Das Aufregungspotenzial bei großen Bauprojekten ist hoch, besonders unter Journalisten. Gebäude wie der Stuttgarter Hauptbahnhof oder die Hamburger Elbphilharmonie verleiten diese Berufsspezies unweigerlich zum Ausleben wildester Aggressionstriebe. Teils berechtigte Einwände ersetzen viele Medienmacher liebend gerne durch zynische, veralbernde und bloßstellende Darstellungen. Schlagzeilen um jeden Preis, am besten auf Kosten eines überteuerten Gebäudes. Zugegebenermaßen ist Kritik, wenn berechtigt, höchst produktiv. Doch inwieweit dürfen architektonische Großbauprojekte von der Presse zerschlagen werden? Grund zur derzeitigen Diskussion liefert die für Oktober geplante Teileröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg.
Eine Reihe von Aufschneidern
Jedes Mal pünktlich, nämlich genau dann, wenn sich die Thematik zumindest kurzzeitig aus den Nachrichten zu verabschieden scheint, meldet sich ein Medien-Messias der Flughafenplanung persönlich zu Wort. Danke, lieber Gott, dass es Menschen wie Hartmut Mehdorn gibt. Dank dieser Aussagen wird dem Steuerzahler nicht nur regelmäßig vorgeführt, wofür seine Gelder draufgehen, auch stachelt er die Presse zu immer neuen Verriss-Orgien an. Dass Mehdorn als Vorsitzender der Geschäftsführung über jegliche Neuerungen Auskunft geben muss, ist selbstverständlich. Doch die Art und Weise wie er dies tut, nämlich häppchenweise mit kleinen Informationen rauszurücken anstatt Klartext zu sprechen, ist systematische Selbstzerstörung. Gäbe Mehdorn heute einen realistischen Eröffnungstermin bekannt, würde eine Welle der Empörung durch Deutschland schwappen und morgen schon wieder verebben. Macht er jedoch ständig neue Versprechungen, die bereits im Vorfeld unglaubwürdig erscheinen, zieht er jegliche Aufmerksamkeit immer wieder neu auf sein scheiterndes Projekt.
Das Offensichtliche spricht Mehdorn aus Angst vor Negativreaktionen nicht aus. Damit gesellt er sich in eine Reihe von Aufschneidern, in der man eigentlich nicht stehen möchte: neben Technik-Vorstand Horst Amann und Berlins regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit. Beide beteuern regelmäßig, dass der Flughafen schnellstmöglich eröffnet werden soll. Schnellstmöglich. Ein ausgesprochen hübsches Wort, das jedoch viel Spielraum für unschöne Interpretationen lässt und sich bis ins Unermessliche ausweiten kann: so-schnell-wie-möglich. Denn wie definiert ein Politiker „schnell“ und was ist bei einem solch weitreichenden Projekt überhaupt alles möglich? Die Taktik, sich permanent ins Gespräch zu bringen ohne jemals auszusprechen, was die Menschen wirklich hören wollen – nämlich nicht das Wort „Teileröffnung“ sondern die Wahrheit – ist langfristig höchst nervenaufreibend. Manchmal tut es gut, solange zu schweigen, bis es tatsächlich etwas Gehaltvolles zu sagen gibt.
Verbesserungsideen statt Verrisse schreiben
Die Presse hingegen zerreißt sich derweil ihr Plappermaul über das Gesagte und Nicht-Gesagte. Gehaltvoll geht es dabei zwar zu, niveauvoll jedoch nicht. Wenn der Flughafen ausgiebig als „Pannen-Airport“ und „Berliner Debakel“ veralbert und die Arbeit vieler tausender Menschen niedergemacht wird, sind Zeichenpensum oder Sendezeit schnell gefüllt. Platz für ernsthafte Verbesserungsvorschläge bleibt da nicht. Sollte man etwa Flughafenleiter oder studierter Experte sein, um sich eine fundierte Meinung bilden zu können? Nein, die BILD-Zeitung zu lesen reicht völlig aus. Für siebzig Cent pro Ausgabe wird einem die Meinung des Chefredakteurs Kai Diekmann förmlich hinterhergeschmissen. BILD bildet, oder wie war das noch mal? Spätestens wenn auch seriöse, für ihre Sachlichkeit bekannte Blätter, wie die Frankfurter Allgemeine oder Süddeutsche Zeitung, den Berliner-Flughafen als Medien-Spektakel der Extraklasse instrumentalisieren, fragt man sich jedoch, wo das journalistische Gespür verloren ging. Grundsätzlich verkauft sich ein Skandal immer gut. Doch wenn die Bürger es schon mit Vielversprechern wie Mehdorn, Amann und Wowereit aufnehmen müssen, sollten sie sich zumindest auf eine sachliche Berichterstattung verlassen dürfen.
Dass bei groß angelegten Bauprojekten Fehler wie Verspätungen und Nachzahlungen vorkommen, ist verständlich. Dass es systematisch zu Mehrkosten in Milliardenhöhen und etlichen Jahren Verzögerung kommt, wenn in Deutschland mit Geldern aus öffentlicher Hand gebaut wird, ist nur schwer zu ertragen, leider aber kaum aufzuhalten, sobald der Bau erst einmal begonnen hat. Doch wie die Medien darauf reagieren, das ist individuell wandelbar. Sachliche, informative und zur eigenen Meinungsbildung anregende Informationen sind gefordert; Verbesserungsvorschläge, Kommentare und Kritiken ebenfalls, allerdings transparent als solche kenntlich gemacht und in überschaubarer Dosis. Denn wer die volle Dröhnung an Sarkasmus und Zynismus versprüht, der begeht letztendlich denselben fatalen Fehler wie die Verantwortlichen: zweideutige Kommunikation führen. In diesem Sinne sollte sich auch Kai Diekmann überlegen, seinen verbalen Vorschlaghammer einzupacken und statt im Silicon Valley an neuen Geschäftsideen lieber an Beiträgen zur Verbesserung des Berliner Flughafenbaus zu basteln. Dann könnten sich die in wertvolle Bildung angelegten siebzig Cent vielleicht tatsächlich rentieren.
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