dieses Statement birgt Diskussionspotential, sowohl was die deutsche Asylpolitik betrifft, als auch wenn es um die Bundeswehraktivitäten im Kampf gegen den IS geht.
Weder die deutsche Politik noch die deutsche Gesellschaft hat eine weiße Weste bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Der Burbach-Skandal, der unter anderem durch eine übertriebene, Opfer fordernde Sparpolitik zustande kam, wurde von Frau Merkel mit keiner Silbe erwähnt. Stattdessen wurde wieder einmal die schwarze Null gelobt, dank derer wir nun „Schluss machen können mit dem Leben auf Pump“. Dies gilt aber lange nicht für die gesamte deutsche Bevölkerung.
Auch das Thema Bundeswehr ist bei der Bekämpfung der Ursache für die vielen Flüchtlinge, die nach Deutschland und in andere EU-Länder fliehen, noch lange nicht vom Tisch, wird von Frau Merkel in ihrer Neujahrsansprache aber nicht aufgegriffen. Luft- oder Bodentruppeneinsätze unter UN-Mandat sind in der Zukunft ebenso möglich wie eine militärische Ausbildung der gegen den IS kämpfenden kurdischen Peschmerga durch Bundeswehrsoldaten. Von der Regierung genehmigte deutsche Waffenexporte an arabische Staaten, die den IS unterstützen, bleiben hier ebenfalls unkommentiert.
„Grundlagen unserer europäischen Friedensordnung [werden] in Frage gestellt“
Frau Merkel prangert Russlands Annektierung der ukrainischen Krim als Völkerrechtsverletzung in „lange nicht gekannter Härte“ an. Russland habe den europäischen Frieden gefährdet, in dem es nach dem „Recht des Stärkeren“ gehandelt habe. Dass Deutschland, Europa und letztlich die ganze Welt dieses Verhalten nicht akzeptieren könnten, haben bereits etliche wirtschaftliche sowie politische Sanktionen seitens der EU und anderer Industrienationen gezeigt. Im Gedächtnis bleibt Merkels Appell für ein friedliches Europa mit Russland und nicht gegen Russland.
Die Kanzlerin erwähnt an dieser Stelle außerdem die „transatlantischen Partner“, USA und Kanada, die sich 2014 nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch wirtschaftlich gesehen als starke Verbündete erwiesen haben. In Bezug auf die Freihandelsabkommen CETA mit Kanada und TTIP mit den USA nimmt Frau Merkel zwar nicht direkt Stellung, beschreibt den Welthandel aber als Möglichkeit, große Wettbewerbschancen zu nutzen und nennt die Pflicht, soziale und ökologische Standards zu behaupten. TTIP-Kritikern bleibt hier viel Raum, um auf die Benachteiligung wirtschaftlich schwacher Länder auf dem Weltmarkt sowie das Absenken diverser lebensmitteltechnischer Standards hinzuweisen.
„Will ich mich dafür in den nächsten Monaten mit aller Kraft einsetzen“
Der diesjährige G7-Gipfel findet unter deutscher Präsidentschaft am 7./8. Juni in den bayrischen Alpen statt. In diesem Kontext trifft die Kanzlerin die einzige Aussage über konkrete nächste politische Schritte. So will sie dafür sorgen, dass neue verbindliche Vereinbarungen der großen Industrienationen Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA und Deutschland für den Klimaschutz getroffen werden. Das sanktionierte Russland, das bis 2013 die G7 zu G8 ergänzt hat, ist bis auf weiteres von den Treffen der übrigen sieben Staaten ausgegrenzt worden.
Sehr kurz angeschnitten werden in der Neujahrsansprache auch die die Ausbreitung und Bekämpfung der Krankheit Ebola, der Vormarsch der digitalen Wirtschaft sowie die demographische Entwicklung in Deutschland, die unlängst zu einer kleinen Reform auf dem Gebiet der Angehörigenpflege geführt hat. Seit 2008 haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, bis zu zehn Tage unentgeltlich der Arbeit fernzubleiben oder die Arbeitszeit zu verringern, um in dieser Zeit einen Angehörigen zu pflegen. Ab 2015 haben Arbeitnehmer einen „Anspruch auf eine aus der Pflegeversicherung finanzierte Entgeltersatzleistung in Höhe von 90Prozent des Nettoarbeitsentgelts“. Auch die Zuwanderung bleibt nicht unerwähnt. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnet sie als „Gewinn für uns alle“.
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