Leonie, Du hast Dich dazu entschieden, für ein Jahr ins Ausland zu gehen. Was hat Dich zu dieser Entscheidung bewogen?
Ich war schon als Kind gern und oft auf Freizeiten in ganz Deutschland. Mich hat es schon immer fasziniert, neue Orte und Menschen kennen zu lernen. In der Schule hatten wir dann eine Informationsveranstaltung über Auslandsjahre und die Idee hat sich in meinem Kopf festgesetzt.
Die meisten Austauschschüler verschlägt es nach Amerika. Südafrika ist eher untypisch. Warum ausgerechnet dieses Land?
Ein Auslandjahr ist schon für sich etwas Ungewöhnliches. Ich hatte schon immer eine Vorliebe für Afrika. USA war mir zu „mainstream“. Ich wollte in ein Land reisen, dessen Kultur nicht so bekannt ist und sich auf den ersten Blick stärker von Europa unterscheidet. Die Nation kommt einfach so fröhlich herüber und die Südafrikaner sind sehr gläubig. Das war mir bei meiner Länderwahl auch wichtig, weil ich selbst an Gott glaube.
Es gibt verschiedene Organisationen, die Schülerinnen und Schülern Auslandsaufenthalte ermöglichen. Was war Dir bei der Wahl Deiner Organisation besonders wichtig, bzw. weshalb hast Du Dich für YFU (Youth For Understanding) entschieden?
YFU ist eine gemeinnützige Organisation. Das heißt, es geht ihr nicht darum, Gewinne zu erzielen, sondern internationale und interkulturelle Beziehungen zwischen Jugendlichen zu schaffen. Das ist möglich, weil YFU von vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern unterstützt wird. Bei vielen anderen Organisationen hätte mein Auslandsaufenthalt ein Vermögen gekostet, er wurde bei ihnen mehr als ein Urlaub verkauft. Außerdem ist es bei anderen gemeinnützigen Organisationen oft so, dass man nach einem gewissen Zeitraum (meist drei Monate) die Familie wechselt. Allerdings habe ich mich erst nach drei bis vier Monaten wirklich in meiner Familie eingelebt. Mich danach erneut an ein neues Umfeld zu gewöhnen, wäre für mich persönlich nichts gewesen.
Was hast Du gedacht als Du angekommen bist und realisiert hast: „Hier muss ich jetzt ein ganzes Jahr lang bleiben?“
Erst einmal war die zweitägige Reise ziemlich anstrengend, aber nach dem Vorbereitungscamp, welches wir in den ersten drei Tagen nach der Ankunft hatten, war ich sehr ermutigt. In meiner Gastfamilie war ich dann plötzlich auf mich allein gestellt. Da waren keine Mentoren mehr, die mich unterstützten und mir sagten, was ich zu tun hatte. Ich habe viel Zeit alleine verbracht, weil meine Gasteltern voll berufstätig sind. Da kommen schon Zweifel auf, ob man das ein ganzes Jahr lang schafft. Aber gleich nach einer Woche bin ich zur Schule gegangen, habe Leute kennen gelernt. Wenn ich Menschen um mich herum habe, geht es mir gleich besser.
Was ist der größte Unterschied zwischen Deiner Familie in Deutschland und Deiner Gastfamilie in Südafrika?
Allein die Familienstruktur ist ganz anders. Hier in Deutschland habe ich drei kleinere Geschwister. In Südafrika habe ich eine Schwester, die ungefähr genauso alt ist wie ich. Das ist schon eine große Umstellung. Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sind dort viel hierarchischer. Auch mit meinen 17 Jahren wurde ich ein Kind behandelt, nicht als gleichberechtigte Person. Diskussionen gibt es nicht, die Eltern haben Recht. Das war für mich oft schwer zu akzeptieren. Ich war in einer Familie, die zur Mittelschicht gehört. Taschengeld für die Kinder war kaum oder gar nicht drin. In Deutschland ist eigenes Geld etwas Selbstverständliches. Hier zu Hause esse ich mit meiner Familie zusammen am Küchentisch, in Südafrika haben wir auf der Couch vor dem Fernseher gegessen.
Wie hat sich Dein Schulalltag von dem in Deutschland unterschieden?
