Europa fehlt die Entscheidungsgewalt. Europa ist reformbedürftig, zögerlich und politisch schwach, wird angesichts der anhaltenden Flüchtlingskrise konstatiert. Dabei ist nicht weniger, sondern mehr Europa, gar ein europäischer Staatenbund die Zukunft, meint unser Autor Jonathan Wunderlich.

Was soll bloß aus Europa werden, was aus der europäischen Idee? Die Frage drängt sich zwangsläufig auf, schaut und liest man aktuelle Nachrichten. Satire-Shows sprechen der Europäischen Union gar ihre Sinnhaftigkeit ab. Krisen auf der ganzen Welt belasten sie und ihre Ideale. Ideale, die auch unsere sind, die der Gesellschaften, welche sich als westlich verstehen. Die terroristischen Anschläge auf zentrale europäische Symbole, wie Paris und Brüssel oder Flüchtlingsdramen im Mittelmeer, werfen ein schlechtes Licht auf das Europa der Gegenwart. Europa, das ist nicht nur eine geographische Bezeichnung, Europa stellt viel mehr dar. Europa ist ein politisches Gewicht, eine Jahrtausend Jahre alte Kultur, die Ideale, Wissenschaft, Geschichte und Politik geprägt hat und prägt. Europa ist Sinnbild einer Idee. Aber wie sieht diese Idee aus, was meint man, wenn man von einer europäischen Idee spricht?
Die europäische Idee
Die europäische Idee ist vielfältig. Zum einen meint sie den Apekt der europäischen kollektiven Friedenssicherung. Aber die Europäische Union versteht sich ebenso zumindest der Theorie nach als eine Wertegemeinschaft. Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte sollen in ihren Mitgliedsstaaten geachtet und geschützt werden. Neben diesen sehr grundsätzlichen Prinzipien steht die Idee eines vereinten Europas aber auch für Vielfalt, kulturellen Austausch und natürlich ebenso für die Gemeinsamkeiten der europäischen Kulturen.
Einheit und Zersplitterung
Doch dieses Europa ist in einer schwierigen politischen Lage. Von Krisen erschüttert, erstarken nationalistische Bewegungen, die gegen Europa und die damit verbundenen Ideen Stimmung machen, und das nicht nur in Deutschland.
In Großbritannien verfolgen Nationale und auch Konservative den Wunsch eines Austritts Großbritanniens aus der EU. Sie begründen das mit der Staatssouveränität und der Idee, dass England außerhalb der EU stärkeres politisches und wirtschaftliches Gewicht haben werde. Dieser Druck führt sogar zu einem Referendum, welches für den 23. Juni angesetzt ist und die Briten darüber entscheiden lassen soll, ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht. Und auch in Frankreich macht der Front National, eine rechtspopulistische Partei, Politik gegen die EU, ebenfalls besonders wegen der vermeintlichen Einschränkungen der nationalen Souveränität, wie sie sie im Hinblick auf Einwanderungs- und Sicherheitspolitik sieht. Auch in Deutschland gibt es eine erstarkende rechtspopulistische Partei, die Alternative für Deutschland. Auch die AfD ist kritisch gegenüber der EU und kritisiert Deutschlands Einwanderungspolitik gegenüber des Islam. In den drei bedeutendsten Staaten Europas regen sich also starke anti-europäische Bewegungen, die weg von einem liberalen, vereinten Europa und eine Stärkung des jeweiligen Nationalstaats wollen.
Krisen lassen sich besser und einfacher bewältigen, wenn die EU gemeinsam Lösungen erarbeitet. Dies gilt nicht nur zur Bekämpfung des Terrorismus, der unsere westlichen Ideale zerstören möchte, sondern auch für die Bewältigung der europäischen Flüchtlingskrise. Die Flüchtlingskrise lässt sich nur europäisch bewältigen, wenn nicht jedes Land seine eigene nationalen Souveränität und Machtstellung hoch hält und fördern möchte. Wie also sichert man den Fortbestand der europäischen Idee, angesichts der zahlreichen aktuellen Krisen und rechtsnationalen Gegenbewegungen?
Europa als Bundesstaat oder Staatenbund?
