Bereits der hochtrabende Name der Bewegung ist missverständlich: „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA). Sind die Protestler wirkliche „patriotische Europäer“, Verteidiger der europäischen Idee? Keineswegs. Stattdessen soll Offen sympathisiert etwa das Führungspersonal der AfD mit PEGIDA. Während Beatrix von Storch, eine der sieben EU-Abgeordneten der Partei, einerseits in populistisch-vereinfachender Manier gegen das Brüsseler System und die EU selbst geifert („Es gibt kein europäisches Volk“), unterstützt sie andererseits die „patriotischen Europäer“. Wie lässt sich dieser offensichtliche Widerspruch erklären? Ganz einfach, es soll Angst geschürt werden: Wir, Europa, das Abendland, Hort des christlichen Erbes und der Kultur wider das böse Morgenland, Ursprung des islamischen Terrors. Scheinbar apokalyptisch stehen sich beide Kulturen gegenüber. Wenn es so weitergeht wie im Augenblick, so ist es nur noch eine Frage der Zeit bis zum Untergang des Abendlandes.
Der Untergang des Abendlandes?
Und so sieht die Apokalypse aus: Die Morgenländler stehen quasi vor der Haustür, verkaufen ihren Tee oder Döner in miefigen Buden, verteilen den Koran in den Fußgängerzonen der Republik und schmieden im Verborgenen irgendwelche Selbstmordanschläge. Nicht nur das, mit all den Flüchtlingen aus den muslimischen Ländern wird diese Gruppe immer mächtiger und „islamisiert“ so Schritt für Schritt unsere Heimat und raubt uns unsere kulturelle Identität. Europa, wie wir es kennen, wird schon bald einem Gottesstaat weichen müssen, in welchem die Scharia zum Gesetz wird, wenn wir nicht bald etwas dagegen unternehmen. Aber ist dem so? Müssen wir uns vor Zuwanderern fürchten? Ist es wirklich vernünftig und christlich (worauf die Initiatoren doch pochen), dagegen zu protestieren? Ich denke, nein.
Der kürzeste Weg in die Unfreiheit ist die Angst, meinte Sören Kierkegaard einmal. Da ist was dran. Der Wortführer von PEGIDA, Lutz Bachmann, sprach auf einer der Demonstrationen in Dresden, dass die Flüchtlinge „Heime mit Vollversorgung“ erwarten dürften, während sich die deutschen Rentner „manchmal noch nicht mal ein Stück Stollen leisten können zu Weihnachten“. Diese Sätze sprechen deutlich die Sprache der Angst, des Zu-kurz-gekommen-Seins. Sie erzeugen Wutgefühle gegen die Masse der Asylbewerber, gegen „die da“. „Die da“ nutzten doch nur schamlos das deutsche System der Flüchtlingshilfe aus, so das unterschwellige Vorurteil.
Liest man die Forderungen von PEGIDA, gewinnt man den Eindruck, der Untergang sei nahe. Minutiös und in sehr subtiler und infamer Art und Weise listet der Katalog auf, dass die Flüchtlinge sich in die Gesellschaft zu integrieren hätten, eine Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten zu fahren sei und die Abschiebungsgesetze voll ausgeschöpft werden müssten. Es mag Fälle geben, wo Asylbewerber straffällig werden, wo Missbrauch vorkommt. Doch sind dies nur Marginalien im Vergleich zu dem Unheil, das mit diesen rechtspopulistischen Parolen angezettelt wird.
Die selbsternannten Retter des Abendlandes kämpfen gegen Windmühlen: Einer Untersuchung der Uni Münster zufolge ist die Ausländerkriminalität auch nicht wesentlich höher als die bei deutschen Staatsbürgern. Pauschalisierungen können nicht mittels der Zahlen belegt werden. Kürzlich erregte zudem eine Studie Aufsehen, nach der Ausländer nicht die Rentenkassen belasten würden, sondern sogar über 20 Milliarden Euro jährlich in die Sozialkassen einbezahlen. Nur am Rande ist ferner interessant für die Redlichkeit der PEGIDA-Bewegung, dass deren Wortführer Bachmann vorbestraft ist (aufgrund von Trunkenheit am Steuer, Fahren ohne Führerschein, Drogenbesitz, Einbruch, Diebstahl und Anstiftung zur Falschaussage) und erst nach zwei Jahren Flucht (ins außereuropäische Ausland) seine Gefängnisstrafe antreten konnte.
Der Weg des Gegeneinanders und der Weg des Miteinanders
Was aber ist die Medizin gegen die Angst und Verzweiflung, gegen die „Krankheit zum Tode“ (Kierkegaard), die das christliche Abendland im Angesicht seiner morgenländischen Brüdern und Schwestern befällt?
Die Antwort, die PEGIDA vertritt, ist der Weg der gegenseitigen Abgrenzung, der gegenseitigen Beschuldigung und dem Gären von Vorurteilen. So scheint eine nicht unbedeutende Anzahl von Menschen tatsächlich zu glauben, dass muslimische Ehemänner, gebiete man ihnen nicht durch Paragrafen Einhalt, ihre Frauen verschleiern ließen und in Moscheen über Selbstmordattentatsplänen brüteten. Dieser Weg ist der mit Blut und Gewalt gepflasterte Weg. Die Aggressionen gegeneinander, die sich aufbauen, schaukeln sich in die Höhe. Diesen „Lösungsansatz“ konnte man im Oktober beim Aufeinandertreffen der Salafisten und der rechtsextremen Vereinigung „pro Köln“ erleben.
Der zweite Weg, der vernünftigere, ist der des Miteinanders. Er bedarf einer gewissen Empathie und des Verständnisses für die Gegenseite. Dieser Weg ist der gebotene. Er ist ein Weg des Mitgehens und ein Weg des Nachvollziehens der Gepflogenheiten und Sitten der Gegenseite: Wieso essen Muslima denn kein Schweinefleisch? Wieso tragen manche Frauen Schleier? …
Wer sich über fremde Kulturen austauschen will, muss aber auch über seine eigene Bescheid wissen. Er muss in Dialog treten können und nicht besserwisserisch seine eigene, oft lediglich durch Sozialisation und Erziehung erlangte kulturelle Identität der anderen gegenüber als überlegen darstellen und sich in einer Haltung des Vorverurteilens einüben. Der Weg des Miteinandergehens ist der Weg, um der Angst und dem daraus entstehenden Hass vorzubeugen. Und gegen all die Rattenfänger, die Hass schüren wollen, kann die Gesellschaft nur geschlossen und gemeinsam vorgehen!
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