Es ist der erste Gefängnisbesuch in seinem Leben. Unser Autor hat den Test gemacht und war einen Tag lang in einer Justizvollzugsanstalt unterwegs. Ein Bericht über vier Stunden in einer Parallelwelt.

Donnerstag, 14.00 Uhr. Ich stehe an der Pforte der Justizvollzugsanstalt (kurz JVA) Geldern. Es ist Besuchertag. Familienmitglieder und Freunde warten am Betonkomplex auf ihren Einlass. Ein großes Aufgebot an Beamten sowie höchste Sicherheit sind hier gefordert. Ungewissheit und ein mulmiges Gefühl prägen mich. Es ist wie ein Eintritt in eine Parallelwelt. Höchste Konzentration ist gefragt. Nachdem meine technischen Geräte abgenommen, meine Person und mein Anliegen gecheckt wurden, gibt der Computer grünes Licht. Ralf Jentjens, Personalratsvorsitzender, kommt durch die gegenüberliegende Tür, um mich abzuholen: „Hallo Herr Özaykir. Kommen Sie. Hier müssen wir lang.“ Ich verlasse die Pforte auf der anderen Seite und gehe mit Herrn Jentjens ins Verwaltungsgebäude. Ein Zwischenhof trennt beide Gebäude. Er wirkt unendlich. Sechs Meter hohe Betonwände mit einem zusätzlichen Maschendrahtzaun davor. Ich bin beeindruckt.
„Bei Kameras werden alle sofort nervös“
„Einer Abteilung mit 50-55 Häftlingen stehen zwei Beamte zur Verfügung. Das Risiko, dass etwas passiert, ist natürlich gegeben. Vertrauen wird bei uns jedoch groß geschrieben“, schildert der Wachbeamte. Der Beweis lässt nicht lange auf sich warten. „Bevor Sie eine falsche Anrede benutzen, möchte ich, dass der Begriff `Wärter´ hier nicht fällt. Wir sind Justizvollzugsbeamten“, stellt er klar. Angekommen an der Funktionsschiene treffen wir bereits verschieden zugeteilte JVA-Beamte an. „Multifunktionsfähigkeit, soziale Kompetenz, eine Vorbild-, physische- und psychische Funktion kennzeichnen einen Beamten“, erläutert er. Alle Blicke richten sich auf meine Spiegelreflex-Kamera. Nervosität ist zu spüren. „Bei Kameras werden alle sofort nervös“, gibt Herr Jentjens zu. Der ungewöhnliche Faktor am heutigen Tage bin jedoch ich.
Die Hafthäuser bleiben mir nicht erspart. Hafthaus A und Hafthaus B sind belegt mit Inhaftierten, die schwerere Verbrechen begangen haben. Wir stehen gerade vor der Eingangstür zum Hafthaus B. Gefangene stehen Schlange, um ihre Wäsche abzuholen. Es dauert nicht lange bis sie uns bemerken. Spätestens nachdem die Tür aufgeht, richten sich die Blicke auf mich. Ich fühle mich unwohl, bin nervös und muss erstmal tief durchatmen. Etwa 40 unberechenbare und selbstbewusste Häftlinge starren mich an. Doch das nötige Sicherheitsgefühl, um an ihnen vorbei zu gehen, vermittelt mir Herr Jentjens. „Sie dürfen keine Angst haben. Bemerken Inhaftierte Ihre Angst nutzen sie dies gnadenlos aus.“
„Ein einziger Unruhiger reicht in einem Hafthaus“
Einer der Höhepunkte an diesem Tage ist erreicht. Zurück an der Funktionsschiene steht der besonders gesicherte Haftraum (BGH) auf dem Plan. Er ist „spartanisch ausgestattet“ sagt er. In der Tat ist es ein optisch ungepflegter Raum mit einer alten Matratze, einer fünf Meter hohen Decke, einer französischen Toilette, sowie einem Kameraüberwachungssystem. „Wir haben hier eine enorme psychische Belastung. Ein einziger Unruhiger reicht in einem Hafthaus. Hinzu kommt, dass wir im Moment im 12er Riegel arbeiten, also zwölf Tage am Stück. Früh-, Spät-, Nachtschichten und alle 14 Tage Wochendienst sind die Arbeitszeiten eines Beamten“, beschreibt er ausführlich. Für mich ist das alles Neuland. Allein der Gedanke, mehrere Stunden in der JVA zu verbringen, quält mich.
