Individualität war noch nie so wichtig wie heute. Doch sie war auch noch nie so langweilig. Es ist ein Wettkampf, das Ringen um optische Einzigartigkeit. Es geht darum sich der Masse anzupassen, ohne in ihr unterzugehen. Doch das ist leichter gesagt als getan, wenn der Fashion Blog von dem man die Inspiration für sein Outfit für das Wochenende geklaut hat, außer einem selbst noch rund 10.000 andere Follower hat. In diesem Wettbewerb, in dem keiner aussehen möchte wie der Rest, ist das Repertoire an den üblichen modischen Accecoires und Kombinationen jedoch schnell erschöpft.

Von der Subkultur in den Mainstream
Man beginnt sich langsam, aber sicher in Gefilde vorzutasten, die etwas entfernt vom Mainstream friedlich vor sich hin existieren. Die Mode verschiedener Subkulturen gerät auf einmal in den Fokus der selbsternannten Modeschöpfer. Aus dem Vortasten wird ein ästhetisches Brandschatzen. Labels scheinen beispielsweise auf einmal den Drang zu verspüren, jedes Kleidungsstück für Frauen über und über mit Nieten zu besetzen. Was auf den Lederjacken früher Punks noch abschreckend wirkte, sieht auf einer Leggings einfach nur unheimlich komisch aus. Die Krönung dieses Trends findet sich, für mich persönlich, in mit Nieten versehenen Ugg Boots. Menschen tragen auf links gedrehte, extrem gepiercte Schafe an den Füßen.
Was man jedoch häufig auf der Straße und in Modemagazinen sieht, wird grundsätzlich nicht hinterfragt und so breitet sich der Trend weiter aus. Anfang des neuen Jahrtausends wurden Ohrringe auch an Männern akzeptabel, vorgemacht von diversen Boygroups aus Amerika. Heute sind Ohrringe langweilig geworden, also bedient man sich einer extremeren Form des Ohrschmucks, die aus dem Untergrund der Punk und Hardcore Szene ihren Weg in die Fußgängerzone gefunden haben.
Tätowierungen sind wieder in
Ohrlöcher werden jetzt nicht mehr nur durchstochen, sondern direkt gedehnt und mit Tunneln in knalligen Farben versehen. Auch Tätowierungen, zuvor als asozial und Indiz auf Gefängniserfahrung verschrien, sind inzwischen Gang und Gebe. Auch dieser Trend hat seine eigene modische Entwicklung erlebt. Tribals, asiatische Schriftzeichen oder Sternchen erfreuten sich auf einmal einer großen Beliebtheit, während der Trend heute in Richtung klassischer Seefahrermotiven wie Anker, Steuerrad oder Schwalbe geht.
Ohne auch nur die geringste Verbindung zum Okkulten oder gar zum Satanismus zu haben, tragen Mädchen im Teenageralter plötzlich Jutebeutel, die mit einem übergroßen umgedrehten Kreuz bedruckt sind. Spricht man sie auf ihre Verbindung zu dieser Symbolik an, reagieren sie verständnislos. „Sieht halt schön aus“, lautet auch die Antwort der Leute, die man fragt, warum sie T-Shirts von Bands tragen, die sie nicht kennen. Hennes und Mauritz verkauft auf alt gemachte Shirts mit dem Cover des „Unknown Pleasures“-Albums der Post Punk Band „Joy Division“. Ich würde als Kriterium für den Verkauf solcher Artikel eine umfassende Sichtung der Plattensammlung des Kunden vorschlagen, leider eine Utopie.
Symbolik und Ästhetik werden verwässert
Für mich eine Unverständlichkeit, besteht doch die Möglichkeit, dass man sich mit Symbolen oder visuellen Statements schmückt, mit denen man sich vielleicht gar nicht identifiziert. Bestes Beispiel dafür, die Kufiya, auch Palituch genannt. Wie viele von den Menschen, die diese Halsbedeckung trugen, bekannten damit absichtlich Sympathie für die kämpfenden Palästinenser? Ich schätze die wenigsten. Dennoch wird, sobald es ein Kleidungsstück, Accecoire oder Symbol in die Welt der Modeerscheinungen geschafft hat, seine Bedeutung nicht mehr hinterfragt. Allein dass es von vielen getragen wird, scheint seine Stellung und Verwendung zu rechtfertigen.
Ich möchte mit diesem Artikel selbstverständlich niemandem vorschreiben, was er zu tragen hat und was nicht. Aber ich finde es wichtig darauf hinzuweisen, dass durch den übermäßigem und leichtfertigen, ja beinahe ignoranten Umgang mit Symbolik und Ästhetik, deren Bedeutung verwässert wird. Der Konflikt im Nahen Osten ist ein ernsthaftes politisches Thema, Bands wie Joy Division und die tragische Geschichte ihres Sängers sind für die Musikgeschichte von großer Relevanz, ebenso wie die Ideale der Punk Bewegung. Echte Individualität ist eine Eigenschaft von größter Wichtigkeit, doch sie sollte nicht auf Kosten fremder Subkulturen oder Gruppen erzwungen werden.
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