„Du bist was du isst“. Nie erfreute sich dieser Werbespruch größerer Aktualität als heute. Unlängst sind unsere Essmanieren mehr als reine Geschmackssache. Von Paleo-Diät über Raw Food bis hin zur Real-Meat-Bewegung, mit unserer Ernährung definieren wir uns, unser Umfeld und setzen gleichzeitig ein politisches Statement.

Über die letzten Jahre haben sich im Streit um die richtige Ernährung zwei Fronten aufgebaut: Vegetarier versus Fleischesser; Tofu gegen Schnitzel. Wer die Massentierhaltung verurteilt und zur Soja-Wurst greift, wird womöglich für sein starkes ökologisches Bewusstsein gelobt; wer in den Genuss von Fast-Food kommt, gilt als nachlässig gegenüber seiner Gesundheit und der Umwelt. Doch seit 2015 bringen Forscher mit der Entwicklung von In-Vitro-Fleisch einen neuen Blickwinkel in die Debatte. Ist Fleisch aus der Petri-Schale die Versöhnung der beiden Fronten?
Genuss mit Konsequenzen
Man muss kein Vegetarier mehr sein, um über die verheerenden Folgen unseres Fleischkonsums Bescheid zu wissen. Seit Jahren sorgen Massentierhaltung und Genmanipulation für Schlagzeilen, Forscher rufen zu weniger Fleischkonsum auf, dieser hat sich im letzten Jahrhundert nämlich vervierfacht. Somit nimmt die Viehhaltung 26 Prozent der Erdoberfläche in Anspruch und rund 70 Prozent des in Deutschland produzierten Getreides dient als Futtermittel für Tiere. In einem Kilo Rindfleisch stecken nämlich 16 Kilo Getreide und 15.000 Liter Wasser. Zahlen, die paradox wirken, wenn man bedenkt, dass 795 Millionen Menschen auf der Welt hungern und 2,5 Milliarden in Wasserknappheit leben. Von den 36 Kilo Kohlenstoffdioxid, die ein Kilo Fleisch produziert ganz zu schweigen. Das alles wissen wir und trotzdem soll sich der Fleischkonsum bis 2050 verdoppeln. Fleisch gilt in vielen Ländern immer noch als Zeichen für Wohlstand. Mit zunehmenden Wohlstand steigt somit der Fleischkonsum und mit ihm die für Viehhaltung benötigte Nutzfläche und die hungernden Menschen. Eine Zwickmühle?
Tierisches Fleisch ohne Tier
Nicht für Marc Post. Der niederländische Forscher präsentierte schon 2013 den ersten tierleidfreien Burger – gezüchtet im Reagenzglas. Es nennt sich „kultiviertes“ Fleisch, ein Adverb, das man sonst nur aus dem landwirtschaftlichen Zusammenhang kennt. Es wird so genannt, weil es in einer Retorte synthetisch hergestellt wird. Natürlich sind hier nämlich nur noch die Ausgangszellen, die dem lebenden Tier mittels einer Biopsie entnommen werden können. Verwendet werden hierzu Myoblasten, die sich zwar nicht so rasch vermehren wie Stammzellen, aber auch nicht so ausdifferenziert sind wie Muskelzellen und somit ein Kompromiss zwischen den sich rasch vermehrenden Stammzellen und den ausdifferenzierten Muskelzellen sind. Diese werden dann in Nährstofflösungen vermehrt und zusammen mit Bindegewebs- und Fettzellen zu kleinen und größeren Zellbällchen zusammengebaut, die wiederum zu einem Würstchen zusammengebaut werden. Rote-Beete-Saft und Safran sorgen für die natürliche Farbe. So viel zu der Nachahmung verarbeiteter Fleischwaren – schwieriger wird die Rekonstruktion bei einem Rindersteak. Dieses besteht aus zahllosen feinsten Muskelfasern, für deren Konsistenz die Muskelzellen mechanischer Bewegung ausgesetzt sein sollten.

Massenproduktion ohne Massentierhaltung?
Befürworter sagen: Das künstliche Fleisch sei frei von Giftstoffen und Genmanipulation, enthalte weniger Fett und Cholesterin sowie deutlich mehr Nährstoffe. Und auch energetisch gesehen habe es eine deutlich bessere Bilanz als herkömmliches Fleisch, da die Abgasbelastung durch z.B. Methan gesenkt werden könnte. Vom ethischen Mehrwert, dass durch das Verhindern von Leid und Massentierhaltung erlangt würde, ganz abgesehen. Ist kultiviertes Fleisch somit die ultimative Lösung für Umwelt, Gesundheit und Gewissen? Nicht ganz, denn die Verkostung des ersten In-Vitro-Burgers war mit 300.000 Euro ganz schön kostenintensiv. Und trotz zahlreicher Subventionen würde der Preis pro Kilogramm kultiviertes Fleisch immer noch rund 90 Dollar betragen.
Der Konflikt zwischen Mensch und Tier
Tatsächlich scheint die Entwicklung synthetischen Fleischs wie eine technische Lösung für die vom französischen Autor Francois de Closets sogenannte „Verrücktheit vom Menschen zum Tier“: auf der einen Seite wollen wir sie als Haustiere halten und schützen, manchmal dienen sie gar als Kinderersatz, auf der anderen Seite sind sie eine Schlachtmaschine. Und deshalb verschreiben sich immer mehr Start-Ups und Organisationen diesem Konflikt des 21. Jahrhunderts. New Harvest beispielsweise ist eine NGO, die sich der Lebensmittelsicherheit widmet und Forscher finanziert, die „tierische Produkte neu erfinden“. Ginge es nach ihnen, gäbe es bald Milch ohne Kühe, Hühner ohne Eier und eben Burger ohne Rind. Das Start-Up „Impossible Foods“ verspricht das Unmögliche möglich zu machen und Ende 2016 kultiviertes Fleisch in die amerikanischen Supermarktregale zu bringen.
Weniger ist mehr
Auch wenn das Laborfleisch erst einmal auf kulturelle Hürden stoßen könnte, scheinen noch nicht mal Tierrechtsorganisationen wie Peta von der Idee abgeneigt. „Uns ist klar, dass wir unsere eigenen Abneigungen gegen den Fleischverzehr überwinden müssen, um eine gerechtere Welt zu schaffen.“, teilte Gründerin und Präsidentin der Organisation Ingrid Newkirk in einem Interview der Zeitung „Die Welt“ mit. Davon abgesehen, dass die Vorstellung eines Frankensteins unter den Fleischsorten nicht gerade appetitlich ist, bleibt auch der Sinn hinter dem Retortenfleisch fragwürdig. Wieder einmal versucht der Mensch sich den Grenzen der Natur zu widersetzen, möchte nicht nur Massenproduktion ohne Massentierhaltung, sondern nun auch besseres Fleisch als Tiere es herstellen könnten. Wäre es da nicht viel einfacher, erst einmal den Konsum zu überdenken? Dann läge die Lösung auf der Hand: zurück zum guten alten Sonntagsbraten.
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