Viele Studenten suchen neben ihrem Studium nach Abwechslung und Energiequellen. Die einen finden sie im reichhaltigen Programm des Hochschulsports, die anderen belegen Mal- oder Theaterkurse und wieder andere gehen in ihrem Nebenjobs auf. Ich habe meine Abwechslung in einem Seniorenheim gefunden.
Es ist Samstag, 10 Uhr morgens, als ich mir eine saubere Schürze umbinde und meine Haare nach hinten stecke. Auf dem Weg zum Gruppenraum pinne ich mir noch mein Namensschild ans Shirt, wasche mir meine Hände und reibe sie mit Desinfektionsmittel ein. Nun bin ich bereit für die Back-AG, die ich in einem Seniorenheim mitorganisiere. Im Gruppenraum werde ich schon geduldig von ungefähr 15 Teilnehmern erwartet, die in den üblichen Gruppen an ihren Tischen sitzen. Ich rufe allen einen „Guten Morgen“ zu und teile das Rezept für den heutigen Vormittag und die entsprechenden Zutaten aus.
Eine Back-AG in einem Seniorenheim ist vielleicht nicht ganz gewöhnlich. Die Idee dafür entstand in einem Gespräch mit der Pflegedienstleitung, als wir auf der Suche nach einer neuen Aktivität waren, die nicht nur bloße „Beschäftigungstherapie“ für die Heimbewohner bedeuten sollte. Die Back-AG erwies sich als geeignete Lösung, da sie die Senioren nicht nur beschäftigt und ein aufregendes Ereignis in ihrem Lebensalltag darstellt, sondern sie auch in Kontakt zu anderen Heimbesuchern bringt und die oft durchs Alter geschwächten Sinne, wie fühlen, schmecken, riechen, anregt.
Warum in einem Seniorenheim?
Ehrenamtlich arbeiten, schön und gut. Aber warum denn gerade in einem Seniorenheim? Diese Frage höre ich oft. Zunächst gibt es die bekannten Schlagzeilen über den demographischen Wandel, die jedem bekannt sein dürften. „Der Anteil der unter 20-Jährigen wird bis 2060 auf 15,7 Prozent schrumpfen, der Anteil der Personen, die 60 Jahre oder älter sind, wird auf gut 39 Prozent anwachsen“, so das Statistische Bundesamt. Des Weiteren gibt es viel zu wenig Altenpfleger, da ihre Arbeit schlecht bezahlt und zudem körperlich sowie seelisch anstrengend ist. Der Gedanke daran, dass eigene Familienangehörige oder gar man selbst einmal in einem Seniorenheim einsam dahinsiechen könnte, ist für mich beängstigend.
Doch diese Tatsachen allein waren nicht der Grund, der mich dazu bewegte, eines Nachmittags in die Eingangspforte des nächsten Seniorenheims zu spazieren und zu fragen, ob ich nicht irgendwo zu Hand gehen könnte. Ich brauchte Abwechslung. Abwechslung vom ewigen Unialltag, vom Schreibtisch, von den endlosen Bücherregalen der Bibliothek. Ich wollte etwas tun für andere, helfen, nützlich sein. Diese Abwechslung habe ich nun gefunden in der Arbeit mit älteren Menschen. Sie ist bereichernd, lehrreich und macht riesigen Spaß. Neben der Back-AG besuche ich einige Bewohner der Demenzstation und begleite eine Gruppe von Damen auf den Wochenmarkt.
Witz, Charme und Lebensweisheiten
Natürlich ist die Arbeit mit älteren Menschen nicht immer einfach. Oft habe ich das Gefühl, mit Kindern zu arbeiten. Viele von ihnen sind stur und bockig, einige zickig und bestimmend. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mich daran gewöhnt hatte, generell lauter zu sprechen und keine Anglizismen zu gebrauchen. Vor allem die Arbeit mit Demenzkranken verlangt viel von einem ab. Wie reagiere ich, wenn eine Dame von mir möchte, dass ich sie zu ihrem Haus bringe, das seit 20 Jahren nicht mehr existiert? oder wenn ein Herr fragt, wo denn seine Frau sei, die vor drei Jahren verstorben ist?
Doch diese schweren Momente sind nichts im Vergleich zu der Freude, die einem die Senioren bereiten: ihr Witz und Charme, ihre Geschichten und Lebensweisheiten. Ich lasse mir alte Volkslieder und Gedichte beibringen, die viele noch aus ihrer Jugend im Gedächtnis haben und auswendig rezitieren können. Und wenn ich mich einmal wieder bei meinen Socken verstrickt habe, finde ich im Heim immer jemanden, der mir helfen kann.
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