Schule in Südafrika kostet Geld und die Regeln sind streng und konservativ. Es gibt Schuluniformen, auf die viel Wert gelegt wird. Die Röcke der Mädchen dürfen nicht kürzer sein als vier Fingerbreiten oberhalb des Knies, die Jungs müssen sogar ganz bestimmte Socken tragen. Auf den meisten Schulen waren auch Nagellack, Schminke und Schmuck verboten. Die Haare mussten zusammengebunden werden und das Pony durfte nicht weiter als bis zu den Augenbrauen reichen. Bei den Jungs war ein Kurzhaarschnitt Pflicht, das heißt Haare von maximal zwei Zentimeter Länge. Bei all diesen Regeln ging es darum, als Schülerinnen und Schüler die Schule zu repräsentieren und wir deshalb dieses hohe Maß an Ordentlichkeit und Disziplin aufzuweisen hatten. Im Unterricht gibt es keine mündlichen Noten. Generell werden mehr die Fakten gelernt; es geht nicht (wie auf meiner Schule in Deutschland) darum, warum etwas so ist, wie es ist. Demnach gibt es bei schlechtem Benehmen zur Bestrafung auch keine schlechte Mitarbeitsnote, sondern man muss während der Stunde z.B. auf dem Boden sitzen.
Was war Dein schönstes Erlebnis während des Austauschs?
Das ist schwer zu sagen. Das ganze Jahr war voller Höhen und Tiefen, doch es war als Ganzes das schönste Erlebnis meines Lebens. Ein Erlebnis, das mir speziell einfällt, ist meine Zeit in den Townships (Armenvierteln). Sie hat mich sehr geprägt. Die Wäsche wird noch mit der Hand gewaschen, gegessen wird, was vor der Haustür wächst. Die Mahlzeiten werden auf dem Boden mit den Händen zu sich genommen. Zwar gibt es Wasserleitungen doch nur ungefähr jeden halben Kilometer einen Wasserhahn. Die Kinder haben sehr viel gesungen und getanzt, Spielzeug gibt es nicht. Das „schwarze Afrika“, das ist einfach Lebensfreude pur, ohne jeglichen Materialismus.
Gab es schwierige Situationen oder Probleme?
Ja, na klar! Anfangs waren es kulturelle Probleme, wie ich es schon bei der Familienstruktur erwähnt habe. Die persönlichen Probleme gab es in Südafrika genauso wie in Deutschland. Aber gerade durch die schwierigen Situationen habe ich am meisten gelernt und kann zu mir sagen: „Hey, ich hab‘s geschafft“; das macht mich natürlich auch ein bisschen stolz.
Wie hat Dich Dein Auslandsjahr geprägt und verändert? Was ist Dir heute z.B. wichtiger oder unwichtiger als vorher?
Ich bin einfach von Grund auf glücklicher und zufriedener als vorher. Einfach so, von innen heraus. Jetzt bin ich noch offener geworden. Aber das ist nicht nur bei mir so. Das merkt man auch bei vielen anderen Austauschschülern. Ich schätze die Kleinigkeiten und Selbstverständlichkeiten mehr und mein Glaube zu Gott ist gestärkt. Mir ist es nicht mehr so wichtig, viel Zeit für mich alleine zu haben. Ich bin noch lieber mit meiner Familie und Freunden zusammen. In Südafrika gab es sowas wie „Zickenkrieg“ und Lästereien nicht. Wir haben uns ins Gesicht gesagt, wenn uns etwas missfällt und das mache ich auch hier noch so, egal, was die Anderen denken. Und ich mache mir nicht mehr so viel Druck wie früher, dass alles perfekt sein muss. Klar, Schule und Noten sind wichtig, aber nicht alles.
Was würdest Du anderen Schülern raten, die ebenfalls eine Zeit im Ausland verbringen möchten?
Macht es! Wenn du während der Schulzeit in ein anderes Land gehst, erlebst du es ganz anders als Tourist. Kein Hotel und Sehenswürdigkeiten, sondern eine richtige Familie, Schule und Freunde. Es erweitert deinen Horizont, man bekommt ganz neue Eindrücke vom Leben. So etwas kann dir niemand nehmen. Ich kann hier nur auf mein Lieblingszitat verweisen: „Exchange ist not a year in a life, it’s a life in a year“.
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