Ich bin glücklich, einen gesprächsbereiten und offenen Beamten angetroffen zu haben. Auf die Nachfrage, was der psychische Faktor bedeutet, entgegnet er offen: „Man muss immer auf der Hut sein. Es kann jeden Moment etwas passieren. Der JVA-Beamte muss Einfühlungsvermögen besitzen und positiv gegenüber den Gefangenen eingestellt sein, wofür Menschenkenntnisse als Voraussetzung dienen. Es liegt immer eine gewisse Spannung in der Luft. Die Schwierigkeit unseres Berufes liegt darin, vermeintliche Schwachstellen der Gefangenen zu erkennen, Drogen- sowie Sonderkontrollen durchzuführen, wie z.B. eine komplette Zellendurchsuchung und Handys zu finden.“
Tattoowierungsmaschinen mit Kuli-Minen als Stechwerkzeug, Wasserpfeifen
Justizvollzugsbeamte müssen in der Lage sein, in jeder Abteilung der Anstalt zu arbeiten. Sogar im Sanitätsdienst unterstützen sie den Gefängnisarzt. Angekommen am Ende der Funktionsschiene führt uns ein Aufzug in die obere Etage zum Ausbildungsraum. Es erscheint mir ungewöhnlich, dass nach jedem Schritt eine verschlossene Tür folgt. Herr Jentjens öffnet die nächste Tür, um mir die Vitrine der selbsthergestellten oder geschmuggelten Waren der Inhaftierten zu zeigen, welche in der Geschichte der JVA-Geldern gefunden wurden. Er ist optisch der einzige normal erscheinende Raum. Ein Konferenztisch mit Stühlen und die Vitrine sind zu sehen. Es ist erstaunlich, was dort zu sehen ist: Selbstgeschmiedete spitze Gegenstände, Tattoowierungsmaschinen mit Kuli-Minen als Stechwerkzeug, Wasserpfeifen, Bongs, Pistolenattrappen, Schlagstöcke, sowie eine selbst gebaute Leiter sind nur einige von vielen. „Diese Funde bestätigen die konsequente und risikoreiche Arbeit eines Beamten. Es zeigt, dass der Job des JVA-Beamten nicht nur im Auf- und Zuschließen von Türen besteht“, erzählt er aufgebracht. Am häufigsten wird in Geldern versucht, Drogen jeglicher Art zu schmuggeln. „Neben einigen Drogenfunden habe ich die Erfahrung gemacht, dass Drogen bei Kontrollen durch ausgebildete Hunde des Öfteren in der die Toilette runtergespült werden.“ Ich bin erstaunt. Es scheint so, dass die Häftlinge aus ihren Fehlern nicht lernen und weiterhin illegal handeln.
In Nordrhein-Westfalen ist fast jeder zweite Gefangene drogensüchtig. Der Anteil der abhängigen Gefangenen stieg in den letzten zehn Jahren von 41 auf ca. 48 Prozent – bei Frauen sogar auf 50 Prozent. Die Sucht war bei den meisten Gefangenen jedoch bereits bei Haftantritt bekannt. Das Justizministerium teilt mit, dass in den 37 Justizvollzugsanstalten mit knapp 17.000 Inhaftierten im Vorjahr 708 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Mein Tag in der JVA endet um 18:00 Uhr. Vier Stunden lang sind mir Eindrücke und Fakten über eine Parallelwelt vermittelt worden. Es war der erste Gefängnisbesuch in meinem Leben. Ich war durchaus beeindruckt und hatte des Öfteren mit meinen schwankenden Gefühlen zu kämpfen. Mitleid war darunter jedoch nicht zu finden. Mir wurde klar, was es bedeutet, ein freies Leben zu führen, zu bestimmen, zu welcher Zeit man was macht, wann man isst oder Sport betreibt. Ein gutes Gefühl…
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