Nun ergibt sich ganz grundsätzlich die Frage, ob Europa als ein relativ loser Staatenbund mit ein paar gemeinsamen Institutionen überhaupt handlungsfähig ist oder ob vielleicht Europakritiker sogar Recht haben, wenn sie Europa kritisieren? Eines ist klar: Europa ist reformbedürftig. Es führt kein Weg vorbei an Reformen der EU. Die Europäische Union befindet sich in einer politischen Schwebelage zwischen der Entscheidung, ein Staatenbund mit souveränen Nationalstaaten zu bleiben und der Entscheidung, langfristig zu einem föderalen europäischen Bundesstaat zusammenzuwachsen.
Doch was spricht eigentlich für und gegen einen Staatenbund? Warum wollen Kritiker überhaupt weniger Europa? Sie betonen meist, dass die Souveränität der einzelnen Staaten erhalten blieben müsse. Die eigenen nationalen Parlamente können ihre Entscheidungen ohne Rücksicht auf andere Staaten treffen. Man hätte weniger politische Gruppen, die an jeder Entscheidung teilhaben wollen und kann schneller und einfacher reagieren und regieren. Auch stehen vielfältige Wirtschaftsinteressen in Opposition zu einem Bundesstaat. Schließlich würden etwaige Steuern, Zölle, etc. abgeschafft und damit auch ganze Wirtschaftszweige, die davon profitieren. Außerdem ist Europa auch ein kulturell und wirtschaftlich sehr vielfältiger Kontinent, was sich ja schon an den Sprachen bemerkbar macht und auch immer wieder als Grund dafür angeführt wird, dass ein Bundesstaat nicht sinnvoll sei.
Der europäische Bundesstaat ist eine Idee, die schon länger im Hintergrund schwelt und vor der sich die protektionistischen nationalen Kräfte fürchten. Eine Einigung Europas in einem liberalen und demokratischen System wäre die konsequente Fortführung der europäischen Idee. Die Nationalstaaten würden in einem föderalen System einen Großteil ihrer Macht zugunsten eines direkt gewählten Europäischen Parlaments verlieren, das es verdient den Namen „Parlament“ zu tragen. Europa wäre dann ein Staat wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Als „Vereinigte Staaten von Europa“ könnte man die weltpolitischen Probleme wie die Flüchtlingskrise und die Bekämpfung des Terrorismus viel forcierter und wirkungsvoller angehen. Europa könnte sich als vereinigter Bundesstaat gegen Russland und den USA behaupten und seine Bürger auf weltpolitischer Ebene besser vertreten. Ein Zusammenschluss aller europäischen Staaten würde zu einer besseren Zusammenarbeit führen, schließlich hätten alle beteiligten Staaten ein Interesse an der Erhaltung des neuen Systems.
Dazu muss die EU zunächst eine echte Verfassung erhalten, durch die die Machtverhältnisse zwischen dem übergreifenden europäischen Staat und den einzelnen nationalen Parlamenten regelt. Schon Winston Churchill und Konrad Adenauer sprachen von einer Art „Vereinigter Staaten von Europa“. Dafür wird allerdings ein tiefgreifender Mentalitätswandel notwendig sein. Niemand gibt gerne freiwillig Macht auf, auch nicht Nationalstaaten. Bevor die Notwendigkeit eines europäischen Bundesstaats weitgehend akzeptiert wird, muss die Krise anscheinend viel größer und bedrohlicher werden. Selbst die Brisanz der Flüchtlingskrise scheint noch nicht groß genug zu sein, um die Idee eines europäischen Bundesstaats voranzutreiben. Die europäische Idee und liberale und demokratische Ideale hätten einen starken Advokaten. Unsere Kultur und Geschichte würde entsprechend gewahrt werden. Man wäre dem Weltfrieden und der Humanität wieder ein Stück näher. Europa als Bundesstaat wäre die Lösung für die großen Fragen und Krisen unserer Zeit, bleibt aber vermutlich nur ein Traum.
Wie siehst Du das? Brauchen wir mehr oder weniger Europa? Was hältst Du von der Idee eines vereinigten europäischen Staatenbundes?
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